Menschenrechte:Lasches Gesetz

Jahrestag - Fabrikeinsturz in Bangladesch

Die "Unbesiegten" nannten die Überlebenden der eingestürzten Textilfabrik in Bangladesch ihre neue Firma. Deutsche Unternehmen sollen künftig über Arbeitsbedingungen in Fabriken ihrer Lieferanten berichten.

(Foto: Abir Abdullah/dpa)

Unternehmen müssen bald Auskunft darüber geben, wie nachhaltig sie wirtschaften. So will es die Bundesregierung. Aber es gibt viele Ausnahmen.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Die Kreissparkasse Rottweil im östlichen Schwarzwald wird sich in Zukunft Gedanken über die Menschenrechte machen müssen. Bisher, sagt die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Sparkasse, seien hier noch "keine Probleme mit Menschenhandel und Kinderarbeit" aufgetaucht. Dennoch wird das Geldinstitut wohl von Dezember an einen Bericht anfertigen müssen, in dem es über seinen Umgang mit solchen Themen Auskunft gibt. Dann nämlich wird die Bundesregierung Unternehmen zur Auskunft über die ökologischen und sozialen Folgen ihrer Geschäfte verpflichten.

In ganz Europa sollen Firmen bald ihre unternehmerische Gesellschaftsverantwortung, englisch Corporate Social Responsibility (CSR), offenlegen. Sie sollen zugeben, wenn Probleme bei der Herstellung von Produkten auftauchen, und zwar weltweit. Schlechte Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverstöße bei Näherinnen in Asien fallen genauso unter die Berichtspflicht wie eine Umweltbelastung bei der Herstellung von Lebensmitteln oder Möbeln. Die Europäische Union hat dafür Richtlinien beschlossen, die Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zurzeit in deutsches Recht umsetzt. Sein Gesetzentwurf wird am Montag im Rechtsausschuss diskutiert. Größter Kritikpunkt der Opposition: Von den Auskunftspflichten seien viel zu wenige Unternehmen betroffen.

Tatsächlich zeigt nun eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, dass nur 540 Unternehmen die neuen Nachhaltigkeitsberichte schreiben müssen. Zugleich wird deutlich, dass es nicht die großen Lebensmittelketten wie Aldi oder Lidl sind, die künftig über ihre Lieferwege berichten. Vielmehr handelt es sich bei knapp der Hälfte der auskunftspflichtigen Unternehmen um Banken und Versicherungen - darunter mehr als 130 Sparkassen.

Weite Teile des deutschen Mittelstandes bleiben außen vor, monieren die Kritiker

"Der Anwendungsbereich ist viel zu klein", sagt Sebastian Sick, einer der Autoren der Studie. Die Berichtspflicht wird nur Unternehmen treffen, die an der Börse notiert oder kapitalmarktorientiert sind, nach dem Handelsgesetzbuch als "große Kapitalgesellschaft" gelten und außerdem mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen. Eigentlich genügten bisher 250 Angestellte, um als "groß" definiert zu werden. Doch vor allem durch die Einschränkung, eine Kapitalmarktorientierung vorweisen zu müssen, sind viele deutsche Unternehmen von dem Gesetz ausgenommen. Mehr als 3000 Konzerne fallen so durch das Raster, schätzt Thomas Hoffmann, der an der Universität Jena Firmenstrukturen untersucht. Würde die Pflicht für alle Unternehmen gelten, müssten auch Lebensmittelunternehmen wie Edeka, Friesland Campina oder Kaufland Nachhaltigkeitsberichte schreiben, ebenso wie etwa die Schuhhandelskette Deichmann. Doch so bleiben "weite Teile des deutschen Mittelstands" außen vor, schreiben die Forscher.

Selbst Unternehmen wie die Deutsche Bahn, die über ein Tochterunternehmen am Kapitalmarkt beteiligt sind, müssen den Forschern zufolge nicht über ihr Nachhaltigkeitskonzept berichten. Denn die Bahn nutzt eine Finanzierungstochter, die Deutsche Bahn Finance B.V. in den Niederlanden, um sich "langfristiges Kapital" zu beschaffen. Die Bahn gelte, wie auch viele andere mittelständische Unternehmen, die ähnliche Konstruktionen nutzen, nicht als kapitalmarktorientiert im Sinne des Gesetzes, heißt es in der Studie.

Menschenrechts- und Umweltorganisationen kritisieren Heiko Maas für seine laschen Formulierungen. Die Bundesregierung habe es verpasst, "die großen deutschen Unternehmen zur Berichterstattung über ihren Beitrag zur Bewältigung der globalen Herausforderungen zu verpflichten", schreiben sie in einer Erklärung. Der Justizminister habe den Spielraum, den die EU-Richtlinie ihm lasse, kaum genutzt.

Ein Ministeriumssprecher entgegnet, das deutsche Regelwerk entspreche der europäischen Richtlinie fast eins zu eins. Außerdem habe sich die Bundesregierung vorgenommen, kleine und mittelständische Unternehmen von zu viel Bürokratie zu befreien. Dass Banken und Versicherungen bei den Nachhaltigkeitsberichten der Zukunft eine besonders große Rolle spielen, habe die EU ebenfalls "zwingend vorgegeben".

Ein Vorteil davon, dass künftig viele Banken über die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Geschäfte Auskunft geben müssen, könnte immerhin ein genauerer Blick auf die Investitionen der Geldhäuser sein. Allerdings, sagt Johannes Erhard von der Umweltorganisation WWF, liegt derzeit die genaue Ausgestaltung der Berichte bei den Banken selbst. Sie dürfen entscheiden, welche Auswirkungen ihrer Geschäfte auf Natur und Menschen besonders nennenswert sind. Dass sie tatsächlich ihr gesamtes Portfolio durchleuchten und erklären müssen - "so weit geht es nicht", sagt Erhard.

Die Grünen fordern in einem Antrag deshalb einheitliche Standards für die Nachhaltigkeitsberichte. Statt loser Empfehlungen wollen sie, dass externe Fachkräfte die Berichte der Unternehmen überprüfen. Wenn das Gesetz in seiner aktuellen Form in Kraft tritt, werden Wirtschaftsprüfer bloß kontrollieren müssen, ob Unternehmen ihre Angaben gemacht haben - nicht aber, ob sie auch stimmen. Auch innerhalb der SPD gibt es Sympathie für eine Verschärfung der aktuellen Vorgaben. Der Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi sieht ebenfalls "Ergänzungsbedarf" in den Nachhaltigkeitsauskünften.

In Rottweil, in der Kreissparkasse, sieht man den Veränderungen unterdessen gelassen entgegen. Die Sparkasse hat längst eine Nachhaltigkeitsbeauftragte und einen zwanzigseitigen Bericht, auf dessen Titelfoto ein Kind seinen Kopf in eine Sonnenblumenblüte steckt. Sparkassen sind regionale Unternehmen. Die Kunden wollen heute so etwas. Die Sparkasse investiert das Geld der Rottweiler weder in Waffen noch in Tierversuche, steht im Bericht, auch nicht in Pornografie.

Das neue Gesetz macht die Sparkassen nicht nervös. Genauso wenig wie den Rest der Wirtschaft.

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