Mietwohnungen:Bitte keinen neuen Balkon!

Freiham, ein neuer Stadtteil entsteht im Westen von München, 2014

2016 bekommen einige Mieter wohl einen neuen Balkon - ob sie wollen, oder nicht.

(Foto: Florian Peljak)
  • Wenn ein Eigentümer seine Wohnung umfassend modernisiert, darf er danach die jährliche Miete um elf Prozent der Modernisierungskosten erhöhen.
  • Große Wohnungskonzerne planen deshalb für 2016 im großen Stil neue Balkone, sparsame Heizungen oder besser gedämmte Fassaden.
  • Die Mieter selbst haben kaum eine Chance, sich gegen die anstehenden Modernisierungen zu wehren.

Von Benedikt Müller

Dass man in ihrer Wohnung das ein oder andere modernisieren kann, das war Familie Rath klar: Ihr Bad aus den Siebzigerjahren besitzt weder Fenster noch Lüftung, auch das Laminat im Rest der Wohnung hat die besten Jahre hinter sich. Deshalb wunderte sich Martin Rath nicht, als sein Vermieter eine Modernisierung ankündigte. "Überrascht hat mich nur, was der Eigentümer machen wollte", sagt Rath.

Im Bad sollte alles beim Alten bleiben, stattdessen würde die Münchner Familie bodentiefe Fenster und einen Balkon bekommen, zudem einen Aufzug im Treppenhaus. "Uns hätte das nicht viel gebracht", sagt der Familienvater. Nur hätte er nach dem Umbau statt 1000 Euro pro Monat über 1300 Euro Miete zahlen müssen. Rath glaubt: "Der Vermieter hat nur das in Angriff genommen, was sich auf den Mieter umlegen lässt."

Nach Modernisierungen droht häufig eine Mieterhöhung

Wenn der Eigentümer eine Wohnung umfassend modernisiert, darf er danach die jährliche Miete erhöhen - und zwar um elf Prozent der Modernisierungskosten. Zwar hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorgeschlagen, diesen Satz auf acht Prozent zu senken. Doch das ist noch längst nicht beschlossen. Deshalb wollen die großen privaten Vermieter im Jahr 2016 noch mal deutlich mehr Geld für neue Balkone, sparsame Heizungen oder die Dämmung von Fassaden ausgeben. Beispielsweise plant Deutschlands größter Wohnungskonzern Vonovia, die Investitionen in Modernisierungen um 38 Prozent auszuweiten. Viele Maßnahmen senken den Energiebedarf, führen aber zu weiter steigenden Mieten in Ballungszentren.

Pro Quadratmeter Wohnfläche geben die größten Wohnungskonzerne heute fast drei Mal so viel Geld für Modernisierungen aus wie noch 2009, hat die Ratingagentur Scope ausgerechnet. Genossenschaftliche und kommunale Wohnungsunternehmen haben ihre Investitionen nicht so stark ausgeweitet. Wegen der hohen Nachfrage nach Wohnungen können die Firmen in vielen Städten höhere Mieten durchsetzen. Gleichzeitig lassen sich Modernisierungen so günstig finanzieren wie nie zuvor - dank niedriger Zinsen und staatlicher Förderung.

Viele Bewohner können sich ihr Heim nach der Sanierung nicht mehr leisten

Der Umbau-Boom stellt die Wirksamkeit der Mietpreisbremse infrage. Seit Juni dürfen Eigentümer die Mieten in vielen angespannten Wohnungsmärkten nur auf ein gewisses ortsübliches Niveau anheben. Doch diese Preisbremse greift nach umfassenden Modernisierungen nicht. Dadurch haben Eigentümer einen noch größeren Anreiz, umzubauen, sagt Analyst Philipp Wass von Scope Ratings: "Die Mietpreisbremse führt aus unserer Sicht zu einem weiteren Anstieg des Modernisierungsanteils an den Gesamtinvestitionen."

Der Deutsche Mieterbund kritisiert die Auswüchse dieses Booms. "Eine Modernisierung ist zurzeit das tollste Geschäft, das ein Vermieter machen kann", sagt Geschäftsführer Ulrich Ropertz. Viele Mieter könnten sich wegen der Elf-Prozent-Regel ihre Wohnung nach einem Umbau nicht mehr leisten. "Dadurch kommt es zu einer gewissen Vertreibung von Mietern", sagt Ropertz.

Mieter können sich kaum wehren

Auch Familie Rath ist aus der Wohnung im beliebten Glockenbachviertel ausgezogen. Die Münchner wohnen jetzt weiter außerhalb zur Miete. Ihren echten Namen wollen die Raths nicht in der Zeitung lesen - wegen der Modernisierung gab es genug Ärger, sagt Martin Rath. "Jeder im Haus ist auf seine Art auf die Barrikaden gegangen." Doch selbst der Mieterverein meinte, die Pläne des Eigentümers seien rechtlich einwandfrei. Gut die Hälfte der Nachbarn sei ausgezogen, sagt Rath.

Ein paar Straßenzüge weiter ein ganz ähnlicher Fall: Nur dass das Ehepaar Fromm aus der Isarvorstadt nicht mehr umziehen will. Denn sie sind beide über 70 Jahre alt und beziehen nur wenig Rente. Seit sage und schreibe 50 Jahren leben die Fromms in der Wohnung, die sie beim Einzug auf eigene Kosten renovierten. Im Gegenzug verlangte die Vermieterin all die Jahre nur 430 Euro Monatsmiete.

Vor zwei Jahren starb die Eigentümerin. Ihr Sohn verkaufte das Mietshaus an einen Projektentwickler. Dieser modernisiert Etage für Etage, auch hier ist ein Teil der Mieter ausgezogen. Die Fromms haben seit August einen Balkon - und bezahlen dafür jeden Monat 110 Euro mehr Miete. "Wir werden jetzt überall sparen müssen", sagt Elisabeth Fromm.

Nur selten gelingt es Betroffenen, bauliche Veränderungen abzuwenden

Zwar müssen Vermieter jede Modernisierung drei Monate vorher ankündigen. Trotzdem kommt es selten vor, dass sich Mieter erfolgreich gegen einen Umbau wehren. Ob eine Modernisierung für sie zumutbar ist oder nicht, wird von Fall zu Fall entschieden. Justizminister Maas hat Ende November angeregt, Mieter sollten künftig zwei Monate Zeit haben, um einen Härtefall zu beantragen. Ein solcher soll stets vorliegen, wenn der Mieter mehr als 40 Prozent seines Einkommens für die Miete aufbringen muss. Eine Grenze, die bei den Fromms bereits überschritten ist.

Maas will in die Eigentumsrechte der Vermieter eingreifen, um "exorbitante Mietsteigerungen" in den Ballungszentren abzubremsen. So steht es im Diskussionspapier des Justizministers. Vermieter sollten künftig nur acht Prozent der Modernisierungskosten umlegen dürfen, schlägt Maas vor. Weil dies bei kostspieligen Umbauten immer noch viel sein kann, regt er zudem eine Kappungsgrenze an: Binnen acht Jahren soll die Miete um nicht mehr als 50 Prozent steigen dürfen. Die Koalition diskutiert über die Pläne zurzeit.

Nicht investieren ist auch keine Lösung

Der Dachverband der Wohnungswirtschaft kritisiert, diese Reform würde umweltfreundliche Sanierungen unattraktiv machen - und damit die Energiewende gefährden. "Notwendige Investitionen in die Modernisierung würden in vielen Fällen komplett unwirtschaftlich", sagt GdW-Präsident Axel Gedaschko. Auch der Immobilienverband Deutschland warnt, Mietern sei nicht geholfen, wenn Eigentümer weniger in ihre Wohnungen investieren würden. "Mietern, die ein Interesse an einem zeitgerechten Wohnstandard haben, wird ein Bärendienst erwiesen", kritisiert IVD-Präsident Jürgen Michael Schick die Pläne des Justizministeriums.

Nach Ansicht des Deutschen Mieterbunds gehen Maas' Pläne in die richtige Richtung. Schließlich sei die Elf-Prozent-Regel zu einer Zeit eingeführt worden, in der Eigentümer die Modernisierungen zu viel höheren Zinsen finanzieren mussten als heute. Selbst wenn die Vermieter nur sechs Prozent der Modernisierungskosten umlegen dürften, wäre das zurzeit ein "extrem gutes Geschäft", sagt Ropertz. Noch besser fände er allerdings, wenn sich die Mieterhöhung nach dem Nutzen statt nach den Kosten einer Modernisierung richten müsste. Bei energetischen Sanierungen sei die Mieterhöhung viel höher als die Kostenersparnis für die Mieter, sagt Ropertz.

Dem kinderlosen Ehepaar Fromm aus München bereiten die Modernisierungspläne ihres Vermieters existenzielle Sorgen. "Wo sollen wir noch hinziehen in unserem Alter?", sagt Elisabeth Fromm. Als nächstes will der Eigentümer einen Aufzug in das Mietshaus einbauen lassen. Die Kosten dürfte er auf die Mieter umlegen. "Dann", sagt Elisabeth Fromm, "müssten wir anfangen, am Essen zu sparen."

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