Menschen ohne Internet:Die neue soziale Frage

Senioren im ´Cyber-Haus 2.0"

Wer sagt, dass Oma das nicht lernen kann? Im Pilotprojekt "Cyber-Haus" in Magdeburg werden Ältere an den Umgang mit neuen digitalen Techniken herangeführt.

(Foto: Jens Wolf/dpa)

Elf Millionen Deutsche nutzen das Internet kaum und verlieren den Anschluss.

Von Simone Boehringer

Hallo, Oma, alles in Ordnung bei euch? "Ja, warum nicht?" Wenn die Eltern oder Großeltern nicht erreichbar sind für einige Tage, machen sich die Kinder oder Enkel schon mal Sorgen. Ein paar Tage - im Zeitalter von E-Mail, Mobiltelefon und Whatsapp erscheint das vielen wie eine Ewigkeit. Für elf Millionen Deutsche dagegen ist es völlig normal, sie können und wollen oft gar nicht erreichbar sein. Oder aber sie merken gar nicht, dass es gerade so ist. Sie gehören zu den Offlinern, den Menschen, die das Internet überhaupt nicht nutzen, weder an Computer oder Tablet noch über das Mobiltelefon. 99 Prozent von ihnen gehören zur Generation 65 plus.

Bei Oma hatte es einen ganz banalen Grund, dass sie nicht ans Telefon ging: Es war kaputt, aber sie hatte es erst bemerkt durch den Hinweis einer Freundin, die sie "seit Tagen versucht habe, anzurufen" - ohne Erfolg, nicht mal der Anrufbeantworter sprang an. Und jetzt? Hat Oma ein neues Gerät angesteckt zu Hause, das sie vor einiger Zeit im Telefonshop günstig erworben hatte. Aber mit dem kommt sie nicht zurecht, da hier die Nachrichten nicht mehr im Gerät abgespeichert werden, sondern extern. Dazu müsste sie eine Mobilbox anwählen und selbst nach ihren Bedürfnissen programmieren. "Der Mann von der Telefonfirma wollte vorbeikommen und es mir einstellen", sagt sie. Bis jetzt war er nicht da - und die Speicherbox quillt vor Nachrichten über, die sie nicht abrufen kann.

Was tun, wenn es kostenlose Kontoauszüge bloß noch online gibt?

Das ist nur eines von vielen Themen, die Senioren im Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln Schwierigkeiten bereiten. Dass Omas Bank bald kostenlose Kontoauszüge nurmehr in elektronischen Postfächern ablegt und sie dafür ein E-Mail-Konto oder wenigstens einen Onlinezugang zur Webseite der Bank benötigt? Dass ihre Enkel gerne mit ihr auf Whatsapp oder Instagram kommunizieren würden, aber sie Angst vor "diesen unsicheren Smartphones" hat und vor allem vor der Bedienung desselben?

Internet, E-Mail, Tablet, Smartphone, vielleicht auch Facebook, Twitter oder gar das Navigationsgerät im neuen Auto - all das auf einmal aufzuarbeiten, ist schwer. Und in immer kürzeren Abständen kommen neue Kommunikationsmedien dazu, andere verschwinden wieder. Es ist ein riesiger Markt, und es beschäftigen sich auch zahlreiche Studien damit, warum sich zwei Drittel der Generation 65 plus nicht ins digitale Zeitalter wagen. Häufig fehlen konkrete Handlungsanweisungen, oft gibt es sie nur digital. Eine systematische Kundenberatung für die riesige Zielgruppe ist meist selbst bei den Branchengrößen noch in den Anfängen. Aber warum?

Hierzulande hätten viele Bürger mehr Vorbehalte als anderswo, insbesondere ob des Datenschutzes, so ist in den Telefon- und Medialäden oft zu hören. "Die ältere Zielgruppe ist es gewohnt, Geräte zu nutzen, bis sie kaputt sind. Sie erwarten oft einen lange nachlaufenden Service für Geräte und Dienste, die selbst beim Kauf schon drei, vier Jahre alt sind", sagt Kunal Sachdeva, Digitalstratege bei der Beratungsgesellschaft Ernst & Young. Das sind Zeitspannen, die fürs Digitalgeschäft sehr lange sind - anders als bei Autos oder Kühlschränken. "Der Service für Hard- und Software läuft bei den Großen der Branche fünf bis sechs Jahre, darüber hinaus wird es unrentabel", sagt Sachdeva. Und das bekommen dann die Kunden zu spüren, die spät in eine Technologie einsteigen und dabei Geld sparen möchten, in dem sie eben ältere Modelle und Software kaufen.

Klar, wer schon online ist, hat kaum Probleme, seine Fragen zur digitalen Welt loszuwerden. Beim Stichwort ,,Senioren und Internet" oder ,,Seniorenhandys" finden sich schnell Webseiten, von Beratungsportalen bis hin zu Produkttests gibt es viele Informationen, die weiterhelfen. Auch Kursangebote von Volkshochschulen, karitativen Einrichtungen oder Senioren-Computerclubs sind bundesweit zu finden.

Das Problem: Soweit kommen die meisten Offliner gar nicht, wenn nicht Kinder, Enkel oder Freunde sie ihnen buchstäblich ausdrucken. Ihr natürlicher Ansprechpartner muss lokal erreichbar sein, sei es im Medien-Fachmarkt oder im Telefonshop. Und wer sich durchfragt, findet durchaus inzwischen neben den reinen Verkäufern auch zunehmend Vor-Ort-Beratung, manche Einstiegskurse zur Nutzung digitaler Medien sind sogar kostenlos. So schult zum Beispiel Apple seine Kunden selbst in allen größeren Ballungszentren an Tablets. Die Deutsche Telekom hat angefangen, größere Kundencenter mit eigenen Service-Stationen auszustatten, in denen Berater die wichtigsten Details zu den neuen Digitalgeräten und den Applikationen erklären. Senioren-Smartphones mit großen Tasten, Notrufknopf zu Einsteigertarifen werden empfohlen, der Einrichtungsservice dazu kostet jedoch meist extra.

"Wir dachten, irgendwann sind wir mit den Schulungen für Senioren fertig."

Der Wettbewerber Vodafone arbeitet gerade bei der Seniorenberatung in einem Pilotprojekt mit dem Schweizer Unternehmen Mila zusammen. "Wir vermitteln den Service ad hoc und dort, wo der Kunde ist und wann er ihn braucht", sagt Mila-Chef Christian Viatte. Vergangenes Jahr hatte Swisscom die Mehrheit an dem Community-Start-up übernommen, das idealerweise für jedes Technikproblem binnen zwölf Stunden einen Experten aus der unmittelbaren Umgebung des jeweiligen Kunden vermittelt. Eine professionalisierte Nachbarschaftshilfe, bei der mittlerweile 5000 Berater überwiegend in der Schweiz und zunehmend in Deutschland unterwegs sind als "Swisscom-friends", "Vodafone friends" oder auch für Elektronik-Ketten.

Einen ähnlichen Weg, die Gruppe der weniger digital-affinen Bürger in Deutschland für die neuen Techniken zu gewinnen, wählt der spanische Telefonkonzern Telefónica, der auch in Deutschland aktiv ist. Er beschäftigt in einigen Kundencentern sogenannte Gurus, die sowohl Handy- als auch Tablet-Schulungen anbieten und Fragen beantworten. In Zusammenarbeit mit der Stiftung Digitale Chancen in Berlin stellt Telefónica zudem seit 2012 auch einigen Seniorenheimen Tablets zum Ausprobieren zur Verfügung. Dazu bietet das Unternehmen auch eine Beratung, ein Teil der Geräte bleibt nach der Testphase in den Heimen. Über diesen Weg habe der Konzern "immerhin rund 4500 Senioren bundesweit erreicht, die auf ihre Fragen dann jeweils einen Ansprechpartner vor Ort hatten", erläutert Jutta Croll, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Digitale Chancen.

Alles hoffnungsvolle Ansätze, aber in Summe nur ein Tropfen auf den heißen Stein, da sind sich die Experten einig. ,,Anfangs dachten wir, irgendwann sind wir mit den Schulungen für Senioren fertig, aber nun merken wir, dass es noch viele weiterer Projekte bedarf, um die riesige Gruppe an älteren Menschen ins Web einzuführen und sie davon zu überzeugen, dass die digitale Welt ihnen viele Erleichterungen im Alltag bringt", so Croll. Dabei gebe es auch oft besondere Hürden: "Viele älteren Menschen wollen verstehen, wie die Techniken funktionieren, sonst nutzen sie sie schlicht nicht". Vor allem ältere Männer weigerten sich, ohne näheres Verständnis eine App anzuwenden. Außerdem: "Viele Menü-Führungen bei Tablets und Smartphones sind auf Englisch, das sprechen in der Generation 65 Plus nicht so viele Menschen gut", sagt Croll.

Solche Hemmnisse scheinen banal, sind aber der Grund dafür, dass sich am Sockel der Offliner schon seit Jahren wenig ändert. "Die Digitalisierung droht die Gesellschaft immer mehr zu spalten, wenn nicht gegengesteuert wird", warnt Berater Sachdeva. Manche sprechen dabei schon von einer ,,neuen sozialen Frage". Wer nicht online ist, verliere bei Zukunftsfragen den Anschluss an die Gesellschaft.

Für Ältere ist diese Diskussion sehr abstrakt. Für sie wirkt es zunächst oft so, als wenn ihnen die Digitalisierung keine Erleichterung, sondern Umstände bringen würde. Oft sind es die jüngeren Verwandten, die Überzeugungsarbeit leisten müssen. Die wegen des kaputten Telefons nicht erreichbare Oma will es nun mit einem Smartphone und Whatsapp versuchen. Das möchte sie haben, um mit den Enkeln zu reden und Fotos zu bekommen. Immerhin, ein Anfang ist gemacht.

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