Mindestlohn:Die Untergrenze könnte auf 9,19 Euro steigen

Um wie viel Cent wird der Mindestlohn angehoben? Eine Kommission entscheidet im Juni. Das Statistische Bundesamt hat schon mal gerechnet. Gewerkschafter möchten gern mehr.

Von Thomas Öchsner

Millionen Arbeitnehmer können auf mehr Geld hoffen. Der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro die Stunde dürfte im kommenden Jahr erstmals über die Marke von neun Euro steigen. Grund dafür sind Zahlen zur Entwicklung der Tariflöhne, die das Statistische Bundesamt bekannt gab. Demnach könnte nach den Berechnungen des Amts die gesetzliche Lohnuntergrenze von 2019 an um 35 Cent auf 9,19 Euro steigen.

Über die Höhe des Mindestlohns entscheidet eine Kommission, in der je drei stimmberechtigte Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebern sitzen. Kein Stimmrecht haben die beiden wissenschaftlichen Vertreter des Gremiums. Diese Kommission orientiert sich "nachlaufend" am Tarifindex, in den etwa 700 Tarifverträge in Deutschland einfließen. Dieser Index der monatlichen Stundenverdienste ist im Zeitraum von Dezember 2015 bis Dezember 2017 um 4,8 Prozent gestiegen, teilten die Statistiker mit. Bei einem solchem Aufschlag ergibt dies rein rechnerisch eine Erhöhung um 42 Cent auf 9,26 Euro. Die Behörde rechnet aber anders.

Die Wiesbadener Statistiker nehmen als Ausgangswert nicht den Mindestlohn von 8,84 Euro, sondern 8,77 Euro. Denn als der Mindestlohn erstmals von 8,50 auf 8,84 Euro Anfang 2017 erhöht wurde, wurde bei den Berechnungen der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst vorgezogen berücksichtigt. Damit er nicht doppelt in die nächste Erhöhung einfließt, hat ihn die Behörde wieder herausgerechnet. "Unter diesen Voraussetzungen würde der Mindestlohn ab dem 1. Januar 2019 auf 9,19 Euro ansteigen", teilen die Statistiker mit.

Von der nächsten Erhöhung könnten nach früheren Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums bis zu vier Millionen Arbeitnehmer profitieren. In den vergangenen Jahren galt dies vor allem für ungelernte Arbeitskräfte, etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe oder in der Callcenter-Branche, sofern ihr Arbeitgeber die gesetzliche Lohnuntergrenze nicht unterlief. Der Mindestlohn wird alle zwei Jahre angepasst. Beschlossen ist jedoch noch nichts. Die Kommission entscheidet erst im Juni über die anstehende Erhöhung. Sie kann dabei vom Tarifindex abweichen - laut ihrer Geschäftsordnung allerdings nur mit einer Zweidrittelmehrheit und "wenn besondere, gravierende Umstände auf Grund der Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung vorliegen". Außerdem soll die Kommission auf einen "angemessenen Mindestschutz" der Arbeitnehmer achten.

Darauf weist auch DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell hin: Mittelfristiges Ziel müsse es sein, den Mindestlohn existenzsichernd zu machen. Deshalb müssten "die Schritte, in denen der Mindestlohn steigt, größer werden", sagt der Gewerkschafter. Körzell ist Mitglied der Kommission.

Auch Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs in der gewerkschaftsnahen Hans-Böcker-Stiftung, sagt: Der geforderte angemessene Mindestschutz für die Arbeitnehmer sei derzeit "mehr als fraglich, da in insbesondere vielen Großstädten der Mindestlohn sogar bei Alleinstehenden selbst bei einer Vollzeittätigkeit nicht für ein existenzsicherndes Einkommen ausreicht". Die Arbeitgeberverbände haben bislang eine Erhöhung, die über die Entwicklung des Tarifindexes hinausgeht, vehement abgelehnt.

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