Messenger:Das deutsche Whatsapp

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Immer weiter: Für viele wird das Scrollen zum Automatismus. (Foto: Chris Ratcliffe/Bloomberg)

Weil der bekannte Chat-Dienst Daten an Facebook weitergibt, suchen viele nach Alternativen. Wire ist dafür ein guter Kandidat - sicher und einem Späßchen nicht abgeneigt.

Von Simon Hurtz, Berlin

919 Tage. So lange hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg sein Versprechen gehalten. Als seine Firma im Februar 2014 den Kurznachrichtendienst Whatsapp übernahm, hatte er versichert, es würden keine Nutzerdaten ausgetauscht werden. Whatsapp selbst schrieb in einem Blogeintrag: "Für Sie, unsere Nutzer, wird sich Folgendes ändern: nichts." Doch vor zwei Wochen aktualisierte Whatsapp seine Nutzungsbedingungen. Künftig übermittelt die App bestimmte Nutzerdaten an Facebook, darunter die Telefonnummer. Wer das nicht will, kann zwar widersprechen und soll dann keine personalisierte Werbung bekommen. Der Datenaustausch an sich wird damit aber nicht unterbunden.

Es dauerte nur wenige Tage, bis Datenschützer protestierten und die EU-Kommission ankündigte, die eigentlich längst genehmigte Übernahme durch Facebook erneut zu prüfen. Auch die Reaktion der Nutzer folgte prompt: Der Krypto-Messenger Threema registrierte zwischenzeitlich eine Verdreifachung der Käufe.

Neben der Schweizer App Threema und dem von Edward Snowden empfohlenen Messenger Signal gibt es eine dritte, weniger bekannte Alternative. Sie heißt Wire und kommt aus Deutschland und der Schweiz. Seit knapp zwei Jahren arbeiten Entwickler in Berlin und in Zug an der App. Im Vergleich zu Whatsapp ist Wire noch recht neu auf dem Messenger-Markt.

Und das merkt man: Wer sich zum ersten Mal anmeldet, kann E-Mail-Adressen und Handynummern aus seinem Adressbuch auslesen lassen. Wo bei Whatsapp anschließend Hunderte und bei den etablierten Alternativen immerhin noch Dutzende Bekanntschaften warten, kann man jedem Wire-Kontakt einzeln Hallo sagen. Das ist das Problem: Soziale Medien und Messenger leben von den Nutzern, daran sind schon viele vermeintliche Facebook-Konkurrenten gescheitert. Menschen, die Wert auf Privatsphäre und Datenschutz legen, versuchen seit Jahren, ihre Freunde und Bekannten von Whatsapp zu Threema oder Signal zu lotsen - durchaus mit Erfolg, davon zeugen die konstant steigenden Nutzerzahlen. Warum also sollte man von vorne beginnen und ab sofort Überzeugungsarbeit für Wire leisten?

"Diese Frage stellen wir uns natürlich auch", versichert Alan Duric, Technik-Chef bei Wire. Er habe großen Respekt vor den Entwicklern von Threema und Signal und lobt ausführlich deren Arbeit. Trotzdem glaubt er, dass Wire mehr kann als die Konkurrenz: "Verschlüsseln und Nutzer nicht als Ware behandeln, das tun die anderen auch. Aber wir sind die Einzigen, die das komplette Paket bieten."

Was er damit meint: Threema-Nutzer können lediglich Nachrichten schreiben, eine Telefonfunktion fehlt. Bei Signal gibt es keine Gruppen- und Videoanrufe, außerdem lässt die Sprachqualität beim Telefonieren bisweilen zu wünschen übrig. Wire bietet Audio- und Videogespräche; der Klang ist tatsächlich deutlich besser als bei den anderen Apps, auch Whatsapp und der Facebook Messenger können nicht mithalten. Für Wire ist kein Smartphone nötig. Neben iOS- und Android-Apps gibt es Programme für Macs und Windows-Rechner sowie eine Browser-Version, die im Unterschied zu Whatsapp eigenständig funktioniert und nicht mit einem Smartphone verknüpft werden muss. Verschlüsselte Telefonate und Videoanrufe in hoher Qualität, dazu eine breite Palette an Apps - mit diesen beiden Vorteilen könnte Marketing-Chef Siim Teller bereits gut arbeiten.

Doch die meisten Menschen überzeuge er mit einem anderen Argument, sagt er: "Gifs. Unsere Nutzer lieben das." Da der Dienst Giphy integriert ist, fällt es besonders leicht, zu jedem Stichwort animierte Bilder zu verschicken. Auch Links zu Youtube, Vimeo, Soundcloud und Spotify wandelt Wire automatisch um und spielt die Videos und Songs ab. "Wire ist nicht nur sicher, sondern macht auch Spaß", sagt Teller. "Das ist ein Aspekt, auf den die anderen Krypto-Messenger nicht so viel Wert legen."

Auch in puncto Sicherheit kann Wire überzeugen. Das Axolotl-Protokoll geht auf den Kryptografie-Experten Moxie Marlinspike zurück und wurde für Wire leicht angepasst. Der Code ist öffentlich einsehbar. Hinzu kommen regelmäßige Transparenzberichte über Behördenanfragen (bisher: keine) sowie eine strikte Selbstverpflichtung zum Schutz von Nutzerdaten.

Insgesamt kommt Wire bei Sicherheitsforschern und Datenschützern gut weg, lediglich die Verschlüsselung von Audio- und Video-Gesprächen habe noch "Raum für Verbesserungen", wie auch Technik-Chef Alan Duric zugibt. Das Team arbeite derzeit an noch sichereren Telefonaten, ein Update stehe kurz bevor.

Wire ist gratis und will Nutzerdaten nicht zu Geld machen, bislang tragen Investoren das Projekt. "In den kommenden sechs Monaten werden wir an unserem Geschäftsmodell arbeiten", sagt Duric. Dazu könnten kostenpflichtige Funktionen gehören, etwa eine Art sichere Dropbox für sensible Dateien. "Oder wir lassen Unternehmen dafür bezahlen, dass sie verschlüsselt mit Kunden kommunizieren können, ohne dass deren Daten zu Geld gemacht werden." Eines stehe jedenfalls fest: "Keine der bestehenden Funktionen wird wegfallen oder kostenpflichtig werden."

Fest steht aber auch: Wollen die Wire-Macher irgendwann Geld verdienen, müssen sie mehr Menschen überzeugen, sich anzumelden. Nutzerzahlen verrät das Unternehmen nicht, sie dürften aber weit unter denen von Threema liegen, das bis Mitte 2015 mehr als 3,5 Millionen Mal gekauft wurde. Das weiß auch Marketing-Chef Teller: "Auch Skype war mal klein, und meine Freunde fragten mich, warum sie von MSN wechseln sollten", erzählt er. "Am Anfang war es zäh, aber dann wurden es immer mehr, und schließlich rollte eine Nutzerlawine über uns hinweg. Dafür braucht es einen langen Atem. Aber den haben wir bei Wire."

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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