Mithelfen im Supermarkt:Auch die Deutschen wollen sich jetzt selbst bedienen

Backshops wehren sich gegen Hygiene-Anforderungen

In einigen Backshops werden die Kunden schon jahrelang darauf getrimmt, beim Einkaufen mitzuhelfen.

(Foto: dpa)
  • In Deutschland waren die Kunden bislang sehr skeptisch gegenüber Selbstbedienungs-Kassen.
  • Doch die Technik wird immer günstiger und junge Leute verzichten lieber auf den Plausch an der Kasse. Die Selbstbedienung könnte sich ausbreiten.

Von Lea Hampel

Es klang, als stünde die Zukunft kurz bevor: Selfservice, wie Selbstbedienung so schön auf Englisch heißt, hieß es im Handel kurz nach der Jahrtausendwende, sei das große neue Ding. Geld holten die Kunden schon am Automaten, Backshops breiteten sich aus, 2002 richtete Metro einen "Future Store" ein, um zu testen, wie der Supermarkt der Zukunft aussehen könnte. Mehr Maschine, weniger Mensch galt als der anstehende Modernisierungsschub.

Doch mehr als zehn Jahre später ist die große Revolution ausgeblieben. Während in den USA und bei europäischen Nachbarn wie Großbritannien kein Supermarkt ohne Selbstbedienungskassen auskommt, ist Deutschland "die große Ausnahme, wo es noch nicht so gut funktioniert", sagt Michael Bayer, globaler Vorstand für den Bereich Handelslösungen beim Automatenhersteller NCR. "Es geht hier sehr langsam voran", urteilt auch Michael Gerling vom EHI Retail Institute, das den Einzelhandel erforscht.

Kunden schätzen das Schwätzchen beim Bezahlen

Dass in Deutschland noch so viele Servicekräfte hinter Kassen und Theken stehen, hat verschiedene Gründe. Zum einen waren die Kosten für automatisierte Abläufe lange hoch. Die Gewinnmarge im deutschen Einzelhandel ist im internationalen Vergleich besonders gering, dementsprechend zurückhaltend sei man mit Investitionen gewesen, sagt Bayer. Und selbst wenn sich Maschinen nach zwei Jahren amortisierten: Die eingesparten Kosten entstehen an anderer Stelle neu, etwa bei Wartung und Betreuung. Das schrecke Händler ab: "Wenn das tatsächlich günstiger wäre, würden die das viel schneller installieren", erläutert Gerling.

Lange waren auch Mitarbeiter und Kunden der Automatisierung gegenüber skeptisch: Man fürchtete den Arbeitsplatzabbau. Der Gedanke ist naheliegend: Wenn vier Terminals zwei Kassen ersetzen und nur noch von einer Mitarbeiterin betreut werden, sei das "gefühlte Rationalisierung", sagt Konsumforscher Gerling, auch wenn sonst fast nie alle Kassen besetzt sind.

Hinzu kam die persönliche Komponente. Vielen Kunden war das Schwätzchen beim Bezahlen wichtig. Ein weiterer Grund für die Skepsis lag in den Geräten selbst, erzählt Silke Bartsch, die das Phänomen Self- service an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität untersucht: "Vor allem in den Frühphasen waren manche Automaten so kompliziert, dass sie von den Kunden nicht angenommen wurden, im Bereich Autoverleih beispielsweise."

Und doch: Noch sind sie nicht Standard, aber der Mythos von der Maschine als Konsumantreiber lebt weiter - und ist aktuell wie nie zuvor. "Wir glauben, dass in fünf Jahren die Zahl der besetzten Kassen um 40 bis 50 Prozent zurückgeht", sagt Bayer. "Es ist nicht mehr die Frage, ob Selfservice erfolgreich sein wird, sondern in welchem Ausmaß, und wie das das Arbeitsumfeld verändern wird." Einen wirklichen Wandel beobachtet er seit eineinhalb Jahren.

Gute Kassierer zu finden ist mittlerweile schwer

Die Gründe dafür sind vielfältig. Es gibt zahlreiche Initiativen für mehr Selbstbedienung, nicht zuletzt von Automatenherstellern. Der Maschineneinsatz wird zukünftig wirtschaftliche Notwendigkeit sein, sagt Bayer: "Es wird schließlich immer schwieriger, eine gute Kassiererin zu finden." Umso genauer müsse man überlegen, für welche Bereiche Mitarbeiter für persönliche Beratung verfügbar sein müssen, sagt Bayer. Weil die Verkaufszeiten länger werden und die Erwartungen der Kunden steigen, sei mehr Technik unumgänglich.

Auch auf Seiten der Kunden steigt das Interesse: "Die Nachfrage ist viel größer als das Angebot", schätzt Gerling vom EHI. Das liegt auch daran, dass die Kunden den Umgang mit Geräten stärker gewohnt sind als früher. "Durch das Smartphone fällt bei vielen Kunden die Angst vor der Technologie weg", sagt Forscherin Bartsch. Viele erwarten sogar, dass Unternehmen moderne Technik einbeziehen. "Beim Banking konnte man in Untersuchungen sehen, dass die wahrgenommene Qualität der Unternehmen steigt, wenn sie ihre Leistungen mit moderner Technologie anbieten", sagt Bartsch.

Dabei haben die Kunden unterschiedliche Motive, solche Angebote zu nutzen, erläutert Bayer. Die Jungen, unter 30-Jährigen, schätzen die Interaktion mit Kassenpersonal nicht; sie mögen es, statt zu warten beschäftigt zu sein. Aber auch ältere Kunden sind keinesfalls so skeptisch wie gern angenommen. In Untersuchungen, sagt Gerling, hätten sie sich nach ersten Anlaufschwierigkeiten oft gefreut, sich an der Kasse nicht mehr gestresst zu fühlen, weil jemand drängelt oder die Kassiererin schneller einscannt, als sie packen. "An der Kasse bei Aldi hat man ja regelmäßig das Gefühl von Kontrollverlust", sagt Gerling.

Die Kombination aus Mensch und Maschine macht's

Der eigentliche Durchbruch für den Self-service liegt aber weder beim Händler noch beim Kunden - sondern auf Seiten der Technik. Die Maschinen sind günstiger geworden. Durch die digitale Vernetzung, so Forscherin Bartsch, dadurch, dass Internet, mobile Anwendungen und stationäre Geschäften zusammenspielen, habe Selbstbedienung eine "neue Dimension" bekommen. Der moderne Kunde sieht am Computer ein Angebot, bestellt es per App und holt es persönlich ab - vom Paar Markenschuhe bis zur Sushiplatte.

Und so träumt zwar kaum noch ein Händler davon, künftig sein Personal durch Maschinen zu ersetzen - aber nicht wenige planen, Letztere stärker einzubinden. "Letztendlich", sagt Bayer, "geht es darum, Prozesse zu schaffen, mit denen sich jeder wohlfühlt." Das kann mal der Automat, mal die Selbstscan-Maschine, wo man hinterher bei einem Kassierer bezahlt, mal das voll automatisierte System. Bei Real beispielsweise, einem der ersten Einzelhändler, der Selbstbedienungskassen eingeführt hatte, hat der Kunde in der Regel die Wahl zwischen Maschinen und einer mit Menschen besetzten Kasse. Die am häufigsten eingesetzte Version ist eine Mischform: Der Kunde scannt die Waren selbst, bezahlt aber an einer herkömmlichen Kasse. Die Zukunft bringt also nicht Maschine statt Mensch - sondern viele Varianten, je nach Branche, Kunde und Umfeld. Eine Technisierung im Service gilt aber nur noch als "additiv statt alternativ", sagt Gerling.

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