Mitten in der Klimakatastrophe:So langsam wie möglich der Schnellste sein

Sind Sie schon mit dem R8 gefahren? Die deutschen Autohersteller setzen weiter auf schnelle und große Modelle - und bemühen sich bei der IAA dennoch um ein ökologisch korrektes Image.

Michael Kuntz

Wer sich als Münchner U-Bahn-Fahrgast zu erkennen gibt, der ist von vorne herein unten durch. Das Gespräch mit einem Manager aus der Autoindustrie gerät unweigerlich in einen Stau.

Mitten in der Klimakatastrophe: So langsam wie möglich der Schnellste sein
(Foto: Foto: dpa)

Es lässt sich nur noch retten durch den dezenten Hinweis, dass man schon mal Lamborghini gefahren ist - und zwar beide Modelle. So etwas verwirrt zwar, erhöht aber das Vertrauen.

Pauschal am Pranger

Und Vertrauen zählt viel in diesen Zeiten, in denen nicht nur die ganze Branche pauschal am Pranger steht, als Klimakiller. Sondern sich ein Automanager nicht mehr sicher sein kann, ob er freudige Reaktionen auslöst, wenn er den Eltern der neuen Freunde seiner Kinder erzählt, was er beruflich macht.

Am liebsten reden sie derzeit in der Autoindustrie natürlich nicht über den Klimaschutz, sondern über das angesagteste Spielzeug der Branche. Es geht meistens los mit der Frage: Sind Sie schon mit dem R8 gefahren? Gemeint ist der erste echte Sportwagen der einstigen Spießermarke Audi, mit Mittelmotor statt Rücksitzen.

Fast ein Lamborghini. Schlecht, wer die grellweißen Leuchtdioden seiner Scheinwerfer bisher nur im Rückspiegel gesehen hat. "Sie müssen das Auto parken, wo viele Menschen sind", empfiehlt der Audi-Manager an seinem Schreibtisch in Ingolstadt: "Es löst so eine positive Wirkung aus." Er habe noch nie mit einem Auto so viel Aufsehen erregt, berichtet mit ein wenig Stolz in der Stimme Auto-Präsident Matthias Wissmann von einem Selbstversuch mit dem R8 in seiner Heimatstadt Ludwigsburg.

Aus seinen vier Jahrzehnten als Politiker ist er den Umgang mit Menschenmengen gewohnt. Dabei gilt Wissmann auch in seinem neuen Amt als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie nicht gerade als Fanatiker, was Autos angeht.

Schließlich radelt er nach wie vor gern durchs Berliner Regierungsviertel. Wer einmal erlebt hat, mit welcher Begeisterung VW-Chef Martin Winterkorn die Ebenmäßigkeit einer Ledernaht in einem Audi erklärt, der versteht, was einen "car guy" auszeichnet.

So nennen sich in der Branche alle, die im Kreis der Autoverrückten angekommen sind. Unter ihnen viele Ingenieure, die angeblich mit Nockenwellen zärtlicher umgehen als mit ihren Ehefrauen.

Gefühlskauf

Einer wie Ford-Manager Alan Mulally musste üben, um richtig dazuzugehören. Bei seinem ersten Auftritt für den Konzern aus Dearborn lobte der von Boeing geholte Sanierungsexperte doch glatt seine Großraumlimousine von Toyota. So etwas passierte Mulally kein zweites Mal.

Flugzeuge mögen von Kostenrechnern gekauft werden. Bei Autos gesellt sich zu rationalen Überlegungen auch immer eine Portion Faszination - die den Ausschlag gibt. Für sie gibt es keine Formel, mit der sich dieses Gefühl berechnen lässt. Allenfalls Anhaltspunkte. "Das Design zählt", sagt der Leiter einer Sportwagenschmiede, der erfolgreich ist.

Diese zwischen nüchterner Geschäftswelt und einem glitzernden Traumzirkus mäandernde Autoindustrie trifft sich alle zwei Jahre zu ihrer weltgrößten Messe, der IAA, in Frankfurt. Es dürfte eine bizarre Veranstaltung werden, sozusagen "Grüne Woche": Wie nie zuvor wollen die deutschen Autohersteller ihr Umweltbewusstsein zur Schau stellen in einer Zeit, in der sie als die Klimakiller der Nation gelten.

Ihr Beitrag zur Diskussion bestand bisher zum Beispiel aus Boliden wie dem Audi R8 oder dem Superschlucker und -spucker Porsche Cayenne. Die Autokonzerne als die neuen Grünen - genau das nimmt ihnen niemand ab, wenn auch die Gründe dafür bei Politikern und Publikum unterschiedlich sind.

Die Autoindustrie steckt noch mitten drin in ihrer Klimakatastrophe. Sie begann ziemlich gleichzeitig mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer zum Jahreswechsel, die vor allem private Kunden dazu brachte, sich noch 2006 rasch ein neues Auto zu kaufen und so ein paar Steuer-Euro zu sparen.

Das ließ die Nachfrage erheblich länger abflauen als erwartet - nämlich bis heute. Das war aber noch gar nichts gegen die Folgen der Klimadiskussion, bei der die Autoindustrie ziemlich unvorbereitet wirkte. Obwohl kein anderer Wirtschaftszweig Deutschlands so viele Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung steckt.

So langsam wie möglich der Schnellste sein

Die 130 Gramm Ausstoß von Kohlendioxid pro hundert Kilometer wurden zum Maßstab für die politische Korrektheit des Autofahrens. Es interessierte auf einmal niemanden mehr, dass das Automobil nur mit lediglich zwölf Prozent an den Emissionen von Kohlendioxid in Europa beteiligt ist.

Es wollte keiner wissen, dass sich die Industrie zu 140 Gramm verpflichtet hatte, aber erst bis zum Ende des kommenden Jahres. Die erheblichen Fortschritte auf dem Weg dahin in den vergangenen Jahren, sie waren vergessen, zählen nicht mehr. Zu sehr ins Detail ging es vielen, dass sich die zehn Jahre alte Selbstverpflichtung auf sämtliche Fahrzeuge in Europa bezog, nicht aber auf die Flotte eines Herstellers.

Hybrid - na und?

Hatte die Autoindustrie nicht schon früher versagt? Da erinnerten sich Kommentatoren an die Partikelfilter, die es in französischen Autos doch früher gab als in deutschen.

Und sie bedienten die alten Vorurteile, ohne zu fragen, ob es vielleicht auch eine Möglichkeit wäre, bereits einen Motor zu konstruieren, der erst gar nicht so viel Ruß produziert, dass er anschließend gefiltert werden muss. Ein prächtiges Geschäft übrigens für die Hersteller von Filtern und die Mineralölindustrie als Lieferant des nötigen Mehrverbrauches an Kraftstoff.

Hatte die deutsche Autoindustrie nicht auch den Hybrid verschlafen? Na klar - auch wenn die Fakten dagegen sprechen. Denn diese Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotoren mag für den Dauerstau in Tokio ideal sein. Auf deutschen Landstraßen und Autobahnen bedeutet sie vor allem zusätzliches Gewicht in der Größenordnung von einem stabil gebauten Mitfahrer, das bewegt werden muss.

Was den von den deutschen Autoherstellern favorisierten sauberen Diesel außerhalb des Stadtverkehrs zur besseren Alternative macht. Was sich im Übrigen auch an den Verkaufszahlen von Toyota ablesen lässt, bei denen der Hybrid kaum eine Rolle spielt. Fazit: In der vom Klimaschutz nachhaltig bewegten öffentlichen Diskussion zählt am meisten die schnelle Lösung, nicht unbedingt die technisch beste.

Die Erregung kannte kaum Grenzen, nicht nur beim Publikum, auch unter den angeklagten Automanagern selbst. Da gab es dann noch jene Sendung bei Sabine Christiansen, in der ein Bundesminister nur noch die 130 Gramm als Zielwert platzierte, ohne zu sagen, worum es überhaupt geht. Der Autoverband ließ einen Volkswirt sachlich dagegenhalten. Das kam nicht gut an. Der Verbandspräsident überstand die Kritik der Konzernbosse an seinem Nichterscheinen bei Christiansen nicht. Er ging.

Geblieben sind Politiker, die vor allem eines gemerkt haben: Mit Forderungen zum Klimaschutz lässt sich beim Wähler prima punkten. Kein Wunder, niemand möchte in einer verschmutzten Umwelt leben. Kritik an Konzernen macht sich in

Deutschland immer gut. Politiker verdrängen gern, dass nicht sie Arbeitsplätze schaffen, sondern Unternehmer und Manager dies tun. Die Finanzierung auch der anspruchsvollsten Vorschläge ist für Politiker unproblematisch. Es müssen keine öffentlichen Haushalte geplündert werden. Zunächst zahlt die Industrie. Die holt sich ihre Investitionen von den Autokäufern zurück. Zum Schluss landen die Kosten bei den Autokäufern - also bei den Bürgern.

Zu früh ist ebenso schlecht wie zu spät

Die Autohersteller gehen das Thema pragmatisch an. Schon beim Genfer Autosalon in diesem Frühjahr präsentierte BMW ein Regal voll mit modernen Motoren, die deutlich sparsamer und sauberer sind als ihre Vorläufer.

So etwas ließ sich nicht erst in den Monaten der Klimakiller-Kritik bauen. Da steckte Forschung und Entwicklung aus mehreren Jahren drin. Auf der Messe in Frankfurt werden VW, Mercedes, BMW, Porsche & Co. der Bundeskanzlerin nun beim Rundgang nach ihrer Eröffnungsrede irgendwelche Sparmodelle vorweisen können.

Neben dem gewohnten Sortiment nach dem bisher weltweit so erfolgreichen Motto der deutschen Autoindustrie: Größer, schneller, teurer. Dass auf einmal viel in Motoren und kreative Umweltlösungen investiert wird, da hat der politische Druck eine Rolle gespielt - aber auch die Aussicht, am Megatrend Klimaschutz mitzuverdienen.

Bei einer Industrie, die ihre neuen Modelle im Rhythmus von sieben Jahren plant, dauern Anpassungen naturgemäß etwas länger. Hinzu kommt die betriebswirtschaftliche Sicht, die Verantwortung gegenüber Kunden und Belegschaften, Aktionären und Lieferanten: Genausowenig, wie es sich die Autoindustrie leisten kann, zu weit hinter dem Verbraucher herzuhinken, kann sie es sich leisten, ihm zu weit voraus zu sein, sagte Lee Iacocca, der Chrysler-Chef vor der Zeit von Daimler-Chrysler. "Mit einem neuen Produkt zu früh herauszukommen, ist genauso schlecht, wie zu spät."

Das Problem beim Klimaschutz ist also weniger die Autoindustrie. Das Problem sind die Kunden. Die kaufen trotz Klimadebatte gern schnelle Autos und große Geländewagen, auch wenn sie damit dann oft nur um die Ecke zum Bäcker fahren.

Manchen bereitet die Raserei mit 250 Kilometern pro Stunde auf deutschen Autobahnen große Freude am Fahren. Nicht wenige spüren den Vorsprung durch Technik beim Blitzstart an der Ampel.

Dazu kommt noch etwas anderes: "Der Deutsche fährt nicht wie andere Menschen. Er fährt, um recht zu haben." Das beobachtete der Schriftsteller Kurt Tucholsky vor rund achtzig Jahren.

So scheint es noch heute zu sein. Psychologen fanden heraus, dass der deutsche Autofahrer zwar umweltbewusst sein möchte, dafür sein Verhalten aber möglichst nicht ändern will. Antworten auf diese Befindlichkeit sind eine Anzeige des idealen Momentes für den Gangwechsel oder auch die Stopp-Automatik für den Motor an der roten Ampel, bei der ein Fahrer nichts anders machen muss als ohne diese Vorrichtung zum Spritsparen.

Einen Blick in die Zukunft gab es kürzlich auf einer Teststrecke in Niederbayern im Audi mit Stickoxid-Reinigung. Der hatte einen Bildschirm mit der Messkurve auf dem Armaturenbrett, und siehe da: So richtig sauber war die Abluft nur bei gleichmäßiger Fahrweise mit möglichst geringem Druck aufs Gaspedal.

Um ein Fünftel lassen sich so Verbrauch und Emissionen verringern, sagt die Industrie, bei Fahranfängern sollen es sogar dreißig Prozent sein. Selbst wenn diese Zahlen zu hoch sein sollten: Der Weg zum umweltbewussten Autofahren führt offenbar nicht allein über technische Innovationen, sondern auch über den menschlichen Verstand.

Es ist, wie der brasilianische Rennfahrer Emerson Fittipaldi die Kunst des Autofahrens beschrieben hat: "So langsam wie möglich der Schnellste zu sein."

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