Mittwochsporträt:Schadstoffe vom Jupiter

Barbara Hendricks Bundesinnenministerium Berlin DEU Deutschland Germany Berlin 05 02 2015 Barba

Barbara Hendricks bringt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ungern in die Bedrouille.

(Foto: imago)

Normalerweise ist Bundesumweltministerin Barbara Hendricks die Frau für unbequeme Wahrheiten, sie weicht Problemen nicht aus. Doch zum Fall Volkswagen verliert sie wenig Worte. Mit Absicht?

Von Michael Bauchmüller

Es ziehen einige Stunden ins Land, bis auch Barbara Hendricks klare Kante zeigt. Sie sitzt in einem Besprechungsraum ihres Ministeriums, die Umweltministerin will eigentlich über ihre bevorstehende Reise nach New York sprechen. Schließlich soll es dort, bei den Vereinten Nationen, um das große Ganze gehen, um Umweltschutz und Nachhaltigkeit in der Welt. Als die SPD-Politikerin Reise und Gespräch plante, waren die Probleme bei Volkswagen weit weg, aber jetzt sind sie unumgänglich. "Ich halte das für eine Verbrauchertäuschung und einen spürbaren Schaden der Gesundheit", sagt Hendricks, 63. Der Vorfall diskreditiere alle Umweltanstrengungen, es brauche unabhängige Kontrollen. "Ich denke, dass wir in die Richtung arbeiten sollten." Ende der Ansage.

Verbrauchertäuschung, Umweltschädigung - diese Linie hatte schon tags zuvor Hendricks' Staatssekretär Jochen Flasbarth verfolgt. Flasbarth war vier Jahre lang Chef des Umweltbundesamtes, ehe er der wichtigste Berater der Ministerin wurde. Die Dessauer Behörde protokolliert minutiös, wie viel Schadstoffe deutsche Städte so messen. Seit vielen Jahren weist sie nicht nur auf zu hohe Feinstaub-Konzentrationen hin, sondern auch auf die Stickoxid-Emissionen von Verkehr und Landwirtschaft. Bei einem Test von Lastwagen fand die Behörde sogar schon merkwürdige Abweichungen der Stickoxid-Emissionen "außerhalb des im gesetzlichen Prüfzyklus gefahrenen Kennfeldbereiches", aber das ist viele Jahre her. Ganz neu jedenfalls ist die Thematik nicht im Geschäftsbereich der Bundesumweltministeriums. Trotzdem behandelt das Haus von Barbara Hendricks die VW-Affäre wie einen Schadstoff vom Jupiter.

Das ist für diese Ministerin ungewöhnlich. Sie mag zwar zu den wenigen Kabinettsmitgliedern zählen, die auch nach zwei Jahren Regierungsarbeit weitgehend unbemerkt zur Haupteinkaufszeit eine deutsche Innenstadt durchqueren können. Selten fällt sie durch mitreißende Reden auf. Aber unbequemen Fragen ist sie noch nie ausgewichen, im Gegenteil. Davon gibt es in ihrem Ministerium schließlich auch ohne VW-Affäre genug.

"Es nutzt nichts, wenn ihr mich mit Tomaten bewerft."

Eine davon besucht Hendricks Ende August an der Ostsee. In den Siebzigerjahren entstand hier der größte Atomkomplex der DDR, und einige der Ingenieure, die ihn einst aufbauten, nehmen ihn nun auseinander. Für eine Umweltministerin, zumal eine Sozialdemokratin, ist es in vielerlei Hinsicht ein interessanter Ortsbesuch. Zum einen, weil sich hier der Atomausstieg mal von seiner praktischen, auch komplizierten Seite zeigt - und für den praktizierten Ausstieg hatten ja zunächst Grüne und Sozialdemokraten gekämpft. Zum anderen, weil es einen Eindruck von den sozialen Dimensionen der Energiepolitik gibt - schließlich arbeiteten in dem Kombinat "Bruno Leuschner" bei Greifswald einmal einige Tausend und nun nur noch einige Hundert Leute. Und schließlich, weil hier das nächste praktische Problem schon dräut: Ist das Atomkraftwerk irgendwann mal zersägt, zerlegt und abgerissen, wird es mutmaßlich immer noch kein Endlager für diesen Atommüll geben. Naturgemäß macht selbst so eine Ballung von Problemen Hendricks nicht weiter nervös. Derzeit bereitet sie sich darauf vor, Bürgern potenzielle Standorte für atomare Endlager unterzujubeln - schließlich sollen im kommenden Sommer die Ergebnisse der Endlagerkommission feststehen. Und die lassen dann auch Rückschlüsse darauf zu, wo so ein Endlager entstehen könnte. Als Ministerin wäre sie für alle weiteren Schritte zuständig. Seit Wochen erzählt Hendricks nun davon, sie werde dann "vermutlich zur unbeliebtesten Frau der Republik". Sie sagt es so auch in der Zerlegehalle des Atomkomplexes, während im Hintergrund ein Schweißer einen Kühlkreislauf in handliche Einzelteile zerlegt.

Die unbeliebteste Frau der Republik - Hendricks erzählt das nicht wie eine Schreckensvision. Immerhin wäre die unbeliebteste mit einem Schlag auch eine der bekanntesten Frauen der Republik. Außerdem hat eine Ministerin, die noch vor der nächsten Bundestagswahl das Rentenalter erreicht, ohnehin nicht mehr viel zu verlieren. Und dann entspricht es ganz dem trockenen Politikstil Hendricks', Menschen das Unabwendbare unumwunden mitzuteilen. "Es nutzt nichts, wenn ihr mich mit Tomaten bewerft", sagt Hendricks noch in der Atomhalle. Plastischer kann man es nicht ausdrücken. Doch die Ministerin sagt es mit einem stillen Lächeln.

"Wir müssen uns darauf einstellen, dass das Kohlezeitalter zu Ende geht."

Vorigen Mittwoch hat die evangelische Kirche die Ministerin eingeladen, es geht wieder nicht um Autos, sondern diesmal um Klima und Kohlekraft. Noch so ein Minenfeld. Ihr Parteichef Sigmar Gabriel hat gerade ein ziemliches Fiasko erlebt mit dem Versuch, Kohlekraftwerken eine Klimaabgabe aufzuzwingen, auch das ist Thema. Vor allem in den Braunkohle-Revieren haben die Gewerkschaften mobil gemacht, dort droht ein ähnlicher Strukturwandel wie in den Neunzigern bei Bruno Leuschner. Doch Hendricks sagt: "Wir müssen uns darauf einstellen, dass das Kohlezeitalter zu Ende geht." Gerade die betroffenen Regionen bräuchten Klarheit über den Ausstiegspfad. Schon in Hendricks Heimatland Nordrhein-Westfalen gibt es darüber gespaltene Meinungen, bis hinein in die Landesregierung, und auch dem Gewerkschaftsvertreter bleibt an diesem Abend die Spucke weg. Doch die Ministerin hat sich von all dem bisher nicht beeindrucken lassen. Das ist mutig.

Aber woher dann die Sprachlosigkeit bei Volkswagen? Ihr Ministerium selbst will davon nichts wissen - die Chefin habe alles Nötige gesagt und veranlasst. Doch faktisch geschehen ist nicht viel. Das Verkehrsministerium setzte eine eigene Kommission in Gang, um zumindest PR-wirksam zu reagieren. Die Umweltministerin verlangt lückenlose Aufklärung. Schließlich habe Verkehrsminister Alexander Dobrindt bereits gehandelt. Will sie den CSU-Mann vorschicken ins Dickicht der Abgaswerte? Werkelt sie an einem Geheimplan? Oder schonen die Sozialdemokraten schlicht Volkswagen?

Hinweise auf Letzteres gibt es. "Das Umweltministerium müsste dringend aus der Deckung kommen" , sagt etwa Gerd Lottsiepen, Umweltexperte beim Verkehrsclub Deutschland. "Aber die SPD ist zu sehr mit Volkswagen verbunden. Da gibt es große Ängste, dass am Ende Arbeitsplätze gefährdet sind." Und offenbar ist auch dem Niedersachsen Sigmar Gabriel nicht daran gelegen, den Wolfsburger Konzern noch weiter in die Enge zu treiben. Das könnte einiges erklären: Denn Hendricks gilt als loyale Genossin, sie bringt Gabriel ungern in die Bredouille. So hielt die für saubere Luft zuständige Ministerin bei den VW-Abgasen erst einmal die Luft an.

Dahinter steht Hendricks' größtes strategisches Problem. Noch jeder Umweltminister vor ihr konnte sich gegen den Wirtschaftsminister profilieren. Einmal, weil der stets einer anderen Partei angehörte, zum anderen, weil sich beide Ministerien die Verantwortung für die Energiepolitik teilten: Der Wirtschaftsminister war für die alte, die fossile Energie zuständig, der Umweltminister für die neue grüne. So kämpften Umweltminister für die Zukunft, Wirtschaftsminister für die Vergangenheit. Das aber funktioniert nicht mehr, wenn der Wirtschaftsminister grüne und graue Energie gleichermaßen vertritt. Und schon gar nicht, wenn er zugleich der Parteichef der Umweltministerin ist.

Hendricks weiß das, seit Monaten konzentriert sie sich deshalb auf das, was sie unangefochten vertritt. Neben Themen wie dem sozialen Wohnungsbau (denn Bauministerin ist sie ja auch) ist das vor allem die Klimapolitik. Ende November beginnt in Paris jene Konferenz, die erstmals in diesem Jahrtausend globales Klimaabkommen zeitigen soll. Anders als beim gescheiterten Anlauf in Kopenhagen 2009 sollen die Staats- und Regierungschefs nicht am Ende, sondern am Anfang der Konferenz teilnehmen. Das heißt: Das erfolgreiche Ende, wenn es denn eins gibt, gehört diesmal den Umweltministern.

Und für zwischendurch gibt es dann immer noch so beliebte Debatten wie den Bonn-Berlin-Umzug. Hendricks selbst bringt das Thema am Dienstag mal wieder ins Gespräch, gewürzt mit gewagten Vergleichen ihrer Heimatstadt Kleve mit Berlin. Nur über die Schadstoffbelastung in beiden Städten verliert sie kein Wort.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: