Mobilitätsdienstleister:Deutschlands Autobauer fürchten die digitalen Newcomer

Schlucken, wachsen, manchmal scheitern: Früher kauften Automanager andere Autokonzerne. Jetzt kaufen sie Taxi-Apps und andere Start-ups. Die Branche ist hysterisch.

Von Caspar Busse, Thomas Fromm und Jan Willmroth

Das große Parkhaus vor der BMW-Zentrale wird gerade abgerissen, nach über 40 Jahren. Als es in den 70er Jahren gebaut wurde, war hier alles state of the art. Der Vierzylinder-Bau, das Olympiastadion in der Nähe, das Parkhaus, die Autos darin. Jetzt ist das Parkhaus voller Tauben und die Plätze darin sind zu klein geworden für die schweren Limousinen und Geländewagen von heute.

Wenn der BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer in diesen Tagen aus seinem Büro im 22. Stock schaut, sieht er also ein zertrümmertes Parkhaus von oben, und das ist vielleicht kein schlechtes Bild für das, was gerade passiert bei BMW, Daimler und VW: Der alten Autowelt drohen große Umbrüche, seit Firmen wie der amerikanische Fahrtenvermittler Uber auf den Markt drängen. "In zehn bis 15 Jahren wird die Mobilität eine ganz andere sein als heute", sagt Schwarzenbauer. "Bis dahin haben Sie sich entweder darauf eingestellt, oder es wird schwierig."

"Es ist eine Hysteriewelle, die da gerade durchs Land geht"

Aber auf was soll man sich da einstellen, wenn gerade alles im Fluss ist? Wenn der 200-Milliarden-Umsatz-Konzern VW, einer der größten Autobauer der Welt, für schlappe 300 Millionen Dollar bei der israelischen Taxi-App Gett einsteigt und behauptet, dies sei die Zukunft? Alte Tanten wie Toyota und Fiat flirten mit Uber, General Motors steckt 500 Millionen Dollar in den Uber- und Gett-Konkurrenten Lyft und der Marktwert des Newcomers Uber mit seinen 6500 Mitarbeitern wird auf bis zu 70 Milliarden Dollar geschätzt - mehr als BMW an der Börse wert ist.

Der saudi-arabische Staatsfonds schießt mal eben 3,5 Milliarden Dollar in Ubers Kasse und Autokonzerne kaufen im Wochenrhythmus irgendwelche Park-Apps, von denen die Welt bisher noch nie etwas gehört hat - sie ist schon seltsam geworden, die Autowelt. Früher sprachen Automanager über PS, heute über selbstfahrende Computer-Autos. Und dass Apple und Google schon bald mit eigenen, selbstfahrenden Elektroautos auf den Markt kommen könnte, macht die alten Autobauer nervös. Denn Google und Apple sind nicht irgendwelche Firmen. Es sind die Ikonen der Jugend.

"Es ist eine Hysteriewelle, die da gerade durchs Land geht", sagt Schwarzenbauer. Ach, wie schön wäre es, wenn alles nur Hysterie wäre. Aber Schwarzenbauer sagt eben auch: "Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis. Die Autoindustrie als solche ist es nicht." Es ist ein erstaunlicher Satz für einen 56-jährigen, der seit 30 Jahren in der Autoindustrie arbeitet. Denn er bedeutet: Theoretisch könnte es in diesem Geschäft irgendwann auch ohne uns gehen. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, werden sie kommen und uns zertrümmern. So wie dieses alte graue Parkhaus da unten.

"Personenbeförderung spaßig machen"

Travis Kalanick ist einer von denen, denen man zutraut, alles einzuschlagen. Der Zertrümmerer ist fast 20 Jahre jünger als die Generation Schwarzenbauer, und wer ihn für einen reinen Computernerd hält, hat nicht verstanden, worum es geht. Er ist in dieser Woche nach Berlin gekommen, in die "Factory", einen Start-up-Campus, in dem Gründer auf erfahrene Unternehmer treffen. Kalanick steht jetzt vor der Backsteinwand im ersten Stock, seine roten Nike-Sneakers sind noch neu, das grün-weiß-karierte Hemd hängt lässig über der Hose. Im Publikum sitzen Kapitalgeber und Berliner Firmengründer, in der ersten Reihe hat die europäische Führungsmannschaft von Uber Platz genommen. Vorsprung durch Technik? Von wegen. "Wir wollten dieses langweilige Ding, das sich Personenbeförderung nennt, spaßig machen", verspricht der Amerikaner.

Binnenschiff in den Niederlanden
(Foto: Oliver Berg/dpa)

Kalanick erzählt eine seiner Lieblingsgeschichten: Irgendwann im Jahr 2008 waren er und sein Mitgründer in Paris, und wer schon einmal versucht hat, in Paris abends ein Taxi zu bekommen, der versteht ganz gut, warum die beiden damals laufen mussten. Sein Kumpel soll, so der große Uber-Gründungsmythos, gesagt haben: "Ich will jetzt einfach nur einen Knopf drücken und ein Auto bekommen."

Klick. Das war der Moment, in dem Uber geboren wurde. Ein Taxi-Unternehmen ohne Taxen. Ein Start-up, das davon lebt, dass andere sich und ihre Autos zur Verfügung stellen. "Assetless Company", nennen die Analysten so eine Firma. Das stimmt insofern, als dass es zwar noch Produktionsmittel gibt. Nur gehören die anderen: Den vielen kleinen Ich-AGs. Den Fahrern, die damit auch die Kosten und Risiken am Hals haben. Was für ein Geschäftsmodell!

Seither sind einige Jahre vergangen, viele Milliarden Dollar in die Geschäftsidee geflossen, ein Start-up ist Uber längst nicht mehr. Kalanick wäre kein typischer Silicon-Valley-Unternehmer, wenn er nicht hochtrabende Visionen formulieren würde wie diese: "Transport so verlässlich wie fließendes Wasser, überall und für jedermann." In der Welt des Travis Kalanick sind die Städte voller Fahrzeuge, die nach einem Tipp auf das Smartphone innerhalb weniger Minuten ankommen und die Menschen von A nach B bringen. In einigen US-Städten funktioniert das schon ziemlich genau so. In Deutschland dagegen funktioniert es ganz und gar nicht. Die Taxi-Branche läuft Sturm, weil sie Angst hat, von Uber abgeschafft zu werden.

Der Jäger gehört schon wieder zu den Gejagten

Und der Gesetzgeber will von den Fahren Personenbeförderungsscheine und eine Ortskenntnisprüfung. So viel Bürokratie ist man nicht gewöhnt, wenn man aus Kalifornien kommt und Investoren einen mit Milliarden bewerfen. Kalanick ist heute der Jäger, aber er gehört auch schon zu den Gejagten: Uber ist schon in mehr als 460 Städten aktiv, aber das Geschäftsmodell ist, wenn auch technologisch anspruchsvoll, leicht zu kopieren. In beinahe jeder Stadt hat Uber mindestens einen Wettbewerber.

Auch Schwarzenbauer könnte eines Tages zu den Uber-Konkurrenten gehören, auch wenn er das so nie sagen würde. Im Gegenteil. "Wir werden Uber keine Konkurrenz machen, allein schon, weil wir die Dinge ganz anders angehen", sagt der BMW-Mann. "Es fängt schon damit an, dass wir unsere eigene Fahrzeugflotte nutzen werden." Der BMW-Vorstand trägt hellblaues Hemd zu dunkelblauer Krawatte, rein äußerlich also noch die alte Autowelt. Eine Welt, die bröckelt. Es fängt schon damit an, dass Automanager neuerdings nur noch vom "Mobilitätsanbieter" reden, wenn sie ihre Firma meinen. Autobauen? Gibt's noch, machen wir. Aber wir machen noch viel mehr. Wir können auch anders!

"Ich ändere die Welt für Millionen von Menschen"

Die Münchner sind bei dem israelischen Start-up Moovit eingestiegen - eine App, die alle Nahverkehrsdaten zusammen führen will, gehört jetzt zur BMW-Welt. Auch das hätte es früher nicht gegeben. Der israelische Moovit-Chef Nir Erez hat die Firma mit zwei Partnern vor vier Jahren gegründet, es ist bereits sein drittes Unternehmen, vorher war er im Halbleiter- und Softwaregeschäft. "Ich ändere die Welt für Millionen von Menschen", sagt er. Bescheidenheit ist nicht sein Ding.

BMW will jetzt seine Car-Sharing-Flotte Drive Now nutzen, um zurückzuschlagen. Eigene Autos, angestellte Fahrer mit Ausbildung und Zertifizierung. In den nächsten drei bis fünf Jahren sollen die Dienste in Europa angeboten werden. Aber es soll harmonisch laufen, sagt Schwarzenbauer. "Wir wollen nicht in die Städte gehen und sagen: Hier sind wir, und jetzt machen wir alles platt." Es geht um Kulturen, die heute noch sehr verschieden sind. Aber werden sie sich annähern? Wird Uber am Ende ein bisschen mehr BMW und BMW ein bisschen mehr Uber?

Was passiert, wenn beide Welten aufeinandertreffen, konnte man am Abend auf der Gründer-Konferenz Noah im Berliner Tempodrom beobachten. Unter den hämmernden Beats von Rockys "Eye of the Tiger" fuhren sie gemeinsam in einem gelben Trabbi auf die Bühne.

Am Steuer Bild-Herausgeber und Moderator Kai Diekmann - und Dieter Zetsche, Chef des ältesten Autoherstellers der Welt, daneben Kalanick. Die Rollen waren eigentlich ja klar: Hier der kühne und smarte Herausforderer aus Los Angeles, da der altmodische Autobauer. Doch der 63-jährige Zetsche wusste, dass es an diesem Abend nicht um Autos ging. Ausgewaschene helle Jeans, offenes Hemd, rote Turnschuhe: Kalanick, weißes Hemd, dunkle Hose, gab den blassen Weltverbesserer.

"Wir können die Städte besser machen", sagt Kalanick, und klingt dabei nicht anders als Moovit-Chef Erez. "Wir können kooperieren, wir können aber auch Konkurrenten sein", sagt Zetsche, und klingt dabei wie ein Autoboss.

Neue Spielregeln

"Wir wollen den Menschen ihre Zeit zurück geben." In fünf bis sieben Jahren werde es autonom fahrende Fahrzeuge geben, glaubt der Daimler-Boss. Und wer weiß: Vielleicht machen autonom fahrende Fahrzeuge Uber dann ja sogar überflüssig? Die Mobilitätsdienstleister Daimler und BMW bereiten schon mal die Konter-Revolution vor. Die Frage ist nur: Sollen sie ihre Sache alleine machen oder mit den Ubers, Googles und Apples kooperieren? Wie gefährlich ist es, sich auf den Tiger einzulassen?

Die Spielregeln, die der Tiger vorgibt, sind neu, und es ist nicht so, dass die Autoindustrie sie schon hundertprozentig verstanden hätte. Früher, als Autobauer die Zukunft noch unter sich regelten, war es einfacher. Da ging es um Größe und nichts anderes. BMW versuchte es mit Rover, Daimler mit Chrysler, und VW kaufte jahrelang alles zusammen, was ging. Die Lkw-Hersteller MAN und Scania, den Motorradbauer Ducati, Edelschmieden wie die Supersportwagenfirma Lamborghini. Schlucken, wachsen, manchmal scheitern - jahrelang ging das so. Und jetzt?

"Die Technologie-Anbieter profitieren von diesen Allianzen stärker als die Autokonzerne", sagt Gabriel Seiberth vom Beratungsunternehmen Accenture. Diese hätten das "Nachsehen, denn sie müssen verhindern, dass sie in den nächsten Jahren zu Herstellern von austauschbaren Gebrauchsgegenständen werden". Blech aus Stuttgart oder Dingolfing, powered by Apple und präsentiert vom großen Mobilitätsanbieter Uber? So weit will man es nicht kommen lassen. Sonst endet es wie mit dem Parkhaus vor der Münchner BMW-Zentrale: Man wird irgendwann zerlegt, weil man nicht mehr in die Zeit passt.

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