Mindestlohn in Frankreich:Kaufkraft-Garantie

Ein Modell für Europa? In Frankreich existiert bereits seit 1950 ein gesetzlicher Mindestlohn, auch um die Kaufkraft der unteren Bevölkerungsschicht zu garantieren. Für die hohe Arbeitslosigkeit wird die Lohnuntergrenze kaum verantwortlich gemacht - außer im Fall der Jugend.

Von Christian Wernicke, Paris

Der gesetzliche Mindestlohn hat in Frankreich lange Tradition. Seit 1950 existiert das Salaire minimum de croissance, dessen Abkürzung jeder Franzose kennt: Smic. Der Mindestlohn pro Stunde, alljährlich von der Regierung nachjustiert, liegt derzeit bei 9,43 Euro. Das garantiert nach nationalem Arbeitsrecht einen monatlichen Bruttolohn von exakt 1430 Euro und 22 Cent - nach Abzug der im Nachbarland hohen Sozialabgaben immerhin noch 1120,43 Euro netto.

Der Smic stützt das Einkommen von mindestens 13 Prozent aller französischen Arbeitnehmer. Lohnpolitik gilt in Frankreich als Mittel der Sozialpolitik: Der Smic, so heißt es im Gesetzesbuch, solle auch niedrig entlohnten Beschäftigten "eine Kaufkraft-Garantie und eine Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung der Nation" zubilligen.

Dieses Grundverständnis hallt wieder, wenn in Paris der linkspopulistische Industrieminister Arnaud Montebourg dieser Tage wettert, Deutschland mit seinen Millionen Billiglöhnern betreibe "Preiswettkampf auf dem Rücken der Kaufkraft der Arbeiter" seiner Nachbarn. Auch Präsident François Hollande, der im Élysée-Palast regierende Sozialist, betrachtet den Mindestlohn geradezu als französisches Modell für ganz Europa.

Frankreich zählt in der EU zu den Volkswirtschaften mit der höchsten Produktivität pro Arbeitsstunde (45,40 Euro), arbeitet laut Eurostat effizienter als etwa der Export-Europameister Deutschland (42,60 Euro). Im Umkehrschluss heißt dies: Der seit 63 Jahren stetig steigende Mindestlohn hat die Unternehmen zu langfristig angelegten Rationalisierungen gezwungen - zum Abbau von Arbeitsplätzen also.

Hohe Jugendarbeitslosigkeit - auch wegen des Mindestlohns?

Dennoch, nur wenige Ökonomen machen den Mindestlohn als Triebfeder für Frankreichs hohe Arbeitslosigkeit (10,5 Prozent) aus. Auch Manager beklagen da eher die hohe Steuerlast, die staatliche Regulierungswut und Bürokratismus als Ursachen. Der Mindestlohn, so sagt etwa Olivier Duha vom Unternehmerverband Croissance Plus, habe "unbestreitbar einen gesellschaftlichen Nutzen." Mit Ausnahme einer Problemgruppe: Frankreichs Jugend.

Jeder vierte Franzose im Alter von 15 bis 24 Jahren ist arbeitslos. Das liegt, so glaubt Duha, zumindest auch am Mindestlohn: Die Smic-Abschläge für Berufseinsteiger - bis zu 20 Prozent weniger für Kids unter 17 Jahren - seien mit Stundenlöhnen von immer noch 7,54 Euro zu gering. Und doch wiegen auch bei der Jugendarbeitslosigkeit andere Gründe schwerer. Frankreichs Bildungssystem ist einseitig auf Uni und Studium ausgerichtet. Berufsausbildung hat wenig Tradition, und jeder fünfte Schüler verlässt die Schule ohne Abschluss (in den berüchtigten Banlieues der Großstädte scheitern oft sogar 40 Prozent).

Für diese Problemgruppen greift dann wieder der Staat ein. Die sozialistische Regierung will bis Jahresende 100.000 so genannte Zukunfts-Jobs für junge Leute vorrangig aus sozialen Brennpunkten schaffen. Für ihre Arbeit in gemeinnützigen Einrichtungen ist der Smic garantiert - und der Staat subventioniert die Lohnkosten mit 75 Prozent (bei Jobs in der Privatwirtschaft gibt es nur 35 Prozent Zuschuss). Am Mittwoch meldete die Regierung voller Stolz: 70.000 Verträge seien bereits unterschrieben.

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