Miserable Arbeitsbedingungen:Notplan gegen Selbstmorde

Ein weiterer Selbstmord bei Renault hat das Fass zum Überlaufen gebracht: Die französiche Regierung will Firmen zu einem Abkommen gegen Stress im Job zwingen.

S. Haas und M. Kläsgen

Die französische Regierung will die Konzerne dazu zwingen, mit den Gewerkschaften ein "Abkommen gegen psychosozialen Stress am Arbeitsplatz" zu schließen. Damit reagiert Paris auf die Selbstmorde in mehreren Firmen. Unternehmen, die sich verweigern, drohen Geldstrafen.

Arbeitsminister Xavier Darcos will alle 2500 französischen Firmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern dazu verpflichten, sich dem "Notplan" anzuschließen. Er will dies mit Sanktionen und falls nötig auch gesetzlich durchsetzen.

In einem ersten Schritt sollen die "Verweigerer" im Internet veröffentlicht werden. Ein weiterer Selbstmord bei dem Autokonzern Renault am Donnerstag veranlasste die Regierung zum Handeln.

Präventionsplan von PSA Peugeot Citroën

Seit Wochen hält eine Suizid-Serie beim Telefonkonzern France Télécom das Land in Atem. 24 Mitarbeiter brachten sich in den vergangenen 19 Monaten um. Auch bei Renault hat es schon mehrere Selbstmorde gegeben. Bereits vor zwei Jahren hatten sich drei Renault-Ingenieure innerhalb kurzer Zeit das Leben genommen. Damals ereigneten sich in mehreren Großunternehmen Suizide.

Als Grundlage für das von der französischen Regierung initiierte Abkommen dient ein Präventionsplan von PSA Peugeot Citroën. Bei dem Autohersteller hatten 2007 allein im ostfranzösischen Werk Mülhausen fünf Beschäftigte Suizid begangen.

Der Maßnahmen-Katalog von PSA, den alle Gewerkschaften in wenigen Tagen unterschreiben sollen, sieht im Wesentlichen vor, Stressfaktoren frühzeitig zu erkennen und Probleme medizinisch zu behandeln. Konkret sollen also offensichtlich potenziell Suizid-Gefährdeten Medikamente verschrieben werden. Fragebogen, die eine externe Agentur verteilt, sollen helfen festzustellen, wie die Mitarbeiter sich fühlen.

Seelsorge-Telefon

Je nach Befund sollen dann Arbeitsmediziner auf Einzelne zugehen, wenn diese ihre Identität preisgeben. Oder die Unternehmensleitung reagiert auf Initiative des Betriebsrates, indem sie Arbeitsabläufe verbessert. Die Beschäftigten selber mitbestimmen zu lassen, ihre Arbeit zu organisieren, wie es manche Wissenschaftler fordern, ist nicht beabsichtigt.

Vielmehr plant die Regierung, allen Mitarbeitern in Großunternehmen ein Seelsorge-Telefon sowie einen Briefkasten für persönliche Sorgen zur Verfügung zu stellen. Diese Vorrichtungen hält das Institut für Arbeitsschutz in Paris (INRS) jedoch für nicht ausreichend.

Selbstmord-Gefährdete würden in der Regel nicht den ersten Schritt tun und sich nicht zu erkennen geben, heißt es in einer Studie. Das Institut rät den Unternehmen stattdessen, vor allem Nachahmer-Effekte zu unterbinden.

Die Unternehmensleitung müsse allen Mitarbeitern zeigen, wie betroffen sie von dem Selbstmord eines Mitarbeiters sei und anschließend veranlassen, Stressfaktoren abzubauen. Bei France Télécom, Renault und Peugeot geschah jedoch zunächst das Gegenteil. Die Konzerne verneinten jegliche Verantwortung.

Die Selbstmorde in Frankreich hängen aus Sicht der französischen Regierung mit der Überbelastung am Arbeitsplatz zusammen. Suizid-Serien sind in Deutschland nicht bekannt. Allerdings ist auch hierzulande die psychische Belastung gestiegen.

Ständig hoher Zeit- und Leistungsdruck

In vier von fünf deutschen Betrieben stehen Beschäftigte ständig unter hohem Zeit- und Leistungsdruck, zeigt eine Befragung von Betriebsräten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Besonders stark betroffen sind Beschäftigte in Dienstleistungsberufen: Jeder zweite Mitarbeiter sei überlastet, heißt es. Zu wenig Personal, hohe Verantwortung und die Abhängigkeit von den Vorgaben der Kunden wurden als Stressfaktoren genannt.

Ein Sprecher der Diensleistungsgewerkschaft Verdi lobte daher das Vorgehen der französischen Regierung: "Wir würden uns wünschen, dass auch die Bundesregierung auf solche Ideen käme", sagte er.

"Stressig bis zur Belastungsgrenze" sei es in Deutschland vor allem in den Erziehungsdiensten und Krankenhäusern. Verdi empfehle den Krankenschwestern den Vorgesetzen schriftlich mitzuteilen, wenn sie überlastet seien und deshalb Fehler machen könnten. Dies habe immerhin schon dazu geführt, dass Personal eingestellt wurde.

Wichtiger geworden

Die Themen Mobbing und psychosozialem Stress am Arbeitsplatz brennen den Betriebsräten unter den Nägeln, beobachtet das Institut zur Fortbildung von Betriebsräten (IfB) in Seehausen bei München. "Die Themen sind die Wirtschaftskrise wichtiger geworden", sagte IfB-Geschäftsführer Klaus Hanke.

Bei der IG Metall sieht man das ähnlich. "Aus Gesprächen mit Betriebsräten wissen wir, dass der Druck durch die Wirtschaftskrise zunimmt", sagte eine Sprecherin. "Umso wichtiger ist die betriebliche Gesundheitsförderung, damit Arbeit nicht krank macht", betonte sie.

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