Mittwochsporträt:Das Prinzip Ordo

Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813, Aula der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813, Aula der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

(Foto: Ferdinand Hodler)

Walter Eucken war der Begründer der Freiburger Schule der Nationalökonomie und einer der wichtigsten Ökonomen der Nachkriegsgeschichte. Am Sonntag wäre er 125 Jahre alt geworden.

Von Nikolaus Piper

Warum sind die Deutschen so besessen von Regeln um ihrer selbst willen, unabhängig von ihrem praktischen Effekt", fragte der britische Economist, als er die harte Haltung von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble bei der Rettung Griechenlands zu erklären suchte. Die Antwort, so das Magazin, habe sehr viel mit dem deutschen Ordoliberalismus und mit einem Ökonomen namens Walter Eucken zu tun. Auch die New York Times empfahl: Wenn man die Deutschen und ihr Verhalten in der Finanzkrise verstehen wolle, müsse man sich mit Eucken beschäftigen.

Tatsächlich ist Eucken bis heute einer der wichtigsten deutschen Ökonomen, auch wenn nur wenige seine Werke gelesen haben oder gar bewusst seine Regeln befolgen. Der Begründer der Freiburger Schule der Nationalökonomie lehrte das Denken in Ordnungen und prägte so nach dem Zweiten Weltkrieg eine ganze Generation von Volkswirten. Nach heutigen Maßstäben war er extrem unmodern. Er arbeitete ohne mathematische Modelle und Statistiken, er befasste sich ebenso sehr mit Kultur und Religion wie mit Ökonomie. Und doch reicht sein Einfluss bis in die Gegenwart. Bundesbankpräsident Jens Weidmann beruft sich ebenso auf den Liberalen, wie, allen Ernstes, die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht.

Am Sonntag jährt sich der Geburtstag Euckens zum 125. Mal. Aus dem Anlass wollte die Bundeskanzlerin an diesem Mittwoch zum Walter-Eucken-Institut nach Freiburg kommen, um dort den Festvortrag zu halten. Das Institut residiert immer noch in der ehemaligen Privatwohnung Euckens in der Freiburger Goethestraße.

Will man Eucken verstehen, sollte man in Jena beginnen. In der Aula der dortigen Friedrich-Schiller-Universität hängt ein monumentales Historiengemälde. Es idealisiert den Auszug Jenaer Studenten in den Freiheitskrieg gegen Napoleon 1813 und wurde 1909 von dem Schweizer Maler Ferdinand Hodler geschaffen. In dem Bild sieht man auch einen drahtigen jungen Mann, der sich energisch eine Jacke überzieht. Dieser junge Mann ist Walter Eucken. Hodler war ein Freund der Familie Eucken, und der Sohn hatte für den Freischärler Modell gestanden.

Walter Eucken wurde am 17. Januar 1891 in Jena geboren. Seine Eltern waren der Philosoph und spätere Literatur-Nobelpreisträger Rudolf Eucken und die Malerin Irene Eucken. Die Eltern waren hoch gebildet, patriotisch und weltoffen. Zu Freunden der Familie zählten, neben den Malern Hodler und Ernst-Ludwig Kirchner der Dichter Stefan George und der Philosoph Edmund Husserl. Dieses Elternhaus prägte das Denken Euckens entscheidend. Nils Goldschmidt, Ökonomieprofessor an der Universität Siegen, schreibt, "dass die Methode Euckens ohne den Rekurs auf die beiden Philosophen (also seinen Vater und Husserl) unvollständig bleiben muss".

Eucken studierte in Kiel, Bonn und Jena. Kurz nach seiner Promotion wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Seine Erlebnisse auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs und noch stärker die Niederlage 1918 verstörten den jungen Ökonomen zutiefst. Er engagierte sich eine Zeit lang bei der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP) und hatte Sympathien für die konservative Revolution des rechtsextremen Publizisten Armin Mohler. Den Weg zum Liberalismus fand Eucken vor allem über das Studium von wirtschaftspolitischen Fragen. Von 1921 bis 1924 arbeitete Eucken als zweiter Syndikus der Fachgruppe Textil im Reichsverband der Deutschen Industrie. Dabei lernte er die Kartellpraxis der deutschen Wirtschaft kennen, also den Drang der Unternehmer, Probleme dadurch zu lösen, dass man sich zusammenschloss und den Wettbewerb abschaffte. Eucken glaubte, dass diese Praxis verheerende Folgen hatte. Damit wandte er sich auch von den protektionistischen Ideen der extremen Rechten ab.

Im Jahr 1925 übernahm Eucken eine Professur in Tübingen, 1927 ging er an die Universität Freiburg, wo er bis zu seinem Tod lehrte. Hier baute er zusammen mit Freunden wie dem Juristen und Ökonomen Franz Böhm und dem Theologen und Ökonomen Constantin von Dietze die Freiburger Schule der Nationalökonomie, für deren Lehren sich später der Begriff Ordoliberalismus einbürgerte.

Eucken wollte eine radikale Abkehr von der deutschen Kartellpraxis, er lehnte Planwirtschaft ab, wie sie sich Anfang der 1930er-Jahre in der Sowjetunion abzeichnete, er glaubte aber auch, dass der klassische Laissez-faire-Liberalismus gescheitert war. Das große ungelöste Problem war das der Macht. Es taucht in jeder Wirtschaftsordnung auf. Macht bedroht die Freiheit, wo immer sie zu groß wird. Die alten Liberalen, so schreibt Eucken in seinen "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik", hätten zwar die Vertragsfreiheit hochgehalten, "nur wurde die Vertragsfreiheit selber dazu benutzt, um einen Zustand herzustellen, in dem sie faktisch ausgeschaltet war." So gründeten etwa Kohlegesellschaften ein Syndikat, das dann für Kunden Wettbewerb und Vertragsfreiheit beseitigte.

Aufgabe des Staates ist es, durch Gesetze die Wettbewerbsordnung zu sichern

Im "Zeitalter der Experimente" - so bezeichnete Eucken die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg - griff der Staat viel stärker in die Wirtschaft ein und verschärfte so das Machtproblem. "Das Problem der Macht kann niemals durch weitere Konzentration der Macht gelöst werden, schrieb er. Die Lösung liegt in einer "gesetzten" Wirtschaftsordnung, in der Staat und Wirtschaft streng getrennt sind. Der Staat sorgt durch Kartellgesetze dafür, dass der Wettbewerb nicht unterdrückt wird, strenge Haftungsregeln garantieren, dass jeder für die Folgen seines Tuns verantwortlich ist.

Worum es ihm geht, erläutert Eucken an dem Begriff "Ordo", der seine Wurzeln in der scholastischen Theologie des Mittelalters hat. Wirtschaftsordnungen gibt es viele; es kommt jedoch darauf an, die Ordnung zu finden, "welche der Vernunft und der Natur des Menschen und der Dinge entspricht". Für Eucken ist Ordo gleichzusetzen mit der Wettbewerbsordnung. In ihr gilt der Leitsatz: "Niemand darf mehr und darf weniger wirtschaftliche Macht besitzen als notwendig ist, um eine Wettbewerbsordnung zu verwirklichen."

Eucken gehörte 1933 zu den wenigen deutschen Professoren, die sich sofort und ohne Wenn und Aber gegen Hitler stellten. Als der bis dahin angesehene Philosoph Martin Heidegger 1933 Rektor wurde und die Universität Freiburg im Sinne der Nationalsozialisten gleichschalten wollte, leistete Eucken Widerstand. Er hielt an seiner Freundschaft zu Edmund Husserl fest, der wegen seiner jüdischen Herkunft nach 1933 geächtet war. Bei der Beerdigung Husserls 1938 gehörten Eucken und seine Frau Edith zu den wenigen Trauergästen. Als 1935 die Nürnberger Rassegesetze beschlossen wurden, schrieb er: "Diese Sünde, die das deutsche Volk begeht, indem es wehrlose Menschen seelisch und körperlich misshandelt, wird sich furchtbar an ihm rächen. Gott ist auch ein rächender Gott." Nicht nur hier zeigt sich die tiefe Religiosität Euckens.

Nach den Pogromen vom 9. November 1938 gründete Eucken einen Gesprächskreis oppositioneller Wissenschaftler, darunter Constantin von Dietze und der Ökonom Adolph Lampe. In diesem "Freiburger Kreis" entstand 1942 eine Denkschrift für den Berliner Theologen Dietrich Bonhoeffer. Nach dem Attentat auf Hitler wurden Dietze und Lampe verhaftet. Sie überlebten in einem Gestapo-Gefängnis. Bonhoeffer wurde einen Monat vor Kriegsende, am 9. April 1945 ermordet. Eucken wurde zwar verhaftet und verhört, überlebte das Dritte Reich aber unversehrt.

Nach dem Ende von Krieg und Nationalsozialismus intensivierte Eucken seine wissenschaftliche Arbeit. Er schrieb die "Grundsätze der Wirtschaftspolitik", das Standardwerk des Ordoliberalismus; es sollte erst 1952 nach Euckens Tod erscheinen. Er nahm Kontakt mit Liberalen im Ausland auf. Als im April 1947 am Genfer See die liberale, antisozialistische Mont-Pelerin-Gesellschaft gegründet wurde, war Eucken dabei; er traf dort die Radikalliberalen Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises, den Soziologen Karl Popper, den Ökonomen Milton Friedman und den deutschen Exil-Ökonomen Wilhelm Röpke. Jetzt konnte er auch in die praktische Politik hineinwirken. Von 1947 gehörte er zusammen mit seinem Habilitanden Leonhard Miksch dem Wissenschaftlichen Beirat der Wirtschaftsveraltung in der Bizone an, deren Direktor Ludwig Erhard hieß. So trugen seine Ideen zum Start der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik bei.

Eucken starb während einer Vortragsreise nach London am 20. März 1950. Zu seinem Erbe gehört das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1957, das Euckens Freund Franz Böhm maßgeblich formuliert hatte. Dazu gehört aber auch die Tatsache, dass die Ideen von John Maynard Keynes erst in den späten 1960er-Jahren, und damit viel später als im Rest des Westens anerkannt wurden. Und mit ihm hat es auch zu tun, dass die Deutschen in der "Ordnungspolitik" ein weiteres Wort haben, das sie Ausländern nicht so einfach erklären können, weder sprachlich noch inhaltlich.

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