Merkel auf der Hannover-Messe:Stimmungskiller Russland-Sanktionen

Eigentlich soll es auf der Hannover-Messe um die Fabrik von morgen gehen. Doch die Unternehmer sind eher mit ihrem Zorn über die Russland-Sanktionen beschäftigt. Da versandet auch das Lächeln der Kanzlerin irgendwo vor dem Siemens-Stand.

Von Kristina Läsker, Hannover

Joe Kaeser möchte jetzt nicht über Russland sprechen. Der Vorstandschef von Siemens steht auf dem Stand des Industriekonzerns und wartet auf die Kanzlerin. Es ist Montag, eben hat die Hannover Messe eröffnet. Oben flimmert "Van harte welkom bij Siemens" auf einem Schirm - ein Gruß an das Messe-Partnerland Holland. Seit einer Stunde besuchen Angela Merkel und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte ausgewählte Firmen und besichtigen Innovationen. Auch Siemens darf eine Produktionsstraße zeigen, und deshalb wartet Kaeser hier, mit ihm Industrievorstand Siegfried Russwurm und etliche Presseleute.

Alle treten auf der Stelle, doch Fragen wollen die Topmanager nicht beantworten. Dabei gibt es so viele: Warum hat der Siemens-Chef jüngst den russischen Präsidenten Wladimir Putin besucht? Warum hat er das ausgerechnet dann gemacht, als die EU über Sanktionen nachdachte, weil Russland die ukrainische Krim annektiert hatte? Warum stellt sich einer der wichtigsten deutschen Konzernchefs so offen gegen die Regierung?

Dann kommt die Kanzlerin durch das Spalier der Hostessen geeilt. Ernst schüttelt sie Hände. Das Lächeln, das die CDU-Politikerin für jeden noch so kleinen Mittelständler auf der Messe übrig hat, ist irgendwo vor dem Siemens-Stand versandet.

Kaeser versucht Smalltalk, wendet sich Mark Rutte zu, lobt die Innovationskraft der Holländer. Bis ein Satz der Kanzlerin das Geplänkel abschneidet: "Was gibt es für Neuheiten?" Kein Zweifel: Herzlichkeit hört sich anders an. Nun erklärt Manager Russwurm, wie die Produktionsstraße in einer intelligenten Fabrik aussehen könnte - Industrie 4.0 ist ein Fokus der Messe. Bei Siemens sind das drei Roboter, die sich selbst steuern, am Ende kommt ein Golf mit perfekt angepassten Türen heraus. Merkel blickt auf das Modell, zu Kaeser blickt sie nicht. "Da brauchen Sie bald keine Menschen mehr?", fragt sie unbewegt. Anerkennung ist das nicht.

Knapp zehn Minuten dauert der Austausch, dann eilen Merkel und Rutte weiter zur Firma Turck aus Mülheim an der Ruhr. Dort, auf dem knallgelben Stand, findet Merkel ihr Lächeln wieder. Sie lobt die Sensoren des Mittelständlers und nimmt artig ein Geschenk entgegen, es ist ein Bild der Insel Rügen.

Angst vor Umsatzeinbrüchen

Am Wochenende hatte die CDU-Politikerin der russischen Regierung erneut mit Wirtschaftssanktionen gedroht, und wer Firmeneigner Ulrich Turck jetzt danach fragt, bekommt besorgte Antworten. "Bei uns würden Umsätze wegbrechen", sagt Turck. Seine Firma hat ein Büro mit 20 Leuten in Moskau. Dann fügt der Unternehmer hinzu, was viele hier auf der Messe denken: "Ich bin gegen Sanktionen, aber wenn der Politik nichts anderes einfällt, muss das wohl sein."

Kritischer sieht das Volker Bibelhausen vom Steuerungstechnik-Hersteller Bosch Rexroth. Ein Boykott bringe kaum etwas, meint der Leiter Vertrieb Fabrikautomatisierung. "Es trifft die Falschen und löst kein einziges Problem." Gesagt hat er das der Kanzlerin aber nicht, als sie den Stand besuchte und mit einem Roboter flirtete. Die Maschine soll direkt mit Menschen arbeiten, aber sie dabei nicht berühren. Und so wie der Roboter die Kanzlerin nicht anfasste, so rühren auch die Manager nicht am Russland-Thema.

Doch wie sehr Russland die Messe beherrscht, kann Johannes Okon erzählen. Der Deutsche leitet die Tavrida Electric GmbH aus Tettnang, die Firma liefert Komponenten für Stromnetze. Okon steht auf einem kleinen Stand, der so dunkelgrün ist wie der Blazer von Angela Merkel an diesem Tag. Ansonsten gibt es wenig Gemeinsames. Der Gründer und Chef von Tavrida Electric heißt Alexej Chaly und kommt aus der Ukraine. Der Unternehmer ist ein Putin-Freund, er leitet die neue prorussische Regierung in Sewastopol auf der Krim. Dafür wird er nun vom Westen sanktioniert. Chaly darf nicht in die EU reisen, seine Konten sind eingefroren.

Mit Tavrida in Deutschland habe der Oligarch aber gar nichts mehr zu tun, beteuert Tavrida- Deutschland-Chef Okon. Der deutsche Ableger gehöre ihm gar nicht mehr, das Ganze sei ein "Verbund von vielen Firmen, die gleich heißen". Er verstehe den Groll auf Chaly nicht, sagt Okon. "Der hat sich sein Geld nicht ergaunert." Was Okon nervt: Ständig würden ihn Kunden fragen, ob er noch liefern könne. Als wäre er ein Aussätziger. Und die Kanzlerin? "Die kommt hier bestimmt nicht vorbei!"

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