Netzwerker:Verteilen und Beten

Ron Conway gilt als der Pate des Silicon Valley: Er hat sehr früh in Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter investiert und ist dadurch reich geworden. Nun sagt er: Die Tech-Industrie muss mehr soziale Verantwortung übernehmen.

Von Marc Beise und Ulrich Schäfer

Für Ron Conway, den Mann mit der schlohweißen, etwas ausladenden Frisur, ist es die alles entscheidende Frage, sie beschäftigt ihn, wo immer er redet - sei es vor ein paar Monaten in San Francisco. Oder nun vor zwei Tagen in New York. Die Frage, die Conway bewegt: Was ist nötig, damit die "Tech-Community" nicht bloß an sich selber denkt, an den eigenen Erfolg, sondern auch Verantwortung übernimmt für andere, für die Schwachen der Gesellschaft, für jene Menschen, die nicht das große Geld verdienen?

Darum geht es auch am Montag dieser Woche auf einer Bühne mitten im Big Apple. Conway hat ein paar Hundert zumeist sehr junge Zuhörer vor sich und erklärt der ebenfalls sehr jungen Moderatorin großväterlich: "Vor zehn Jahren war die Tech-Industrie winzig. Heute bilden wir oft einen bedeutenden Teil der Städte. Deshalb müssen wir uns in die Gesellschaft einbringen." Aber wie? Die Tech-Unternehmer und ihre Beschäftigten sollten als Freiwillige in sozialen Projekten arbeiten, sich um Obdachlose kümmern oder in einer Schule helfen, idealerweise in einem Problembezirk, sagt Conway.

Der Kalifornier ist nach New York gekommen, um die Konferenz "Tech Crunch Disrupt NY 2015" mit zu eröffnen. Disruption ist das Zauberwort des Silicon Valley und der Digitalbranche; es heißt wörtlich "Unterbrechung", meint aber in Wahrheit "Zerstörung" - Zerstörung des Alten, blitzartige Innovation, Revolution, nicht Evolution. Und es werden dabei nicht bloß neue Jobs geschaffen, Zehntausende, Hunderttausende, sondern auch Millionen von Jobs zerstört. Über diese negativen Seiten der Digitalisierung wollen die meisten bei solchen Gute-Laune-Treffen wie in New York nicht reden, sie interessiert eher der perfekte Businessplan.

Conway aber tut es, auch wenn er ein zentraler Teil des Systems ist, einer der mächtigsten Investoren des Valley. Oder ist, wie manche Kritiker meinen, sein Werben für mehr soziale Verantwortung nur Teil einer wohlkalkulierten Strategie? Taktik? Versucht er so, Wohlwollen zu schaffen für eine Industrie, die im Grunde nur eines will: ungezügelt wachsen?

San Francisco und das Valley kennen solche Versammlungen der Tech-Community schon lange: Konferenzen, bei denen die Stars der Branche aufs Podium kommen und Newcomer sich auf einer Art Hausmesse bekannt zu machen hoffen, auf dem "Battlefield". Mit einiger Verzögerung ist der Zirkus an der Ostküste angekommen, in der wichtigsten Stadt Amerikas, in New York, das etwas gebraucht hat, den Anschluss zu finden, nachher wird Bürgermeister Bill De Blasio stolz verkünden, dass man gerade dabei sei, dem Silicon Valley den Rang abzulaufen.

Conway ist ein Business-Engel, so heißt auch seine Firma "SV Angel", die junge Firmen finanziert, und in einer winzigen Straße im Herzen von San Francisco sitzt, in einem schmalen, hypermodernen Haus, das sich zwischen die alten Gebäude in der Maiden Lane zwängt. Kaum ein Investor ist so lange im Geschäft wie Conway, Jahrgang 1951, er hat schon Angel Business betrieben, als noch kaum jemand den Begriff kannte, hat kleine Start-ups finanziert, und dabei häufig den richtigen Riecher gehabt. Das Kapital dafür hat er zuvor in der Computerindustrie verdient, erst als Manager bei National Semiconductor, später als Mitgründer einer Computerfirma namens Altos, die er 1990 für viel Geld verkauft hat.

TechCrunch Disrupt SF 2011 Day 3

Ron Conway auf einer der vielen Tech-Konferenzen: Seine Meinung ist gefragt. Viele suchen seine Nähe, hoffen auf seine Aufmerksamkeit und auf sein Geld.

(Foto: David Paul Morris/Bloomberg)

"Spray und Pray" nennt er selbst seine Anlagestrategie: verteilen und beten. Das Beten hat geholfen, sehr sogar. So hat Conway etwa in das Unternehmen von Sergej Brin und Larry Page investiert, als dieses noch Backrub hieß - und noch nicht Google. Spät hat er bei Google andere Investoren an Bord geholt, größere Wagniskapitalfirmen und damit entscheidend geholfen, das Unternehmen groß zu machen. Er war als Angel Investor, als jemand, der sehr früh in ein Start-up investiert, manchmal nur ein paar Wochen oder Monate nach der Gründung, auch bei vielen anderen Erfolgsgeschichten dabei: bei Twitter und Paypal, bei Dropbox und Pinterest, bei Airbnb und Facebook. Er ist damit ungeheuer reich geworden. Noch heute hält er Beteiligungen an 188 Firmen. Spray und Pray.

Conway ist ein stattlicher Mann mit einem mächtigen Kreuz. Jemand hat mal gesagt, er sehe aus wie ein pensionierter Feuerwehrmann aus Boston, und wenn sich dieser Kerl in New York durch die Menge der Konferenzteilnehmer schiebt, dann ist der Promifaktor nicht zu übersehen. Man sucht seine Nähe, hofft auf seine Aufmerksamkeit, auf sein Geld. Wer einmal in seinen Kreis aufgenommen worden ist, für den ist er da, wenn es sein muss 24 Stunden am Tag. Seine Feste sind legendär, die Gäste dort sind meist keine 30 Jahre alt.

Man nennt ihn den Godfather des Valley, den Paten, und damit hat Conway auch kein Problem, solange sich das auf sein Netzwerk bezieht, das er seit Jahren pflegt - ein Netzwerk, zu dem der ehemalige Außenminister Henry Kissinger ebenso zählt wie der frühere Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, oder der Golfprofi Tiger Woods. Das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes nennt ihn den "am meisten über-vernetzten Kerl in den Tech-, Politik- und Promi-Kreisen der gesamten Bay Area", also im Großraum von San Francisco, einer Gegend, die noch weit über das Silicon Valley hinausreicht.

Der Pate - dieser Spitzname klingt weniger schön, wenn damit auf mafiöse Strukturen angespielt werden soll, wie es manche seiner Kritiker tun. Das kann sich dann auf seine enge Beziehung zu Ed Lee, dem Bürgermeister seiner Heimatstadt San Francisco beziehen, den er reichlich mit Wahlkampfspenden versorgt hat und der ein offenes Ohr für die Wünsche der IT-Industrie hat. Conway macht keinen Hehl daraus , dass er Lee schätzt und ihn für einen Segen für San Francisco und die Tech-Firmen hält, und natürlich tut er, was er kann, den Bürgermeister zu unterstützen. Der wiederum senkte, auf Drängen von Conway, die Steuern für Tech-Unternehmen wie Twitter, die sich mitten in der Stadt niedergelassen haben.

Um die Politik zu umgarnen, hat Conway 2011 auch einen eigenen Verband gegründet, einen Zusammenschluss von mittlerweile mehr als 500 Tech-Firmen namens sf.citi. Das steht als Abkürzung für "San Francisco Citizens Initiative of Technology and Innovation". Sf.citi versteht sich als eine Art Handelskammer für Internetfirmen und fühlt sich einerseits sozialen Projekten verpflichtet; andererseits betreibt sf.citi auch knallharte Interessenpolitik und wirbt für weitere Steuererleichterungen.

Die Ein-Prozent-Initiative

Die Idee stammt von Marc Benioff, dem Gründer von Salesforce, einem Software-Anbieter aus San Francisco, der schneller gewachsen ist als die meisten Unternehmen im Silicon Valley: Als Benioff vor gut 15 Jahren mit seiner Firma loslegte, einem damals ziemlich unbedeutenden Start-up, steckte er ein Prozent der Aktien in eine Stiftung - um das Vermögen für soziale Zwecke zu reservieren. Das Aktienpaket war damals nicht sehr viel wert, "wir hatten keine Angestellten und haben null Gewinn gemacht", sagt Benioff. Aber so wie der Wert von Salesforce im Laufe der Jahre nach oben geschossen ist, erst durch den Einstieg von immer neuen Investoren, später dann an der Börse - so hat sich auch der Wert jener Aktien vervielfacht, die Benioff der Salesforce-Foundation übertragen hatte. Heute ist das Paket rund 100 Millionen Dollar wert. Benioff sagt: "Das war die beste Entscheidung meines Lebens."

Mittlerweile hat diese Modell Schule gemacht, auch andere Unternehmen aus dem Silicon Valley haben sich dazu verpflichtet, ein Prozent ihrer Aktien in eine Stiftung zu stecken. Aber nicht bloß dies, denn die Ein-Prozent-Initiative, wie sie Benioff gegründet hat, reicht weiter: Er verschenkt Jahr für Jahr auch ein Prozent jener Produkte, die Salesforce herstellt, an soziale Einrichtungen; außerdem sollen die Beschäftigten seines Unternehmens ein Prozent ihrer Arbeitszeit für soziale Projekte verwenden. 1/1/1 nennt Benioff dieses Konzept.

Vor einem halben Jahr kündeten Salesforce und zwei andere Firmen aus der Internet-Industrie an, dass sie innerhalb eines Jahres weitere 500 Unternehmen für die 1/1/1-Initiative gewinnen wollen. Sie gründeten dazu eine Plattform namens "Pledge One Percent", die es jungen Gründern leicht machen soll, sich der Initiative anzuschließen. "Pledge One Percent" bietet juristischen Rat und ein standardisiertes Verfahren an, mit dem sich schnell ein Prozent der Firmenaktien verschenken lässt - dazu eine Stiftung, die sich um das Vermögen kümmert und das Geld, wenn es sich der Wert nach ein paar Jahren vervielfacht hat, an die gewünschten Wohltätigkeitsorganisationen ausschüttet. Ulrich Schäfer

Manche sehen das Treiben von Conway, einem bekennenden Republikaner, deshalb kritisch. Art Agnos, einst Bürgermeister in San Francisco, meinte vor zwei Jahren: "Auch wenn er das vorgibt, scheint sich Conway nicht dafür zu interessieren, was am besten für die Stadt ist, sondern ihm geht es in erster Linie darum, politische Vorteile für seine Industrie herauszuschlagen." Manche glauben sogar, dass der wachsende Einfluss von Conway und seinen Mitstreitern der Stadt nachhaltig geschadet habe und all die Steuervorteile für Tech-Firmen mit dazu beigetragen hätten, die Immobilienpreise und Lebenshaltungskosten in die Höhe zu treiben.

Er ist ein bekennender Republikaner - und viele sehen sein Treiben sehr kritisch

Conway sieht das natürlich anders, und er kann, wenn es darum geht, Kritik zurückzuweisen, auch sehr bestimmt sein. So auch an diesem Montag in New York. Die aktuelle Debatte, ob Airbnb, die global erfolgreiche Wohnungsvermittlung, das Herbergsgewerbe kaputt mache, kann er nicht verstehen, und schon gar nicht den Ruf nach gesetzlichen Maßnahmen, etwa die Forderung, die Zahl der Übernachtungen zu deckeln. "Wenn der Staat sich erst einmischt . . .", beginnt er, und erinnert dann daran, dass die Airbnb gerade hier, in New York, groß geworden sei, in der Finanzkrise, als viele Bürger in Not gerieten und ihre Wohnungen hätten verlassen müssen, wenn sie nicht mit Untervermietung ihre Kasse hätten aufbessern können. Wer das kritisiere, habe die Share Economy, die Ökonomie des Teilens, nicht verstanden, sagt Conway. Um sich dann lieber wieder der gesellschaftliche Verantwortung der Tech-Industrie zu widmen. Sein neuestes Baby zum Beispiel ist die Economic Innovation Group, eine gemeinnützige Organisation, die Unterprivilegierten eine Lobby in den politischen Kreisen der Bundeshauptstadt Washington sein will.

Aber auch zu den Seinen kann Conway hart sein. Vor ein paar Wochen, bei der festlichen Verleihung der "Crunchies", einer Art Oscar für die Unternehmen der Internet-Industrie, erinnerte er in seiner Eingangsrede daran, was die Gäste zuvor selbst gesehen, aber längst verdrängt hatten: Draußen vor dem Saal hatte sich eine aufgebrachte Menge versammelt. Die Demonstranten warfen Uber die Ausbeutung der Fahrer vor und prangerten die horrenden Mieten in San Francisco an. Auf einem Schild war zu lesen: "Apps können keinen bezahlbaren Wohnraum ersetzen." Die Botschaft ist klar: Ihr da drinnen werdet reich - und wir haben nichts davon.

"Wir sind eine Stadt", rief Conway den Firmenchefs im Saal ins Gewissen, "und wir müssen dafür sorgen, dass dies auch so bleibt." Deshalb sei es die Aufgabe aller Vorstandschefs im Saal, einen Teil ihres Geldes für soziale Zwecke herzugeben - idealerweise seien dies, so Conway, ein Prozent aller Aktien und ein Prozent aller produzierten Produkte (siehe Kasten).

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