Milliardenhilfe:Wie Europa Spanien retten muss

Die Banken liegen am Boden und brauchen dringend Kapital. Doch die Finanzmärkte vertrauen Madrid nicht mehr. Jetzt muss Europa einspringen - oder nicht? Kann Deutschland das überhaupt noch leisten?

Alexander Hagelüken und Simone Boehringer

Spanien retten? Ja, schreibt Alexander Hagelüken: Fällt Madrid, zerbricht unsere Währung. Jetzt auch noch Spanien. Mancher Deutsche wird bei dieser Meldung endgültig den Glauben verlieren: Nach Griechenland, Irland und Portugal zusätzlich 100 Milliarden Euro für Spanien? Natürlich bedeutet das mehr Risiken für die Steuerzahler. Und natürlich ist es peinlich, wie spanische Politiker jahrelang die Bankensanierung verzögerten und heute stolz eine Sonderrolle unter den Euro-Kränklingen beanspruchen. Dennoch muss jeder Spanien diese Hilfen geben - jeder, der den Euro retten will.

Milliardenhilfe: Milliarden für die Banken: Kiosk in Spanien.

Milliarden für die Banken: Kiosk in Spanien.

(Foto: AP)

Der Regierung in Madrid fehlt einfach das Geld, um ihre mit faulen Immobilienkrediten vollgepumpten Banken endlich aus den Schlagzeilen zu schaffen. Geldhäuser lassen sich nur schnell stabilisieren (wie es die USA nach dem Lehman-Schock 2008 taten), sonst lähmen sie eine Volkswirtschaft lange (wie Japan nach der Finanzblase der achtziger Jahre).

Weil die Regierung schon jetzt zu hohe Zinsen für neue Schulden zahlen muss, braucht sie für ihre Banken Kredite der Euro-Partner - für die sie selbst haftet, nicht die Geldhäuser, was das Risiko für Europas Steuerzahler begrenzt. Schlimmer als diese Risiken wäre, wenn die Bankprobleme weiter gärten: Das würde das Misstrauen gegen Spanien und so die Finanzierungskosten der Regierung ins Unerträgliche steigern.

Ansteckungsgefahr mindern

Wer Madrid Hilfe verweigert, treibt das Land aus dem Euro. Eine Währungsunion ist zur Not ohne Griechenland denkbar, aber nicht ohne den viertgrößten Euro-Staat. Ein Platzen der Währungsunion würde nicht nur die hochverschuldeten Südstaaten ins Chaos stürzen, sondern auch in Deutschland Hunderttausende Arbeitsplätze kosten.

Es geht bei Spanien also wieder mal um alles. Und zwar in mehrfachem Sinne: Schnelle Euro-Hilfen stabilisieren nicht nur jetzt dieses Land, dessen spätere Rettung unbezahlbar würde. Sie reduzieren präventiv Ansteckungseffekte, die ein Euro-Austritt Griechenlands in Spanien auslösen würde, falls die Griechen am Sonntag das Chaos wählen.

Diese Ansteckungsgefahr zu mindern, ist für die Euro-Regierungen wichtig: Nur so können sie nach der Wahl einen Bruch mit den neuen Herren in Athen und einen Austritt des Landes aus dem Euro riskieren. Einen solchen Grexit müssen sie in Kauf nehmen, um Griechenland (und anderen Euro-Patienten) zu demonstrieren, dass sie rausfliegen, wenn sie den Spar- und Reformkurs boykottieren.

Auch stolze Spanier müssen Souveränität abgeben

Reformen, natürlich, hat auch Spanien zu liefern. Das Geld für die Banken darf nur fließen, wenn die EU ihre Sanierung kontrolliert und kleinere Häuser dichtmacht. Die Hilfe jedoch zu verweigern und ein Lehman-Ereignis auszulösen, in dem etwa Spaniens viertgrößte Bank(ia) kollabiert, sollten die Politiker nach der Erfahrung von 2008 zu vermeiden gelernt haben. Reformen, natürlich, hat Spanien auch anderweitig zu liefern.

Selbst die stolzen Iberer müssen Souveränität an Europa abtreten, damit Brüssel sie künftig dauerhaft auf Spar- und Reformkurs halten kann. Entscheidend ist bei allen Euro-Problemländern außerdem, dass sie ihre Firmen und ihren Sozialstaat erneuern, um wieder mit den starken Euro-Staaten wie Deutschland zu konkurrieren - und durch Wachstum ihre Schulden reduzieren zu können.

Das ist die Wette auf die Zukunft, auf der die Logik der Rettungsaktionen beruht: Die starken Euro-Länder helfen den angeschlagenen aus der Finanzklemme, bis die wieder wettbewerbsfähig sind und Investoren finden. Es ist eine Wette, die viel kosten kann, falls sie fehlschlägt und die Hilfen verloren gehen. Es ist eine Wette, die durchaus fehlschlagen kann, wenn die wirtschaftlichen Reformen ausbleiben. Doch es ist auch eine Wette, die Europa eingehen muss, um die Währungsunion zu erhalten. Riskant, aber unverzichtbar: So eng, wie die Euro-Staaten verflochten sind, bedeutet ein Kollaps des Euro pures Desaster.

Muss Europa für Spaniens Banken einstehen? Ein Contra

Nein, schreibt Simone Boehringer: Wer zu viel zahlt, gefährdet das Ganze. Die Krise ist jetzt bald fünf Jahre alt: Zuerst wurden Banken gerettet, dann kleine Staaten, jetzt ein großes Land wegen seiner Geldhäuser. Jedem, der mit gesundem Menschenverstand diese Eskalation der Notfälle verfolgt, muss klar sein: Hier wird die Ausnahme zur Regel, weil niemand sich an die Lösung des Grundproblems wagt.

Milliardenhilfe: Soziale Spannungen: Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Bergarbeitern während einer Demonstration Ende Mai in Madrid.

Soziale Spannungen: Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Bergarbeitern während einer Demonstration Ende Mai in Madrid.

(Foto: AP)

Es geht darum, dass weite Teile Europas über ihre Verhältnisse gelebt haben. Banken haben den Pump-Kapitalismus finanziert, entweder haben sie Kredite verbrieft und an den Börsen weiterverkauft, um ihre Bilanzen zu schonen, oder sie haben Staatsanleihen - gegen null Sicherheiten, anders als für jede andere Anlage vorgeschrieben -, in die Bücher genommen und gefahrlos Zinsen kassiert.

Die Staaten hatten kein Interesse an mehr Regulierung des Finanzsektors, im Gegenteil, je mehr Freiheiten sie dem Geldgewerbe gaben, desto mehr Freiheiten hatten tendenziell auch Regierungen, sich günstig zu verschulden.

Diese Symbiose gibt es noch heute, wenngleich inzwischen eher unfreiwillig: Der Staat reguliert die Banken nur langsam, um die inzwischen völlig unterkapitalisierte Finanzbranche zu stützen. Und die Banken "danken" es, indem sie weiter Staatsanleihen kaufen. Die Zentralbank EZB hilft beiden, den Instituten mit billigem Geld, um die Geschäfte fortzuführen, und sie hilft Regierungen mit historisch niedrigen Leitzinsen, ihre Schulden überhaupt zu bedienen.

Eine gemeinsame Haftung verstößt gegen europäische Verträge

Spanien soll nun Geld direkt für seine Banken erhalten, weil die Regierung in Madrid die Rettung der Institute, die sich mit Immobilien verspekuliert haben, aus eigener Kraft nicht stemmen kann, jedenfalls nicht zu bisherigen Preisen. Wie viele Euro-Staaten müssen sich die Iberer schon in normalen Zeiten fast jeden Monat zweistellige Milliardenbeträge am Kapitalmarkt besorgen, um die laufenden Verbindlichkeiten zu erfüllen. Verlangen die Märkte nun plötzlich mehr als sechs Prozent Zinsen für neue Schulden, statt früher vier oder fünf, kann das einem Land mit sinkenden Steuereinnahmen in der Rezession das Genick brechen. Zahlungsunfähigkeit droht.

Banken und Staaten sind inzwischen so miteinander in der Schuldenfalle verstrickt, dass von ihnen keine Impulse zu einem echten Ausbruch auf der Abwärtsspirale zu erwarten sind. Mit Forderungen nach einer Bankenunion, Euro-Bonds oder dem Drängen auf einen schnellen Start des europäischen Dauerkreditvehikels ESM suggerieren einige Politiker seit Wochen, dass es zur Vergemeinschaftung von Schulden in Europa keine Alternative mehr gäbe. Manche blenden dabei gerne aus, dass die gemeinsame Haftung gegen die europäischen Verträge (No-Bailout-Klausel) verstößt und zudem für sich genommen keine Lösung des Schuldenproblems beinhaltet. Bundeskanzlerin Merkel drängt zu Recht auf Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild, um wenigstens künftig das staatliche Leben auf Pump einzudämmen.

Deutschland ist gefährdet

Mit der 100-Milliarden-Hilfe für Spanien ist allerdings langsam eine Dimension erreicht, die Deutschland als wesentlichen Garantiegeber und letztinstanzlichen Zahler in Europa gefährdet. Das Volumen aus Direktzusagen, Garantien und Einlagen für Hilfsfonds übersteigt bereits die Größe des Bundeshaushalts.

Von den Deutschen wird Solidarität erwartet. Die können sie nur bringen, solange sie leistungsfähig und vertrauenswürdig bleiben. Dies sind die höchsten Güter, die Berlin Euro-Land zu bieten hat. Sobald aber die Höhe der Zusagen auch nur annähernd die Vermögenswerte des Landes erreichen, fällt die Bonität des wichtigsten Geldgebers in sich zusammen. Dann ist die Währungsunion auf einen Schlag Geschichte. Um eine solche Eskalation zu vermeiden, müssen Schuldenblasen vor allem dort bekämpft werden, wo sie entstehen - jetzt also in Spanien, auch wenn es schmerzt und einige Banken abgewickelt werden müssen.

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