Mode:H&M scheitert an sich selbst

Mode: H&M hat wie viele Modehändler in der Corona-Zeit besonders gelitten.

H&M hat wie viele Modehändler in der Corona-Zeit besonders gelitten.

(Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)
  • Früher brachte H&M den aktuellsten Trend am schnellsten und günstigsten in die Geschäfte.
  • Heute sind andere modischer und billiger.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Der Frühling soll schuld sein, ausgerechnet. Tonnenweise Kleidung ist mal wieder liegen geblieben. Weil es ungewöhnlich kalt war, sagte Karl-Johan Persson, als er im März die Quartalszahlen vorstellte - den niedrigsten Gewinn seit mehr als einer Dekade. Am Dienstag, als Persson sich seinen Aktionären auf der Hauptversammlung stellte, schien die Sonne dann so warm auf Stockholm, als spotte sie über ihn und seine unverkaufte Frühjahrskollektion.

Etwa 600 Aktionäre hatten sich in dem großen Saal des Karolinska-Instituts versammelt, der nach Karl-Johans Großvater Erling Persson benannt ist, dem Gründer von H&M. Der Enkel sprach von den Veränderungen, die er nun bewältigen muss. Karl-Johan Persson, 43, hat vor neun Jahren den Chefsessel im einst erfolgreichsten Modekonzern der Welt geerbt. Seit Jahren wackelt der Erfolg, seit Monaten herrscht Krisenstimmung. Der Aktienkurs ist 2017 um ein Drittel eingebrochen. Zum ersten Mal, seit Karl-Johan Persson übernommen hat, ist auch der Umsatz gesunken, deutlicher als befürchtet. Die Marge schrumpft schon länger. Alles, was H&M einst groß gemacht hat, scheint heute nicht mehr zu funktionieren.

"Es steckt irgendwo in der Mitte fest"

Früher hat H&M den aktuellsten Trend am schnellsten und günstigsten in jede Einkaufsstraße gebracht. Heute sind andere modischer, etwa weil sie in Europa produzieren, wie der spanische Wettbewerber Inditex. Oder sie sind billiger, etwa weil sie weniger in Werbung investieren, wie Primark. Selbst das dichte Filialnetz, früher eine Stärke der Schweden, wird heute fast zur Last. H&M werde links und rechts überholt, sagt Tina Weber, die International Fashion Retail in Reutlingen lehrt, "es steckt irgendwo in der Mitte fest".

Niemand weiß so recht, wo H&M eigentlich steht. In einer Identitätskrise, so viel scheint sicher. Weder das Produkt stimmt noch der Weg, auf dem H&M es anbietet, in seinen heute 4743 Filialen weltweit.

Als Problem Nummer eins nennen viele das Internet, auf das sich H&M zu spät eingestellt habe. Ein Laden an jeder Ecke, das Konzept hat in einer Welt funktioniert, in der man am Ende des Samstages eben das beste Kleid zum günstigsten Preis gekauft hat, das man in der Einkaufsstraße finden konnte. Es funktioniert nicht mehr, wenn das Internet mit Anbietern wie Amazon und Zalando die Auswahl schier unendlich werden lässt.

H&M hat zwar reagiert, den Online-Handel ausgebaut. Es hat erst kürzlich mit "Nyden" eine Marke geschaffen, die Trends aus dem Netz aufgreifen und auch nur dort verkaufen soll. H&M sei stolz darauf, dass es online wächst, sagt Erik Sjöström, Portfolio-Manager beim schwedischen Finanzdienstleister Skandia. "Aber ich glaube, dass sie einfach Kunden von ihren Geschäften zur Online-Boutique verschoben haben." Ein zusätzlicher Vertriebsweg, aber keine zusätzlichen Einkäufer. Für Erik Sjöström ist klar, dass H&M bei den Filialen sparen muss. Das Unternehmen hat zwar angekündigt, 170 Läden in diesem Jahr zu schließen, gleichzeitig sollen aber 390 neue öffnen.

"Es ist offensichtlich, dass das Angebot nicht mehr funktioniert"

Das zweite Problem ist das Produkt. H&M gibt inzwischen selbst zu, dass es sich verschätzt hat bei dem, was seine Kunden haben wollen. "Es ist offensichtlich, dass das Angebot nicht mehr funktioniert", sagt Analyst Erik Sjöström. Ähnlich wie bei Gap oder Marks & Spencer sei die Zielgruppe von früher der Marke H&M entwachsen. Sie scheint auch bei der Jugend von heute nicht landen zu können.

Kulturwissenschaftler Warkander

"Sie müssen sich selber fragen, was sie sein wollen", sagt er. Im Moment scheint das niemand zu wissen."

Es ist nicht so, dass Karl-Johan Persson nichts Neues versucht hätte. Seit 2007 hat er sieben neue Marken erschaffen. H&M habe zwar erkannt, dass heute mehr Menschen eher höherwertig und bewusster einkaufen wollten, sagt Handelsexpertin Tina Weber. Arket, die neueste Marke, ist das Gegenkonzept zur bisherigen Fast Fashion, mit langlebigerer, hochpreisiger Mode, wenig Auswahl und recycelten Stoffen. Doch H&M müsse damit nun in die Masse gehen, schwierig bei dieser Größe, sagt Weber. "Und dann ist die Frage auch immer, wie glaubwürdig ein Fast-Fashion-Konzern dieses Image verfolgen kann und wie viel davon Greenwashing ist." Bis 2030 will das Unternehmen, das zuletzt etwa für schmutzige Viskose-Produktion in China kritisiert wurde, ausschließlich recycelte Materialien oder solche "aus anderen nachhaltigen Quellen" verwenden.

"Sie müssen sich selber fragen, was sie sein wollen"

Einen zweiten Trend konnte man am Montag in New York beobachten: Dort trat H&M bei der Met Gala auf, mit eigener Kollektion. Es sei heute mehr vom eigenen Design getrieben als zuvor, sagt die schwedische Modehistorikern Ulrika Kyaga und nennt H&M "den Elefanten im Raum der High Fashion". Der Konzern investiert in eigene Modeschauen in Paris und entwirft Abendroben, die selbst skandinavische Prinzessinnen tragen. Trotzdem: "Ihre Kollektionen haben nicht den Ruf geerntet, den sie gerne hätten." Fast und High Fashion, mehr Online und gleichzeitig mehr Filialen, Nachhaltigkeitsziele trotz Billigproduktion in Äthiopien, und eine neue Marke nach der anderen. H&M folgt nicht einem Trend, es folgt vielen.

"Das große Narrativ hat sich verändert, aber sie erzählen immer noch dieselbe Story"

Philip Warkander lehrt Kulturwissenschaften an der Universität in Lund und lässt kein gutes Haar an den Produkten des schwedischen Konzerns: "Sie müssen sich selber fragen, was sie sein wollen", sagt er. "Im Moment scheint das niemand zu wissen." H&M müsse sich komplett neu erfinden, wenn es langfristig überleben "und nicht wieder nur ein Eckladen in Västerås" sein wolle.

In Västerås, Mittelschweden, eröffnete Erling Persson 1947 sein erstes Damenmodengeschäft und nannte es "Hennes", das heißt "ihres" auf Schwedisch. Mehr als 20 Jahre später kaufte er die Firma Mauritz Widforss dazu, die Jagd- und Angelausstattungen anbot. Seither gab es bei ihm auch Herrenmode. 1974 hängte Persson die beiden Buchstaben "H&M" über seine Geschäfte, für "Hennes & Mauritz".

Erling Persson half es, dass Schweden sich aus dem Zweiten Weltkrieg herausgehalten hatte. Der Wirtschaft ging es blendend, die Menschen konsumierten, Möbel von Ikea, Kleidung bei H&M. Damals, nach dem Krieg, sei es ein Zeichen von Fortschritt und Modernität gewesen, viel zu kaufen und es schnell abzunutzen, sagt Philip Warkander, "Konsum war trendy". Die Manager von H&M führten ihr Geschäft heute immer noch wie vor 50 Jahren und verstünden trotzdem nicht, warum niemand mehr bei ihnen kauft. "Das große Narrativ hat sich verändert, aber sie erzählen immer noch dieselbe Story."

Es ist die Story der Perssons, die Familie hält die Mehrheit der Anteile. Karl-Johan Persson muss nicht um seinen Chefposten fürchten, solange Vater Stefan den Aufsichtsrat leitet. Kann das gutgehen in einem börsennotierten Konzern? "Ich mag Unternehmen mit einem starken Eigentümer, dem Gründer oder seiner Familie", sagt Analyst Erik Sjöström. "Man hat jemanden, der mehr leidet als man selbst, wenn die Dinge schiefgehen." Trotzdem hat Sjöström 2017 fast alle H&M-Aktien aus seinem Portfolio verkauft.

Erling Persson war der Entrepreneur, er hat das Unternehmen auf-, sein Sohn Stefan hat es ausgebaut. Heute sei H&M eine internationale Marke, die immer noch wie ein "kleiner, schwedischer Laden" operiere, klagt Modeexperte Warkander, mit lokalen Designern und PR-Experten, einer schwedischen Unternehmenskultur. Dabei hat H&M anders als Ikea seine Filialen nie gelb-blau angestrichen, hat seinen Produkten die schwedische Herkunft nicht anmerken lassen. Vielleicht war das schlau: Für Schweden ist H&M ein Weltkonzern, für die Welt ist er aber nicht in erster Linie schwedisch. Wie erfolgreich könnte typisch skandinavische Mode sein? Bisher hat H&M das nicht ausprobiert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: