Mittwochsporträt:Der Himmel ist für alle da

Jo Anne Toral an einem freien Tag in Manila

In ihrer Flugschule sind etwa zwei von zwanzig Auszubildenden Frauen, erzählt Jo Anne Toral.

(Foto: Alpha Aviation)

Jo Anne Toral ist Pilotin auf den Philippinen und erlebt oft, dass ihr Geschlecht bei der Arbeit eine Rolle spielt. Passagiere buchen schon mal um, wenn sie erfahren, dass eine Frau die Maschine fliegt.

Von Arne Perras, Manila

Jo Anne Toral erinnert sich, wie sie als kleines Mädchen ihren Vater fragte: "Papa, kann ich auch Pilotin werden, so wie du?" Sie war damals sechs oder sieben Jahre alt. Ihr Vater wusste nicht recht, wie er darauf antworten sollte. Er kannte ja die Branche. Er wusste, was man sich alles erzählte. Über Frauen im Cockpit. "Ach, Jo Anne", sagte der Vater, "Frauen sind im Cockpit nicht gerade gefragt." Er kenne nur drei oder vier Pilotinnen in seiner ganzen großen Airline.

Diese Antwort stellte die Tochter nicht zufrieden. Wie konnte das denn sein? Die Kleine war neugierig, lernte gerade lesen und schreiben. Deshalb fragte sie weiter. Bis der Vater deutlicher wurde und erklärte: "Die denken eben, dass Frauen ganz schnell loskreischen, wenn es schwierig wird." Die kleine Jo Anne verstand immer noch nicht. Wer waren denn "die", die so was dachten? "Papa, sag doch mal!" Aber der Vater schwieg. Was Vater Toral selbst über Frauen im Cockpit dachte, hat er seiner Tochter nie erzählt.

Das Mädchen geriet ins Grübeln und ließ die Idee, Pilotin zu werden, erst mal wieder fallen. Nur konnte es seine Sehnsucht nicht so leicht verdrängen. Der Wunsch zu fliegen, kam immer wieder in ihr auf. War der Himmel nicht für alle da?

Zwanzig Jahre später sitzt Jo Anne Toral in der Lobby eines kleinen Hotels im Business District von Manila. Die Philippinerin hat die dunkelblaue Pilotenuniform gegen einen rosafarbenen Blazer getauscht, an ihrem freien Tag erzählt sie von ihrem Weg zu einem Job, der immer noch eine Domäne der Männer ist. Diese Frau hat sich davon nicht beirren lassen: Seit knapp einem Jahr fliegt die Philippinerin als Co-Pilotin für die regionale Airline Cebu Pacific. Torals Arbeitsplatz ist das Cockpit eines Airbus A 320. Es war ein harter Weg, aber sie würde es wieder tun. "Absolut."

"Du spürst einfach, dass du unter stärkerer Beobachtung stehst als männliche Kollegen."

Es gibt nur wenige Berufe, in denen das Missverhältnis zwischen Männern und Frauen derart krass ausfällt: Von hundert Piloten sind nur drei Frauen, wie die International Association of Women Airline Pilots (ISA) 2014 ausgerechnet hat. Ob sich daran bald etwas ändert? Die zivile Luftfahrtbranche hat mit vielen Problemen zu kämpfen. Doch zumindest in Asien boomen die Airlines, dort lassen die wachsenden Mittelschichten in den Schwellenländern den Bedarf rapide ansteigen. Wegen der Expansion herrscht aber auch ein großer Mangel an Piloten. Eigentlich wäre dies eine riesige Chance, um mehr Frauen ins Cockpit zu bringen. Doch so einfach ist das nicht, wenn man hört, was Pilotin Toral über ihren Beruf erzählt.

Es fängt schon damit an, dass die Welt so sehr an männliche Piloten gewöhnt ist. Von Torals Freundinnen kämen viele gar nicht erst auf die Idee, einen solchen Beruf in Erwägung zu ziehen, sagt die Philippinerin. Diese Beobachtung deckt sich mit Ergebnissen einer Studie von British Airways. Sie zeigt, warum viele Frauen bisher recht wenig Interesse am Pilotenberuf zeigten. Oft sei ihnen schon als Kind vermittelt worden, dass das ein Männerjob sei. Oft fehlten ihnen die Vorbilder im Cockpit.

"Mir hat geholfen, dass ich in einer Familie von Piloten groß geworden bin", sagt Toral. "Da lag es nahe, sich mit dieser Arbeit zu beschäftigen." Der Vater war Kapitän bei den Philippine Airlines, außerdem haben zwei ihrer Brüder das Fliegen zum Beruf gemacht. "Und doch war es für mich nicht einfach", sagt Toral. Vorurteile gegen Frauen im Cockpit verschwinden eben nicht von einem Tag auf den anderen.

In einem Blog hat Toral kürzlich wieder mal gelesen, dass Passagiere eine Umbuchung forderten, als sie erfuhren, dass das Flugzeug von einer Frau geflogen wird. "So was muss man wegstecken, wenn man diesen Job macht", sagt die Philippinerin. Aber man wundere sich schon, was es alles gebe.

Ein Online-Reisebüro in Großbritannien befragte 2400 Fluggäste, ob sie denn eher Frauen oder Männern als Piloten vertrauten. Nur ein Viertel gab an, dass ihnen das Geschlecht egal sei, 51 Prozent sagten, sie fühlten sich besser, wenn im Cockpit ein Mann sitze. Doch es sind nicht nur Passagiere, die ihre Vorurteile pflegen.

Toral hat sie auch während der Ausbildung zu spüren bekommen. Das Machotum komme dabei selten brachial daher: "Das ist alles sehr subtil. Du spürst einfach, dass du unter stärkerer Beobachtung stehst als die männlichen Kollegen." Das beginnt schon, wenn sie zum Airport kommt und ungläubige Blicke des Bodenpersonals auf sich zieht. "Das fühlte sich anfangs sehr seltsam an." Sie ertappte sich auch immer wieder bei dem Gefühl, sie müsse sich stets aufs Neue beweisen. Nur um zu zeigen, dass sie den Job auch als Frau gut macht. Inzwischen sei dieser Drang verschwunden, sie fühle sich akzeptiert.

In ihrer Flugschule Alpha Aviation gab es früher kaum Frauen, jetzt steigt der Anteil an, es sind dann schon mal zwei oder drei in einem Lehrgang von zwanzig Flugschülern. "Sie wollen mehr Frauen ausbilden, das ist ganz sicher", sagt Toral. Mehr als 80 000 Dollar hat sie in ihre Ausbildung investiert, sie zahlt ihr Darlehen nun ratenweise von ihrem Gehalt zurück. Noch immer ist es so, dass die meisten zivilen Piloten in Südostasien aus der Mittel- oder Oberschicht stammen. Wer arm ist, geht eher zur Luftwaffe. Vom Militärdienst steigen manche in die zivile Luftfahrt um.

Torals Partner ist ebenfalls Pilot. "Das macht vieles einfacher", sagt sie. "Weil mein Freund weiß, was einem dieser Job alles abverlangt." Das frühe Aufstehen, unerwartete Verzögerungen, die Müdigkeit nach dem Flug. "Bei diesem Job brauchst du maximale Konzentration und ein gutes Urteilsvermögen", sagt sie. Außerdem sind die physischen Anforderungen enorm. Und schließlich kommt die Last der Verantwortung für so viele Menschenleben noch hinzu. Wie kommt sie damit klar? "Ich bin stolz auf meine Arbeit, ich sehe Verantwortung als Motivation. Der Autopilot darf nie dazu führen, dass du nachlässig wirst." Das klingt wie ein Satz aus dem Lehrbuch, den Toral verinnerlicht hat. Aber vermutlich ist es eine jener Weisheiten, die ein Pilot gar nicht oft genug für sich wiederholen kann.

Toral sammelt nun Erfahrung auf dem Copiloten-Sitz, sie weiß, dass menschliches Versagen noch immer die häufigste Ursache von Unfällen im Flugverkehr ist. "Du musst sehr gewissenhaft sein. Wenn es Probleme gibt, darfst du keine Panik schieben. Musst cool bleiben. Und oft in kürzester Zeit die richtige Entscheidung treffen." Man ahnt schon, dass wohl nicht jeder zum Piloten berufen ist. Egal ob Mann oder Frau.

In zwei bis drei Jahren will Toral genügend Flugstunden gesammelt haben, um Kapitän zu werden. Irgendwann will sie aber auch heiraten und Kinder haben. Sie weiß, dass manche Frauen das Fliegen aufgeben, sobald sie eine Familie gründen. Aber Toral kennt auch andere, die beides hinbekommen. Meistens hätten die aber dann eine Betreuerin für die Kinder zu Hause. "Ich will in jedem Fall beides schaffen", sagt Toral. "Am ehesten geht es vermutlich, wenn man keine Langstrecken fliegt. Dann bleibe ich eben hier in der Region. Oder ich mache irgendwann mit meinem Bruder eine Flugschule auf."

Kein schlechter Gedanke, sollten die Airlines in Asien tatsächlich immer weiter wachsen.

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