Mitarbeiterführung:Ein bisschen Lidl ist überall

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Der Konzern Lidl gilt als exemplarisch für einen schlechten Umgang mit Beschäftigten. Doch es gibt viele Möglichkeiten, die Würde von Mitarbeitern zu verletzen - Beispiel Nokia, Allianz oder Daimler.

Alexandra Borchardt

Die erste Reaktion ist ein Reflex: "Natürlich, Lidl schon wieder", denkt der, der liest, wie der Lebensmitteldiscounter in einzelnen Filialen Mitarbeiter während der Arbeit per Kamera auf Schritt und Tritt verfolgt haben soll.

Was ist einem Konzern schon zuzutrauen, über den die Gewerkschaft ein "Schwarzbuch" führt, der außer für niedrige Preise vor allem für den Druck bekannt ist, mit dem er seine Beschäftigten traktiert.

Lidl steht als Synonym für jene Arbeitgeber, die regelmäßig die Grenze überschreiten zwischen Fordern und Knechten. Die vergessen, was ihren Mitarbeitern zu jeder Zeit gebührt: Respekt. So betrachtet allerdings lässt sich beim Blick in die Arbeitswelt feststellen: Ein bisschen Lidl ist überall.

Natürlich lassen die wenigsten Unternehmen dilettantische Detektive auf ihre Beschäftigten los, wie dies der sonst so verschwiegene Discounter immerhin zugegeben und bedauert hat. Aber es gibt viele Möglichkeiten, die Würde von Beschäftigten zu verletzen.

Beispiel Kommunikation: Eine Fabrik soll geschlossen werden, nehmen wir Nokia. Noch zu Weihnachten werden die Mitarbeiter im Bochumer Werk zu Überstunden gedrängt, dann im Januar die dürre Mitteilung aus der Zentrale: Die Fabrik macht dicht. Konzernchef Olli-Pekka Kallasvuo lässt sich nicht blicken, die Nachricht darf der Betriebsrat überbringen.

Später lesen die gut 3000 Betroffenen in der Zeitung, dass sie am Standort Gewinn erwirtschaftet haben. Ein Schlag mitten ins Gesicht. Conti, Siemens, AEG - die Liste ließe sich verlängern. Dabei war nie so viel Kommunikation wie heute. Viele Konzerne halten sich große Stäbe für interne und externe Nachrichtenverbreitung. Internet, Intranet und E-Mail sind überall üblich. Trotzdem fehlen oft die Chefs, die vor ihre Leute treten und ihnen rechtzeitig sagen, was die Zukunft für sie bereithalten könnte - während sie ihre eigene Zukunft komfortabel abgesichert haben. Das ist fehlender Respekt.

"Sie sind uns egal"

Beispiel Abfindungen: Sie gelten als die sanfte Art des Stellenabbaus, genutzt zum Beispiel von Daimler und Allianz, General Motors und Delta Air Lines. Tausenden, ja Zehntausenden Mitarbeitern flattert ein Brief ins Haus, in dem ihnen Geld dafür geboten wird, ihren Arbeitsplatz aufzugeben.

Genauso gut könnte man ihnen schreiben: "Es ist uns egal, ob Sie bei uns arbeiten." Solche Einheitsabfertigung verletzt die Würde des Einzelnen. Jeder möchte auch am Arbeitsplatz als Individuum mit Leistungen und Ideen wahrgenommen werden. Zumal die Konzerne bei solchen Abfindungsaktionen regelmäßig merken, dass sie zwar die geplante Zahl an Mitarbeitern eingespart, aber ungeplant viele Menschen mit speziellen Stärken verloren haben. Denn zuerst gehen die Besten, die leicht woanders unterkommen.

Es ließe sich noch viel sagen über fehlenden Respekt. Es gibt drastische Fälle wie jene Firmen, die Abteilungen ins Ausland verlagern und die alten Job-Inhaber verpflichten, ihre Nachfolger einzuarbeiten. Aber auch alltägliche Sünden wie jene, die Mitarbeiter mit ihren Erfolgen und Fehlern einfach zu ignorieren.

Herrschaft der Zahlen

Vieles davon hat es schon immer gegeben, aber einiges ist neu. Zum Beispiel die Herrschaft der Zahlen. Moderne Computersysteme können die finanziellen Ergebnisse jeder Abteilung jederzeit abrufbar machen, kontrollieren: Was leistet jener Mitarbeiter? Wie verkauft sich dieses Produkt? Wer mal nicht mithält, fällt hinten runter. Anleger verlangen Erfolge im Quartalstakt, Firmen, die nicht stetig liefern, bestraft die Börse. Wenn die Controller regieren, werden Mitarbeiter leicht zu Kostenfaktoren.

Personalfachleute beobachten eine neue Generation von Managern. Typen, die sich stärker an Zahlen, weniger an Beziehungen orientierten. Das mag so manchen alten Klüngel sprengen und objektivere Maßstäbe in die Chefetagen bringen. Doch Menschen lassen sich nur begrenzt in Zahlen umrechnen. Ein Kollege sprüht vor Ideen, ein anderer hält das Team zusammen, ein dritter steckt die anderen an mit Lebensfreude und dem Willen, das letzte Stück auch noch zu schaffen - wie bemisst der Zahlenmensch deren Leistung? Aber unter dem Strich sind es die Beschäftigten, die das Geld verdienen. Nur wer den Wert seiner Mitarbeiter kennt und schätzt, wird ihn auch maximieren können.

Und auf diesen Wert kommt es an in Volkswirtschaften, die immer stärker vom Wissen und immer weniger von der Produktion leben. Die Konkurrenz um die Köpfe wird wachsen. Natürlich sind Firmen keine Wohlfühl-Oasen. Es herrscht Wettbewerb, Geld muss verdient werden. Aber das gelingt oft erstaunlich gut in jenen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter anständig behandeln. Dies bedeutet, sie zu respektieren, zu motivieren aber auch jene zu sanktionieren, die gegen die Regeln spielen. Deshalb haben auch Kontrolle und Leistungsstandards ihren Platz, schon der Gerechtigkeit wegen.

Bei all dem kommt es vor allem auf die Führungskräfte an: Auf den Boss ganz oben, der die Richtung vorgibt, aber auch auf jene Chefs und Chefinnen, die auf den unteren Ebenen ihren Mitarbeitern das Gefühl vermitteln, für den Erfolg der Firma wichtig zu sein. Vorgesetzte, die das schaffen, werden in der Regel mit Loyalität und Einsatz belohnt. Solche gibt es zum Glück auch fast überall. Vermutlich sogar bei Lidl.

© SZ vom 29.03.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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