Mittelstand:Risikoscheu und innovativ

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Vom Einmannbetrieb bis zum großen Maschinenbauer - die Bandbreite des Mittelstands ist groß.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Die kleinen und mittleren Betriebe gelten als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Um den Mittelstand ranken sich viele Klischees. Aber was kennzeichnet die Unternehmen? Kennzahlen, Stärken und Sorgen der Firmen.

Von Felicitas Wilke

Wenn von mittelständischen Unternehmen die Rede ist, dann heißt es oft, sie seien das "Rückgrat der deutschen Wirtschaft". Und tatsächlich sähe der Wirtschaftsstandort Deutschland ohne die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ziemlich kahl aus. Aber was genau macht den deutschen Mittelstand aus? Ein Überblick.

Was verbirgt sich hinter KMU?

Die Begriffe KMU und Mittelstand werden oft synonym verwendet. Vergleicht man die Definitionen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM), zeigen sich dennoch kleine Unterschiede. Zu den KMU gehören demnach alle Betriebe, die weniger als 500 Mitarbeiter beschäftigen und maximal 50 Millionen Euro im Jahr erwirtschaften. Unter Mittelständlern versteht das Institut Unternehmen, bei denen bis zu zwei Personen oder ihre Familienangehörigen mindestens die Hälfte der Unternehmensanteile halten und der Geschäftsführung angehören. Dem IfM zufolge gibt es zwischen beiden Gruppen viele Schnittmengen. Ein Unternehmen kann aber auch ein Mittelständler sein, wenn es die KMU-Definition zahlenmäßig übertrifft, aber die beiden Kriterien erfüllt.

Welche Bedeutung hat der Mittelstand für Deutschland?

Ganze 99,6 Prozent der Firmen hierzulande fallen unter die KMU-Definition des IfM. Für den Großteil der Umsätze deutscher Unternehmen sorgen zwar die Großkonzerne. Doch die kleinen und mittleren Unternehmen trugen 2012 immerhin gut 35 Prozent zu den Gesamtumsätzen der Betriebe in Deutschland bei. In anderen EU-Ländern gehören sogar noch mehr Unternehmen zur Gruppe der KMU. So sind es in Frankreich oder Polen 99,8 Prozent. Auch was den Anteil dieser Betriebe an der Wertschöpfung des Landes betrifft, liegt Deutschland hinter dem EU-Durchschnitt.

Dennoch gelten der "German Mittelstand" und die "Hidden Champions" aus Deutschland weltweit als erfolgreiche Marken. "Ein wichtiger Aspekt ist, dass sich viele deutsche Mittelständler stark auf eine Nische fokussieren und darin sehr innovativ sind", sagt Nadine Kammerlander, die als Professorin an der Wirtschaftshochschule WHU in Vallendar über den Mittelstand und Familienunternehmen forscht. Viele kleine und mittlere Unternehmen hierzulande hätten sich in dieser Nische global ausgerichtet und seien damit zum Weltmarktführer herangewachsen.

Sind die Unternehmer risikoscheu?

Darum ranken sich viele Klischees. Klar ist: Den Mittelständler gibt es nicht. Tatsächlich zeigen Studien aber, dass die derzeit historisch günstigen Kredite die Mittelständler eher kaltlassen. Wenn sie neue Maschinen kaufen, dann am liebsten mit möglichst viel eigenen Mitteln. Und wenn sie ihr übriges Geld anlegen, dann bevorzugt möglichst sicher auf dem Bankkonto - auch, wenn die Renditen denkbar niedrig sind. "Wenn mittelständische Unternehmer investieren, dann ist das oft ihr eigenes Geld", sagt Kammerlander. Daher müssten sie stets abwägen, wie viel Verlust maximal drin sei. Nur weil sie ihr Geld vorsichtig anlegen, heißt das aber nicht, dass Mittelständler sich neuen Ideen verschließen. Vielmehr agierten viele Unternehmer sogar besonders innovativ. Und zwar auch, weil sie stets ganz genau planten, wie viel Geld sie für welches Projekt ausgeben.

Wie bekannt sind Mittelständler?

Während das Klischee vom sicherheitsorientierten Mittelständler also tendenziell stimmt, wandelt sich das des öffentlichkeitsscheuen Unternehmers. Wohl oder übel. "Das Konzept, dass der ehrbare Kaufmann nur an seinem Geschäft, nicht aber an der Öffentlichkeit interessiert ist, stößt an Grenzen", findet Kammerlander. Denn immer mehr mittelständische Betriebe tun sich schwer damit, geeignete Bewerber zu finden. Und das, obwohl familiengeführte Mittelständler bei der deutschen Bevölkerung mehr Vertrauen genießen als Großkonzerne oder Start-ups. Das zeigt eine Studie der Unternehmensberatung PWC. "Unterschätzt werden sie allerdings, wenn es um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit geht", sagt Peter Bartels, der bei PWC den Bereich Familienunternehmen und Mittelstand leitet. Bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit trauen die meisten Menschen den großen Firmen mehr zu als dem Mittelstand. Viele Mittelständler sind wegen ihrer Nischenorientierung weitgehend unbekannt und erscheinen auch deshalb neben Konzernen wie BMW oder Audi als Arbeitgeber vergleichsweise unattraktiv. Zudem sitzen die Mittelständler oft auf dem Land, was zu ihrem eher trägen Image beitrage, sagt Kammerlander. Die Firmen müssten die Vorzüge als Arbeitgeber - etwa flachere Hierarchien und schnellere Prozesse als in Konzernen - professioneller präsentieren. "Bei vielen Unternehmen findet bereits ein Umdenken statt", sagt Kammerlander. So veranstaltet eine Reihe von Mittelständlern seit 2006 den Karrieretag Familienunternehmen, andere Firmen wie der ostwestfälische Landmaschinenhersteller Claas buhlen über einen eigenen Instagram-Auftritt um die Gunst junger Talente.

Welche Sorgen haben sie?

Ein Problem ist der Mangel an geeigneten Fachkräften. Gerade Kleinstbetriebe mit maximal neun Mitarbeitern hätten große Probleme, geeignete Bewerber zu finden, sagt Rosemarie Kay, stellvertretende Geschäftsführerin des IfM. Ein Grund: Diese Unternehmen agierten oft im weniger beliebten technisch-gewerblichen Bereich und könnten ihre Mitarbeiter nicht so gut bezahlen, erklärt Kay. Daten des Instituts zeigen, dass allein zwischen 2011 und 2013 jeder zweite Ausbildungsplatz in den kleinsten Unternehmen unbesetzt blieb.

Zu den Nachwuchssorgen kommt für viele Mittelständler zusätzlich noch die Frage hinzu, wer einmal das Unternehmen führen soll. "Früher war der berufliche Weg für die Kinder von Unternehmern oft vorherbestimmt, heute möchten viele einen ganz anderen Beruf ergreifen oder selbst gründen", sagt Kammerlander. Mit dem Problem der ungeklärten Unternehmensnachfolge stehen die deutschen Mittelständler nicht alleine da. "Auch in anderen europäischen Ländern lässt man den Kindern heute mehr Freiraum als früher." Dass ein hiesiger Mittelständler an chinesische Investoren übergeht, sei heute keine Ausnahme mehr.

Auch bei der Digitalisierung haben viele Mittelständler noch viel Arbeit vor sich. Wenn es darum geht, die Datenverarbeitung zu digitalisieren, nach außen hin über soziale Netzwerke zu kommunizieren oder das eigene Geschäftsmodell zu überdenken, besteht bei vielen Unternehmen Nachholbedarf. Das zeigt beispielsweise eine Studie des Europäischen Zentrums für Wirtschaftsforschung (ZEW). "Viele Unternehmen waren lange Zeit innovativ darin, ihre Produkte besser zu machen", sagt Kammerlander. Nur die wenigsten hätten aber bedacht, was kommt, wenn die Produkte durch die Digitalisierung einmal überflüssig werden. Was die digitalen Veränderungen betrifft, hätten manche Unternehmer noch immer Berührungsängste.

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