Mittelstand:Gemeinsam stark

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Wer Mitarbeiter mit Migrationshintergrund beschäftigt, verbessert seine Chancen für Innovationen. Doch es gibt noch Vorurteile.

Von Kristina Läsker

Kai Teckentrup kennt die Nöte seiner Beschäftigten. Wie sich Mitarbeiter mit Migrationshintergrund verbiegen müssen, um den privaten Teil ihres Lebens bei der Arbeit zu verstecken. Wie der muslimische Kollege, der einst partout nichts vom Beschneidungsfest seines Sohnes erzählen wollte. Weil er sich vor Diskriminierung fürchtete. Teckentrup leitet einen Mittelständler aus Ostwestfalen, die Teckentrup GmbH aus Verl-Sürenheide, und er möchte solche Ängste abbauen. Der Firmenchef will, dass möglichst viele Migranten in seinem Betrieb arbeiten. Weil sich das für die Gesellschaft lohnt - und vor allem für seine Firma. "Wir wollen nicht die Welt verbessern, wir wollen die Effektivität des Unternehmens steigern", sagt er.

Die Teckentrup ist ein Pionier. Schon 2008 unterzeichnete der Hersteller von Toren und Türen die sogenannte Charta der Vielfalt. Mit dieser bundesweiten Initiative wollen Firmen, unterstützt vom Bund, Arbeitsumfelder schaffen, die freier von Diskriminierung sind. Wie bei Teckentrup (Jahresumsatz: 140 Millionen Euro): Dort arbeiten gut 900 Beschäftigte, 25 Prozent davon sind Menschen mit Migrationshintergrund. Sie stammen aus der Türkei, aus Russland und anderswoher. Er bilde damit bloß den Alltag ab, sagt Teckentrup: "Wir wollen eine Atmosphäre schaffen für das, was schon gesellschaftliche Realität ist."

Heterogene Teams können bessere Ergebnisse erzielen, wenn sie gut geführt werden

Langsam erst ziehen andere kleine und mittelgroße Betriebe nach und sehen Migranten und deren Kinder als Chance. So glauben inzwischen mehr als zwei Drittel aller Mittelständler, dass Vielfältigkeit in der Belegschaft die Produktivität fördert und die Mitarbeiter zufriedener macht. Das ist das Ergebnis einer der jüngsten Studien des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) aus Bonn. Die Wissenschaftler haben im Frühjahr mehr als 4000 Mittelständler zu "Diversity Management" befragt. Also dazu, ob und wie sie Menschen mit ausländischen Wurzeln und Behinderte fördern und wie sie sich für Frauenkarrieren einsetzen. Laut Studie sind die Aussagen der Unternehmer so eindeutig wie noch nie: Wer Mitarbeiter mit Migrationshintergrund beschäftigt, verbessert seine Chancen für Innovationen. Jene Mittelständler, die jährlich mehr als zehn neue Produkte oder Dienstleistungen entwickeln, beschäftigten überdurchschnittlich viele Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, heißt es in der Studie. Der Grund: Diese Beschäftigten bringen oft gänzlich andere Ideen und Gedanken in die Firmen. "Kulturelle Diversität ist ein Innovationstreiber", sagt Friederike Welter, Präsidentin des IfM und Autorin der Studie.

Doch das sei nicht die einzig gute Wirkung der Vielfalt, glauben die Unternehmer. Wer expandieren will, kommt demnach mit einer bunten Belegschaft schneller voran. Laut Umfrage setzen stark wachsende Firmen verstärkt auf das Know-how der Ausländer. So förderten Unternehmen, deren Umsatz um zehn Prozent und mehr jedes Jahr zulegt, die Vielfalt im Betrieb besonders intensiv. "Dass das so klar herausgekommen ist, hat mich überrascht", sagt Welter. Was diese Firmen vereint: Sie verankern vielfach die Vielfalt in ihrem Leitbild. Sie legen großen Wert auf gemischte Teams, sie forcieren Karrieren von Menschen mit Migrationshintergrund, und sie rekrutieren weit bunter als andere. Das ist für Deutschland noch immer besonders.

Denn im Alltag haben es Arbeitssuchende mit Wurzeln im Ausland weit schwerer, einen Job zu finden. So erhalten Bewerber mit einem deutschen Namen deutlich häufiger eine Antwort als diejenigen mit einem türkischen Namen. Außerdem werden Jugendliche mit türkischen Namen seltener zum Vorstellungsgespräch eingeladen als Bewerber mit deutschem Namen und sie erhalten häufiger eine direkte Absage. So lauten die ernüchternden Ergebnisse einer Studie zur Diskriminierung am Ausbildungsmarkt aus dem vorigen Jahr, finanziert vom Sachverständigenrat für Integration und Migration.

Tatsächlich denken auch viele Unternehmer in Deutschland noch nicht sehr lange über mehr Vielfalt nach - und häufig geschieht das nur auf äußeren Druck hin. Denn nach und nach bekommen kleine und mittelgroße Betriebe den Fachkräftemangel zu spüren. Weil immer weniger Kinder geboren werden und die Gesellschaft altert, fehlen vielerorts Fach- und Führungskräfte. Wer sich nicht anstrengt, dem laufen dazu noch die Leute weg: Denn wenn es viele attraktive offene Stellen gibt, sind leistungsstarke Mitarbeiter schwerer zu halten. Deshalb können es sich etliche Betriebe schlichtweg nicht mehr leisten, auf kompetente Frauen oder Menschen aus anderen Ländern, Kulturkreisen und Religionen zu verzichten. Dem Wohl des Betriebs zuliebe und weil sie im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss verpassen wollen. "Da wird viel Wandel passieren müssen", sagt Kathrin Trump, Gründerin des Instituts für Diversity Management. "Häufig ist das noch ein erzwungener Lernprozess." Doch der lohnt sich, meint Trump.

Wer bereits Mitarbeiter mit Kenntnissen über andere Länder, Sprachen und Kulturen im eigenen Betrieb habe, könne leichter auf Märkte im Ausland expandieren. Aber was gut klingt, ist durchaus riskant: Vielfalt kann am Anfang auch ein echter Nachteil sein. So brauchen gemischte Teams häufig weit länger, um sich aufeinander einzuspielen und gut miteinander zu arbeiten. Homogene Teams lieferten dagegen meist solide Leistungen ab und das zügig, sagt Kulturwirtin Trump. Doch das ändert sich dann mit der Zeit. Heterogene Teams könnten - vor allem bei kreativen und neuen Aufgaben - im Schnitt bessere Leistungen erzielen. Allerdings geschieht das im Alltag nicht immer und darin liegt das Risiko. "Wenn man gemischte Teams schlecht führt, schneiden sie schlechter ab", sagt Trump. Etwa, wenn kulturelle und religiöse Unterschiede verstärkt zu Misstrauen und Streit führen. Auch Unternehmer Teckentrup weiß um diese Hindernisse und wie wichtig es ist, dass sich Beschäftigte wohlfühlen. "Wer sich im Unternehmen nicht zu Hause fühlt, wird keine effektive Arbeit leisten können."

Vor allem versteckte Vorurteile verhindern oft ein gutes Miteinander, sagt Diversity-Expertin Trump. So sei die Mehrzahl der Personalchefs bei Mittelständlern davon überzeugt, gar keine Vorurteile zu haben. Umfragen belegten aber deutlich, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund oft benachteiligt fühlten. "Diese Art von Diskriminierung ist weiter verbreitet, als wir uns das eingestehen." Auch die Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung, Welter, kennt diese Probleme. "Die Barriere im Kopf kann ein Hindernis sein", sagt die Professorin. Doch wie überwindet man solche Barrieren? Vielfach versuchen Betriebe, mithilfe von interkulturellen Trainings versteckte Vorurteile sichtbar zu machen und abzubauen.

"Sie werden daran gemessen, was Sie tun."

Auch Mittelständler Teckentrup tut viel dafür. Der Betrieb hat Sensibilisierungs-Workshops für Führungskräfte eingeführt. Sie sollen im Alltag helfen. Oft nützten auch andere Kleinigkeiten, meint der Firmenchef. So seien im internen E-Mail-Kalender inzwischen internationale Feiertage eingetragen. Die Firma schickt Mitarbeitern nicht nur Briefe zu Weihnachten, sondern auch zu Ramadan, dem Fastenmonat der Muslime. Betriebsanweisungen seien möglichst einfach gehalten, damit alle sie verstehen. Wie viele andere bietet Teckentrup zusätzlich Kurse für Deutsch als Fremdsprache an und wirbt offensiv dafür. Man müsse dafür die informellen Strukturen in der Belegschaft kennen und nutzen, sagt der Firmenchef. So hätten Gruppen wie die türkischstämmigen Beschäftigten meist einen informellen Vorsprecher. Derjenige müsse über Deutschkurse informiert werden und seine Leute dahin schicken. "Das ist effektiver als ein Aushang."

Integration ist also kein Selbstläufer, sie muss von der Leitung gefördert werden. Das zeigt auch die Studie des Instituts für Mittelstandsforschung. In mehr als drei Viertel der befragten Betriebe sei die Geschäftsführung für personelle Vielfalt zuständig, und das sei gut so, sagt Institutspräsidentin Welter. "Wenn das Chefsache ist, steigen Migranten häufiger in leitende Positionen auf." Dringend nötig ist es allemal: In den befragten Betrieben leitet nur ein magerer Anteil von neun Prozent der Migranten ein Team.

Auch Unternehmer Teckentrup will die Karrieren von ausländischen Mitarbeitern fördern und das Klima verbessern. Doch wie? Natürlich könne er große Plakate aufhängen und dazu auffordern, dass sich alle lieb haben sollen, sagt er. Doch das bringe wenig. Er als Chef müsse das vorleben. "Sie werden daran gemessen, was Sie tun." Viele seiner Konkurrenten haben noch einiges nachzuholen, meint Teckentrup. "Im Mittelstand ist das Thema noch nicht angekommen."

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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