Metropolen:Miese Luft

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Greenpeace kritisiert: Die Stadtbewohner zahlen den Preis für die Untätigkeit der deutschen Politiker.

Von Markus Balser, Berlin

Die EU und die Autohersteller sind sich nicht einig, wie die neue Abgasnorm aussehen soll. (Foto: Markus Scholz/dpa-tmn)

Die Abmahnung kam per Post. Mitte Februar forderte die EU-Kommission in einer "finalen Warnung" wegen der "wiederholten Überschreitung von Grenzwerten für die Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid" die Bundesregierung ultimativ zu Gegenmaßnahmen auf. Der Ton war ungehalten. Deutschland müsse nun wirklich rasch Emissionen senken. Dies sei unter anderem durch die Verringerung des Autoverkehrs, der Verwendung anderer Brennstoffe sowie dem Übergang zu Elektrofahrzeugen möglich. Doch die deutsche Politik tat zuletzt ziemlich wenig, um für bessere Luft zu sorgen.

Am Montag will die Umweltorganisation Greenpeace mit der Veröffentlichung einer Kurzstudie aus der Schweiz klarmachen, wie wichtig eine schnelle Reaktion der Politik wäre. Die Studie des Tropen- und Public-Health-Institut in Basel zeigt, wer den Preis für die Untätigkeit zahlt: Stadtbewohner. Die Belastung mit Verkehrsemissionen - gemessen an NO₂ - sei "wahrscheinlich mit einem höheren Risiko für Lungenkrebs verbunden", heißt es. Die dauerhaft erhöhten Stickoxidwerte vieler Städte steigerten das Asthma-Risiko für Kinder erheblich, urteilt man im Institut, das für Schweizer Umweltbehörden den Stand des Wissens zu schädlichen Wirkungen der Luftverschmutzung sammelt.

Für Kinder besteht ein höheres Risiko, an Asthma zu erkranken

Es geht um eine alltägliche Bedrohung. Bereits eine langfristige Zunahme um zehn Mikrogramm pro Kubikmeter steigere die Wahrscheinlichkeit, an Asthma zu erkranken für Kinder um durchschnittlich 15 Prozent. NO₂ oder Schadstoffe aus dem Verkehr beeinträchtigten das Lungenwachstum bei Kindern. Bei weiteren Krankheiten sei die Datenlage noch offen, am deutlichsten seien die Hinweise auf ein niedrigeres Geburtsgewicht bei hoher NO₂- oder Verkehrsbelastung. Die Studie beruft sich auf Messungen von Greenpeace sowie auf aktuelle Gesundheitsstudien von Behörden und Instituten.

Schon im Januar machte das Umweltbundesamt (UBA) klar, wie prekär die Lage ist. Der Behörde zufolge haben 2016 mehr als die Hälfte der verkehrsnahen Messstationen in Städten den Grenzwert für Stickoxide überschritten - oft um deutlich mehr als zehn Prozent. So lag die NO₂-Belastung am Neckartor in Stuttgart bei durchschnittlich 82 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Der Wert bezieht sich konkret auf Stickstoffdioxid (NO₂), das zur Gruppe der Stickoxide gehört. Er fiel dort damit mehr als doppelt so hoch aus wie der Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt allerdings einen deutlich strengeren Grenzwert von 20 Mikrogramm.

Auch Stationen in München, Köln, Berlin und Hamburg schlagen mit überschrittenen Grenzwerten immer wieder aus. Seit 2010 sei die Situation kaum besser geworden, klagt das UBA. Besonders stark stiegen die Messwerte für die Dauer mehrerer Stunden an zwei Stationen in Dortmund und Düsseldorf. Der Stickstoffdioxidgehalt erreichte bis zu 200 Mikrogramm je Kubikmeter - das Fünffache des EU-Grenzwerts.

Der Hauptverursacher ist längst ausgemacht. Der Verkehr und hier besonders Dieselautos. Die stoßen zwar weniger CO₂ aus als vergleichbare Benziner. Dafür allerdings produzieren sie deutlich mehr Stickoxide. Die Abgasaffäre hat den Kampf gegen das Problem zurückgeworfen. Denn Autokonzerne haben zwar Mechanismen zur Abgasreinigung einbebaut, doch wie der Skandal gezeigt hat, funktionieren die teils nur auf dem Prüfstand dauerhaft - und nicht im realen Betrieb auf der Straße.

Umweltexperten sehen die hohe Konzentration von Stickstoffdioxid mit großer Sorge. Stickstoffdioxid kann die Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder Augenreizungen führen und Herz und Kreislauf beeinträchtigen. "Seit Jahrzehnten gefährdet Stickstoffdioxid unsere Gesundheit", sagt auch UBA-Chefin Maria Krautzberger. Laut europäischer Umweltagentur sterben in Deutschland jährlich mehr als 10 000 Menschen vorzeitig durch zu hohe Stickoxid-Konzentrationen. Die Debatte um Fahrverbote in deutschen Städten dürfte von der Studie befeuert werden. In Stuttgart und anderswo drohen an Tagen mit hohen Luftverschmutzungen, vor allem Feinstaub-Belastungen, Fahrbeschränkungen. "Die chronischen Stickoxid-Probleme deutscher Städte gefährden die Gesundheit von Zehntausenden von Stadtbewohnern", sagt Daniel Moser, Greenpeace-Verkehrsexperte. "Mittelfristig müssen Städte sauberen Verkehr anbieten, kurzfristig führt an Dieselverboten kein Weg vorbei." Die Zeit drängt auch wegen des Drucks aus Brüssel. Denn wenn die abgemahnten Mitgliedsländer nicht innerhalb von zwei Monaten geeignete Maßnahmen nach Brüssel melden, könnte die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Und das könnte teuer werden. Denn dann drohen Zwangsgelder in Millionenhöhe - für jeden weiteren Tag der Untätigkeit.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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