Mehr Lohn, bitte!:Mäßigung war gestern

Zu einer florierenden Wirtschaft gehören leistungsgerechte Löhne. Es wird daher Zeit, dass auch die Beschäftigten ihren Anteil am wirtschaftlichen Erfolg bekommen.

Catherine Hoffmann

Seit der Motor der deutschen Wirtschaft wieder schnurrt, hat sich die Stimmung verändert. Jahrelang predigten Arbeitgeber und Politiker Lohnzurückhaltung. Heute sagt niemand mehr: Leute, ihr müsst den Gürtel enger schnallen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt mahnt allenfalls: "Wir dürfen den wirtschaftlichen Aufschwung auf gar keinen Fall belasten oder gefährden."

Gehaltserhöhung Gehalt Gehältervergleich

Die Verteilung der Einkommen in Deutschland empfinden viele als ungerecht.

(Foto: iStock)

Gewerkschaften haben Mini-Lohnerhöhungen satt, sie wollen kräftige Aufschläge aushandeln. Die Arbeitnehmer haben es verdient, dass sie mit deutlichen Lohnerhöhungen ihren gerechten Anteil am wirtschaftlichen Erfolg erhalten.

In den vergangenen zehn Jahren haben die Beschäftigten nur Krümel vom Kuchen abbekommen. Die Unternehmer waren darauf fixiert, die Lohnkosten möglichst gering zu halten - mit Erfolg. Die Lohnzuwächse in Deutschland blieben deutlich hinter der Entwicklung in anderen Industrienationen zurück. Im letzten Aufschwung vor der Finanzkrise - 2004 bis 2008 - stiegen die Tariflöhne gerade mal um zwei Prozent im Jahr.

Wenig im Portemonnaie

Im Portemonnaie landete viel weniger: Die große Koalition erhöhte seit 2005 massiv Steuern und Abgaben. Zeitweise kletterten auch die Verbraucherpreise kräftig. Die realen Nettolöhne, also das, was nach Abzug von Steuern, Abgaben und Inflation übrig bleibt, sanken deshalb in den Jahren 2004 bis 2008.

Mehr Lohn, bitte!: Der Anteil der Arbeitnehmerentgelte an den Volkseinkommen ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich nach unten gegangen.

Der Anteil der Arbeitnehmerentgelte an den Volkseinkommen ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich nach unten gegangen.

Auch die Lohnquote ging zurück, also der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen. Im Jahr 2000 lag sie noch über 72 Prozent, 2007 waren es keine 64 mehr. Aktuell liegt die Quote bei knapp 66 Prozent. Zugleich zogen die Unternehmens- und Vermögensgewinne kräftig an - von 2000 bis 2009 um insgesamt ein Drittel auf 566 Milliarden Euro.

Die ausgeprägte Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre, darin sind sich die meisten Ökonomen einig, war gut und richtig. Richtig sei sie gewesen, weil in den neunziger Jahren Gewerkschaften über die Strenge geschlagen, zu viel gefordert und bekommen hatten. Gut, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gestärkt hat, die sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit Konkurrenten aus Osteuropa, China und Indien konfrontiert sahen.

Das globale Angebot an Arbeitskräften erhöhte sich gewaltig. Es waren nicht nur Billiglöhner, die auf den Markt drängten, sondern auch gut ausgebildete Menschen.

Tugendhafte Lohnentwicklung

Mehr Lohn, bitte!: Brutto- und Reallöhne haben sich in Deutschland seit 2006 auseinander entwickelt.

Brutto- und Reallöhne haben sich in Deutschland seit 2006 auseinander entwickelt.

In der Folge trug die tugendhafte Lohnentwicklung zu einem gewaltigen Exportboom in Deutschland bei; die Ausfuhren stiegen seit dem Jahr 2000 real um 70 Prozent. Doch der Konsum dümpelt seit zehn Jahren vor sich hin.

Das wird nicht besser, wenn in der Lohnpolitik weiter ein so "unterkühlter Kurs" gefahren wird, wie es der Wirtschaftsweise Peter Bofinger ausdrückt. Solange die Menschen kein Geld in der Haushaltskasse haben, können sie auch nichts ausgeben. Genau das aber wäre nötig, damit sich der Aufschwung selbst trägt.

Bislang bringt allein der Export Schwung in die deutsche Wirtschaft. So war es schon vor der Krise, so darf es nach der Krise aber nicht weitergehen. Denn die Politik der hohen Außenhandelsüberschüsse trägt auch Schuld an der Krise selbst.

Abgesehen von China gibt es kein Land, das in den in den vergangenen Jahren so viel produziert und so wenig konsumiert hat - und deshalb so viel Geld im Ausland verdient hat. Das Kapital wurde gespart und im Ausland angelegt, in amerikanischen Hypothekenpapieren, spanischen Immobilien, griechischen Staatsanleihen.

Globale Ungleichgewichte

Mehr Lohn, bitte!: Der Konsum in Deutschland blieb seit dem Jahr 2000 enorm hinter den Exporten zurück.

Der Konsum in Deutschland blieb seit dem Jahr 2000 enorm hinter den Exporten zurück.

Deutschland steht deshalb international am Pranger: Es hat die Finanzblase aufgebläht. Mal abgesehen davon, dass dies für die Investoren ein erbärmliches Geschäft war, verstärkt diese Politik die globalen Ungleichgewichte: Die Deutschen - und Chinesen - schuften für jene Länder, die auf Pump leben wie etwa die USA und Griechenland.

Das Mantra der Lohnmäßigung, glaubt Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, hat aber nicht nur zur Entstehung der Krise beigetragen: "Es hat dazu geführt, dass über Jahre hinweg die Einkommen umverteilt wurden: von Arbeit zu Kapital, von unten nach oben."

So sehen es auch viele Beschäftigte. Der Soziologe Stefan Liebig hat eine Studie zur Einkommensgerechtigkeit in Deutschland vorgelegt. Befragt danach, ob sie die Einkommensverteilung gerecht finden, antworteten 31 Prozent mit "nein". Besonders die Bezieher niedriger bis mittlerer Einkommen empfinden ihr Nettoeinkommen als ungerecht.

"Ein deutsches Jahrzehnt könnte folgen"

Mehr Lohn, bitte!: Die Lohnstückkosten im internationalen Vergleich.

Die Lohnstückkosten im internationalen Vergleich.

Dies hat nicht nur mit schlaffen Gewerkschaften zu tun, sondern auch mit tiefgreifenden Reformen im Sozialbereich. In den neunziger Jahren galt Deutschland als der kranke Mann Europas, fünf Millionen Bürger waren arbeitslos, das Wachstum war anämisch. Dies hat sich radikal geändert.

Die Arbeitslosenzahlen nähern sich der Marke von drei Millionen, die Wirtschaft soll um drei Prozent wachsen. "Auf die verlorene Dekade zu Beginn des Jahrhunderts könnte nun ein deutsches Jahrzehnt folgen", glaubt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank. Bofinger oder Horn fordern jetzt die Arbeitgeber dazu auf, die Gehälter aufzustocken. Denn zu einer starken Wirtschaft gehört eine florierende Binnennachfrage - und die gibt es nicht ohne leistungsgerechte Löhne. Deshalb also: Mehr Geld, bitte! Schließlich ist es der Sinn allen Wirtschaftens, dass es den Menschen besser geht.

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