Michel Houellebecq und Frédéric Beigbeder:Diktat des Konsums

Frankreichs neue Literatur-Stars lieben die Kritik: Michel Houellebecq und Frédéric Beigbeder.

Gerhard Bläske

(SZ vom 20.10.2001) Die Veröffentlichung des Buches 99 Francs (deutscher Titel: 39,90) im vergangenen Jahr hat Frédéric Beigbeder über Nacht zum Superstar der französischen Literaturszene gemacht.

Seine Kritik an einer nach seiner Meinung zynischen und entmenschlichten Gesellschaft und ihren Konsumgewohnheiten hat offenbar den Nerv der Gesellschaft getroffen. Der im schicken Pariser Vorort Neuilly geborene 36-Jährige, der selbst Schicki-Micki-Allüren an den Tag legt, weiß, wovon er spricht - deshalb ist er für viele so glaubwürdig.

99 Francs trägt viele autobiografische Züge. Beigbeder erzählt über den Alltag der Werbewirtschaft, einer Branche, in der er selbst zehn Jahre lang tätig war. Unter anderem schuf er eine Reihe von Werbeslogans, die in Frankreich inzwischen fast jeder kennt.

Er beschreibt eine Welt, in der Kälte und Zynismus herrschen, in der letztlich nur das Geld zählt. In Beigbeders Welt kann man sich "alles, Liebe, Kunst, den Planeten Erde, Sie mich" damit kaufen. Eine Welt, die unter dem Diktat der Werbung und der Medien steht, die alles kontrollieren und deren Wirkung der Autor mit der Propaganda des Naziregimes vergleicht. "Ich bin der Typ, der Ihnen Scheiße verkauft. Der Sie von Sachen träumen lässt, die Sie nie haben werden: Ein immer blauer Himmel, eine niemals hässliche Frau, das im Foto-Studio retouchierte perfekte Glück."

Beigbeder betreibt keine plumpe Globalisierungsgegnerschaft und ist erfrischend selbstironisch, wenn er über seine eigene Abhängigkeit von Luxusprodukten wie der High-End-Stereoanlage schreibt. Mit seiner Beschreibung des Unternehmens Danone, das im Buch in Madone verfremdet ist, wurde er zum Vorreiter einer Boykottbewegung gegen den Lebensmittelkonzern, der vor einiger Zeit bekannt gegeben hat, tausende von Arbeitsplätzen abbauen zu wollen.

In manchen Passagen erinnert Beigbeder an Michel Houellebecq, den zweiten Shooting-Star der französischen Literatur, und die beiden kenne sich gut. Houellebecq nahm seinen Kollegen in einer Verteidigungsschrift vehement gegen juristische Schritte von Firmen in Schutz, die im Roman schlecht wegkamen.

Auch der 43-jährige Houellebecq, ein blasser, unscheinbarer Typ, äußerlich ein Gegenstück zum schillernden Beigbeder, hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich, seit er 1998 sein Buch Elementarteilchen veröffentlichte. Sein neues Werk Plateforme scheint den Erfolg der Elementarteilchen noch zu übertreffen.

Alles ist Ware

Auch Houellebecq gefällt sich als Provokateur und genießt unter seinen Anhängern Kultstatus als Symbolfigur gegen eine unmenschliche Globalisierung. Man huldigt ihm schon zu Lebzeiten. Houellebecq schildert eine entmenschlichte Welt ohne Regeln und Bindungen.

Alles ist zur Ware verkommen, steht unter dem Diktat von Werbung und Medien, die Bedürfnisse suggerieren, die es vorher nicht gab. Houellebecq, der sich mit seiner Frau in die Einsamkeit Irlands zurückgezogen hat, ist für die einen Apologet eines hemmungslosen Nihilismus, für die anderen ein Reaktionär.

In einer bisweilen nüchtern sachlichen, oft naturwissenschaftlich sezierenden Sprache, dann aber auch wieder sehr poetisch und satirisch, beschreibt er eine Gesellschaft auf der Suche nach immer stärkeren Reizen - bis zur Katastrophe. Doch es gibt auch Hoffnung bei Houellebecq. Sie geht meist von den weiblichen Akteuren aus, die allein zur Liebe fähig seien, deren Leben jedoch meist tragisch verläuft.

Die Lösung zur Befreiung von allem Hässlichen und Schlechten sieht Houellebecqs Hauptfigur der Elementarteilchen, der die Welt verachtende Wissenschaftler Michel, darin, die Fortpflanzung der Wissenschaft, der Gentechnik, zu überlassen. Denn "im Ganzen gesehen war die Natur nichts anderes als eine ekelhafte Schweinerei; im Ganzen gesehen rechtfertigte die ungezähmte Natur eine totale Zerstörung."

Die Intellektuellen Houellebecq und Beigbeder beschreiben seelenlose, haltlose Gesellschaften, in denen alles zur Ware verkommen ist und die ausschließlich unter dem Diktat des Konsums steht. Damit treffen sie offenbar die Gefühle vieler Menschen, die sich einer ihnen fremd und unkontrollierbar erscheinenden globalisierten Gesellschaft ausgeliefert fühlen, der allgemein akzeptierte Werte abhanden gekommen sind. Lösungen bietet keiner von beiden an. Stattdessen verstehen es beide ganz gut, auf der Medienklaviatur zu spielen.

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