Modellprojekt der Arbeitsagentur:Das Wunder von Weiden

30 Prozent weniger Arbeitslose in acht Monaten - dafür brauchte die kleine Stadt Weiden an der tschechischen Grenze viele Briefe, Überstunden und energische Berater.

Hannah Wilhelm

Lubov Balles verdient 930 Euro und ist glücklich. Endlich hat sie einen Job. Vor drei Jahren kam sie aus dem Nordkaukasus in die Oberpfalz. In Russland hat sie 20 Jahre in einer Glasfabrik gearbeitet, in der Qualitätskontrolle. Viel gemessen habe sie dort und Spaß gemacht habe es, erzählt Balles schüchtern und sucht zart tastend nach jedem einzelnen Wort. Mit dem Arbeiten war in Deutschland dann Schluss. Hier sprach sie die Sprache nicht, hatte keine deutsche Ausbildung und war mit 41 Jahren auch nicht mehr ganz jung. Mit anderen Worten: schwer vermittelbar.

Modellprojekt der Arbeitsagentur: Klaus Schmitz von der Bundesagentur für Arbeit: "Wir haben Langzeitarbeitslose in Arbeit gebracht. Was kann daran falsch sein?"

Klaus Schmitz von der Bundesagentur für Arbeit: "Wir haben Langzeitarbeitslose in Arbeit gebracht. Was kann daran falsch sein?"

(Foto: Foto: dpa)

Beachtlicher Rückgang der Arbeitslosenquote

Trotzdem hat sie Arbeit gefunden, zum 1. Juli im Altenheim Kursana Domizil. Und damit ist sie jetzt Teil eines Wunders, oder wie es Weidens SPD-Oberbürgermeister Kurt Seggewiß etwas weltlicher ausgedrückt: Teil einer "Erfolgsgeschichte". In Weiden in der Oberpfalz ist die Arbeitslosigkeit in den vergangenen acht Monaten um 30 Prozent zurückgegangen: Die Quote sank von 10,2 auf 7,1 Prozent. Im Oktober werden es vermutlich sogar nur noch etwas mehr als fünf Prozent sein.

Weiden ist ein hübsches 42.000-Einwohner-Städtchen nahe der tschechischen Grenze - und bisher nicht unbedingt für Wunder bekannt. Während des kalten Krieges lag es abseits, im Zonenrandgebiet. Immerhin kamen so ein paar größere Firmen - wegen der Förderung. Außerdem gab es eine starke Porzellan- und Glasproduktion. Doch in den achtziger und neunziger Jahren ging es abwärts, die Förderung verschwand und damit auch viele Unternehmen. Porzellan kam billiger aus China, und so fand sich das Städtchen 2007 auf dem letzten Platz der bayerischen Arbeitslosenstatistik wieder. Es war Zeit für ein Wunder.

Dann kam Klaus Schmitz. Sein Arbeitgeber, die Bundesagentur für Arbeit aus Nürnberg, genauer Rainer Bomba, Leiter der Regionaldirektion Bayern, schickte ihn nach Weiden für das Projekt "Job-Perspektive Plus". Das war im Dezember 2007, und seitdem schrumpft die Arbeitslosenquote. Deshalb sieht die Bundesagentur das Modellprojekt als Erfolg an, Rainer Bomba freut sich. Oberbürgermeister Seggewiß auch: Die Stadt hat durch das Projekt bereits 300.000 Euro gespart - Sozialleistungen, die nicht gezahlt werden mussten.

An diesem sonnigen Septembertag ist es ruhig vor der Arbeitsagentur in Weiden. Kein Mensch weit und breit. An einen grauen Pfeiler vor dem kastigen Flachdach-Gebäude hat jemand einen Aufkleber der Linkspartei geklebt, der "Wein statt Wasser" und das für alle fordert. Nein, soweit ist man in Weiden noch nicht. Und vor der Arbeitsagentur ist es nur deshalb so leer, weil sie täglich um 12.30 Uhr schließt, und jetzt ist es doch schon fast Abend. Klaus Schmitz ist trotzdem noch da, im dritten Stock unter dem heißen Flachdach sitzt er zwischen seinen Umzugskartons, die noch nicht aus- oder schon wieder eingepackt sind, so genau weiß man das nicht.

Wie ein Unternehmensberater ist er angereist zu dem Projekt "Job-Perspektive Plus". Und so sieht er auch aus, schlank, in seinem hellgrauen Nadelstreifen, mit weißem Hemd, grauer Krawatte und einer dezenten silbernen Anstecknadel am Revers. Und weil er das Projekt ja anscheinend ziemlich gut gemacht hat und die Sache läuft, darf er nun endlich Heim, wie er sagt, nach Augsburg. "Das ist nichts als Schwabe in der Oberpfalz", erklärt er und blinzelt durch seine eckige Beraterbrille hindurch, die McKinsey zu schreien scheint. Tut sie aber nicht, denn Schmitz ist ja Beamter.

"Wirklich neue Ideen sind nicht dabei"

Und als Beamter hat er auch nichts für Wunder übrig. Das Projekt habe nur gezeigt, was man schaffen könne, wenn man mehr Beratung anbiete, ein paar Prozesse optimiere und die Arbeitssuchenden zielgenauer ausbilde, sagt er. Und tatsächlich ist das Projekt kein Wunderwerk. "Wirklich neue Ideen sind nicht dabei", sagt Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. "Mir scheint, die Arbeitsagentur hat hier einfach nur ihre normalen Aufgaben gut gemacht."

Zunächst analysierten Schmitz und eine Kollegin die Arbeitsmarktsituation in Weiden, machten Problempunkte aus, schulten die Beratungskräfte. Dann schrieb die Agentur alle 2289 arbeitslosen Weidener an und lud sie zu einer intensiven Beratung ein. Dafür reisten fünf zusätzliche Mitarbeiter an, aus Städten mit geringer Arbeitslosigkeit wie Donauwörth und Freising - wo es für die Arbeitsagentur nur wenig zu tun gibt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über die Kritik am Wunder von Weiden.

Das Wunder von Weiden

Danach lief die Vermittlung an: Schmitz und seine Leute organisierten Bewerbertreffen mit allen Zeitarbeitsagenturen der Umgebung, tourten durch die Lande und klopften bei Unternehmen an, ob nicht doch noch ein Arbeitsplatz zu besetzen sei. Die Stadt Weiden zog mit: "Auch der Oberbürgermeister hat Unternehmen angesprochen", sagt Schmitz. Sowieso sei die enge Zusammenarbeit zwischen Stadt und Arbeitsagentur wichtig gewesen. "Wenn eine Alleinerziehende uns gesagt hat, sie möchte arbeiten, hat aber keinen Krippenplatz für ihr Kind, dann hat die Stadt Krippenplätze gesucht oder sogar geschaffen."

170 Überstunden in sechs Monaten

Die ersten Auswirkungen des Projektes zeigten sich schnell: Knapp fünf Prozent der Arbeitslosen wollten nicht mitmachen und meldeten sich ab - auch das senkt die Arbeitslosenquote. Bei der Vermittlung neuer Arbeitsstellen kam natürlich die gute konjunkturelle Lage zu Hilfe. Und besonders engagierte Mitarbeiter, die aus dem Projekt unbedingt einen Erfolg machen wollten. Der 46-jährige Schmitz hat in den vergangenen sechs Monaten 170 Überstunden gemacht. Nicht nur in Weiden, auch bei der Agentur ist ein Wunder gerne gesehen.

Für die, die nicht im ersten Arbeitsmarkt landen konnten, wurden Fördermöglichkeiten genutzt. Seit dem vergangenen Jahr können Stellen für Langzeitarbeitslose bei privaten Unternehmen bezuschusst werden. So eine "Paragraph-16a- Stelle", wie das alle hier nennen, hat auch Lubov Balles. 75 Prozent ihres Gehalts zahlt der Bund, die freundliche Qualitätskontrolleurin kostet das Altenheim folglich nur 120 Euro.

Die Förderung ist umstritten. Die größte Sorge der Kritiker: Reguläre Arbeitsplätze könnten so ersetzt werden. Außerdem seien das keine echten Arbeitsplätze - schönten aber trotzdem die Statistik. Schmitz schüttelt den Kopf: "Derzeit gibt es in Weiden nur 18 solcher Stellen, mehr nicht." Balles ist es wohl egal, welchem Paragraphen sie ihren Job zu verdanken hat. Ihre Tochter hat kürzlich zu ihr gesagt: "So eine tolle Arbeit machst du da, Mama." Das freut Balles und sie lacht. Sowieso lache sie viel mehr als noch vor zwei Monaten, erzählt ihre Chefin. Abends liest Balles der Tochter jetzt immer Märchen vor. Um Deutsch zu üben, damit sie nicht ins Straucheln kommt, wenn sie den Frauen und Männern im Altenheim etwas vorliest.

Kritik am Wunder

Doch die Vorbehalte der Kritiker liegen nah: Vorbild für das Weidener Projekt war die "Bürgerarbeit" in Sachsen-Anhalt. Oberbürgermeister Kurt Seggewiß hört das nicht gerne. Das Wort sei "verbrannt", findet er. Auch für das Projekt "Bürgerarbeit" war Rainer Bomba verantwortlich, 2006 noch bei der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen. Er drückte die Arbeitslosenquote in der 6000-Einwohner-Stadt Barleben von 8,6 auf drei Prozent und sprach vom "Freising des Ostens". Schwerpunkt des Projekts lag darauf, Langzeitarbeitslose staatlich finanziert in gemeinnützigen Einrichtungen arbeiten zu lassen.

Das Projekt wurde gefeiert, dann aber kam Kritik auf: Das Ifo-Institut Dresden ließ vernehmen, die dauerhafte staatliche Finanzierung solcher Stellen laufe Gefahr, reguläre Beschäftigung zu verdrängen und die öffentlichen Kassen zu belasten. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit merkte Ende 2007 an, das Projekt sei bislang "nur bedingt erfolgreich".

Lesen Sie auf der nächsten Seite: So wie in Weiden kann es nicht überall klappen.

Das Wunder von Weiden

Eben deshalb hört Oberbürgermeister Seggewiß den Begriff "Bürgerarbeit" nicht so gerne. Seit einem Jahr ist er im Amt. "Kurt kommt" verkündet ein kleiner Spielzeug-SPD-Lkw aus Wahlkampfzeiten, der auf dem Regal in seinem Arbeitszimmer steht. Ja, Kurt kam und zwar von der Agentur für Arbeit von der Nachbarstadt Schwandorf, wo er zuvor arbeitete.

Er ist also vom Fach. Deshalb war er wohl auch so schnell Feuer und Flamme für Bombas Idee, Weidens Arbeitsmarkt aufzupeppen. "Bürgerarbeit" ging nicht - also einigten sich die Beteiligten auf den Begriff "Job-Perspektive Plus". Das Ziel: möglichst viele Menschen in den ersten Arbeitsmarkt und nicht auf geförderte Stellen zu vermitteln. Und das scheint diesmal besser geklappt zu haben.

Nicht für jede Stadt geeignet

Statt 2289 Arbeitslosen gibt es nur noch 1592. Genau 31 Prozent wurden in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt. Deshalb träumt Seggewiß davon, das Modell zu exportieren. Und warum eigentlich nicht? Warum übernehmen nicht alle Städte, die unter einer hohen Arbeitslosigkeit ächtzen, "Job-Perspektive Plus"? Warum schickt die Agentur nicht einfach Klaus Schmitz von Stadt zu Stadt? "Um Gottes Willen", stöhnt der unter dem heißen Flachdach der Weidener Arbeitsagentur, und über seine gebräunte Stirn laufen noch mehr Schweißtropfen.

Vermutlich denkt er an die 170 Überstunden und an sein Zuhause, auf das er sich so freut. "Das Projekt kann nicht jeder Stadt drübergestülpt werden, so einfach ist das nicht", sagt er. "Das Besondere in Weiden war zum Beispiel, dass viele Arbeitslose zwischen 30 und 49 Jahre alt waren." Ein Alter, in dem sich Arbeitnehmer noch sehr gut vermitteln lassen. "Außerdem steht und fällt der Erfolg mit dem Arbeitsmarkt. Wo keine Arbeit ist, können wir auch keine schaffen." Hinzu kam, dass die Bundesagentur gerade viel Geld für Fort- und Weiterbildung hat.

Wunder sind das also wirklich nicht, vielleicht einfach nur gute Arbeit und einige glückliche Umstände. "Die Bemühungen sind zu begrüßen. Aber ob das Projekt wirklich ein Erfolg ist, lässt sich jetzt noch nicht beurteilen", sagt DIW-Chef Zimmermann. "Fragen Sie mich in zwei Jahren noch mal", sagt auch Hermann Hubmann, der das Projekt für die Stadt koordiniert. Und vermutlich eben diese zwei Jahre wird es dauern, bis Förderungen und Weiterbildungen ausgelaufen sind und sich Wissenschaftler ein realistisches Bild machen können.

Endlich eine Mikrowelle

Ganz so mag es der Beamte Schmitz dann aber doch nicht sehen: "Wir haben Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit gebracht. Was kann daran falsch sein?" Da wird ihm Lubov Balles wohl zustimmen. Sie sagt, sie sei selbstsicherer als vor zwei Monaten. Dass sie von Tag zu Tag besser Deutsch spricht. Und dass sie sich endlich eine Mikrowelle leisten kann. Ob sie Teil eines Jobwunders ist oder nicht, das ist ihr ziemlich egal.

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