Möglicher Austritt Griechenlands aus dem Euro:Auf der Suche nach dem Notausgang

"Eurodämmerung" und "Grexit": Immer mehr Zentralbanker, Ökonomen und Politiker reden offen über einen möglichen Austritt Griechenlands aus dem Euro. Ist das nur eine Drohgebärde für den griechischen Wähler oder steht das Land vor einer gigantischen Abwärtsspirale? Die SZ hat sich unter Europaparlamentariern umgehört.

Kathrin Haimerl, Brüssel und Jannis Brühl

Brünnhilde singt zum Untergang. Es herrscht Eurodämmerung über dem alten Kontinent, zumindest sieht es Paul Krugman so. Der Kolumnist der New York Times und Nobelpreisträger der Ökonomie glaubt, dass der Bruch der Euro-Zone kurz bevorsteht. Griechenland werde im kommenden Monat die Euro-Zone verlassen. Seine Prognose illustriert er mit einem Video aus der Wagner-Oper Götterdämmerung. Der Blogpost umfasst nur sechs Stichpunkte in neun Sätzen, aber es sind dramatische Zeilen: Nach dem Griechenland-Austritt müsse Deutschland entweder Milliarden in die verschuldeten Partnerländer buttern und eine hohe Inflation akzeptieren - oder der Euro ist Geschichte.

Der Amerikaner Krugman ist nicht allein: Immer lauter werden die Stimmen, die einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion ins Spiel bringen. Im angelsächsischen Sprachgebrauch hat sich dafür bereits ein Wort eingespielt: Grexit, erfunden von den Analysten der Citigroup, zusammengesetzt aus Greece und Exit.

Die Hoffnung, die Euro-Zone intakt zu halten, schwindet. Die Koalitionsverhandlungen griechischer Politiker nach den Wahlen sind festgefahren. Die erstarkte radikale Linke des Populisten Alexis Tsipras lehnt den Sparkurs ab, sie gewann Stimmen mit einem Wahlkampf gegen den Reformzwang, den EU, EZB und IWF dem Land auferlegt haben. Tsipras baut wohl auf Neuwahlen, in denen er noch mehr Stimmen holen dürfte. Am Montagabend wollen Konservative, Sozialisten und die moderate Linke weiterverhandeln - mit wenig Aussicht auf Erfolg.

Die Rückkehr zur Drachme ist mittlerweile auch bei den sonst zurückhaltenden Zentralbankern kein Tabu mehr. Die Währungshüter des Euro wollen dieses Szenario nicht mehr ausschließen. Patrick Honohan, der Präsident der Zentralbank von Irland, sagte bei einer Rede im estnischen Tallinn, technisch sei der Austritt durchaus möglich, und der Euro könnte es überleben: "Es wäre nicht notwendigerweise tödlich, aber auch nicht attraktiv."

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte in einem Interview mit der SZ erklärt, ein Austritt aus dem Euro hätte für Griechenland schwerwiegendere Folgen als für den Rest der Euro-Zone. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte der Welt am Sonntag gesagt: "Wir können kein Land zwingen, im Euro zu bleiben." Griechenland kann nur eigenmächtig die Währung wechseln - was nicht ausschließt, dass die Regierungen anderer Staaten hinter den Kulissen Druck in diese Richtung ausüben.

Der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis bezeichnet die Diskussion im Gespräch mit der SZ als "unerfreulich": Bei Ausbruch der Schuldenkrise sei die Euro-Zone nicht für mögliche Staatspleiten gerüstet gewesen. Nun stünden mit dem Rettungsschirm aus EFSF und ESM Instrumente bereit, die eine Ansteckungsgefahr für andere Staaten gering halten könnten.

Zwar spricht sich Chatzimarkakis klar dafür aus, dass die Griechen in der Euro-Zone bleiben, sagte aber: "Trotz möglicher Verluste sieht man einem möglichen Ausscheiden Griechenlands gelassener entgegen." Auf den Grexit könnte eine "gigantische Abwertungsspirale" folgen: "Ein Rückfall zur Drachme würde das Land um mehr als zwei Jahrzehnte zurückwerfen."

Der CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber sprach sich im Gespräch mit der SZ für den Verbleib Griechenlands im Euro-Raum aus - "aber nicht zu jedem Preis". Europa sei heute sehr viel besser auf einen Austritt der Griechen aus der Euro-Zone vorbereitet: "Die Brandmauer ist gebaut."

Links von CSU und FDP sieht man den Austritt nicht als unausweichlich an. Der Linke-Europaparlamentarier Jürgen Klute zeigte sich im SZ-Gespräch empört: Dass die Diskussion um einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ausgerechnet jetzt stattfindet, hält er für "eine Drohgebärde gegenüber dem griechischen Wähler" in dem Sinne, dass sich die griechischen Bürger künftig so verhalten sollen, wie die Märkte dies erwarteten. "Das ist eine unglaubliche Missachtung eines Wahlergebnisses", sagt Klute.

"Für Deutschland wird es sehr, sehr kostspielig"

Auch SPD-Europaparlamentarier Udo Bullmann, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON), hält nichts von dieser Lösung. Durch die Abwertung der griechischen Drachme werde der Schuldenberg explodieren: "Für Deutschland wird es sehr, sehr kostspielig. Wir werden die teuerste und am wenigsten wünschenswerte Entwicklung haben." Dass die griechische Krise sich verschlimmere, sei "Beleg der politischen Unfähigkeit Angela Merkels und Nicolas Sarkozys". Denn in der Größenordnung handle es sich bei der griechischen Ökonomie um "ein Problem, das US-Präsident Barack Obama von Montag auf Dienstag" lösen würde.

Ein Austritt aus dem Euro und die Rückkehr zur Drachme hätte für Griechenland Vor- und Nachteile. Eine neue, eigene Währung verspricht mehr Flexibilität. Das Land könnte die Neo-Drachme abwerten, so seine Arbeitskosten senken und mehr exportieren. Für ausländische Firmen wäre es billiger, im Land zu produzieren. Das würde Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Ein Grund für die wirtschaftliche Schwäche des Landes sind die hohen Arbeitskosten und die gering ausgeprägte Industrie, die zu wenige exportfähige Güter herstellt. Die von den internationalen Geldgebern verordneten radikalen Reformen und Sparpakete bringen die Bevölkerung gegen die Politik auf, weil sie die Rezession zunächst verschlimmern.

Doch der Austritt würde auch dazu führen, dass noch mehr Griechen ihr Geld ins Ausland schaffen als bisher. Kapitalflucht könnte das Land schwächen. Dazu kommt, dass Griechenland auch weiterhin hoch verschuldet sein wird, vor allem bei den öffentlichen Geldgebern der Europartner. Diese werden die Hilfszahlungen zurückfordern - und zwar in harten Euros. Wertet Griechenland seine neue Währung ab, wird es umso schwieriger, die hohen Auslandsschulden zu begleichen. Klute spricht sich deshalb für eine "solidarische europäische Lösung" aus und fordert eine Zinsentlastung für Griechenland. Außerdem solle dem Land mehr Zeit zur Stabilisierung gegeben werden: "Mindestens drei Jahre".

Ein Euro-Austritt hätte nach Ansicht Sven Giegolds, Finanzfachmann der Grünen im EU-Parlament, dramatische Folgen: Zwar könne Griechenland seine Banken mit einer neuen Währung stabilisieren. Doch ginge mit der Abwertung der Drachme ein dramatischer Verfall der Kaufkraft einher. Das wiederum führe zu "massenhafter Verarmung": "Das würde die binnenorientierte Wirtschaft in ein Chaos mit massenhaften Unternehmenszusammenbrüchen führen." Die Griechen müssten nun selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. Dazu dienten Wahlen und Regierungsbildung.

Die Möglichkeit "Grexit" macht auch die Anleger an den Börsen nervös. Der Dax verlor am Montagvormittag zwei Prozent. Die Kurse mehrerer griechischer Banken sackten um mehr als vier Prozent ab. Die Rendite zehnjähriger griechischer Staatsanleihen stieg von 24,4 Prozent auf zwischenzeitlich mehr als 28 Prozent. Dieser Wert gibt an, wie viele Zinsen ein Staat seinen Gläubigern bieten muss, um sie zum Kauf griechischer Papiere zu bewegen. Je unsicherer Anlegern der Staat erscheint, desto höher die Rendite.

Deutsche Staatsanleihen sind dagegen beliebter denn je, die Anleger fliehen in den "Bund" - die zehnjährige Anleihe. Das Papier halten viele Anleger für das solideste unter den Anleihen der Euro-Staaten. Die Rendite sank unter 1,45 Prozent - der niedrigste Wert seit dem Start des Euro.

Die Debatte um einen Austritt Griechenlands wird also intensiver, nur auf höchster offizieller Ebene selbst will man darüber nicht reden. Am Abend werden die Euro-Finanzminister in Brüssel über die Krise beraten. Auf die Frage, ob sie auch über einen Ausstieg beraten wollten, sagte Euro-Gruppen-Chef Juncker kurz und knapp: "Nein." Darüber hinaus wollte er sich dazu nicht äußern.

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