Mehr Arbeitslose im Jahr 2009:Der Dominoeffekt

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Kurzarbeit und Job-Abbau: Die Finanzkrise hat den Abschwung stark beschleunigt - und schlägt nun voll auf den Arbeitsmarkt durch.

Karl-Heinz Büschemann und Sibylle Haas

Jetzt hat es auch die Behindertenwerkstatt im nordpfälzischen Rockenhausen erwischt. Die Finanzkrise und die daraus folgende Flaute auf dem Automarkt bringt Sorgen in die soziale Einrichtung, die kleine Adapterkrallen für Autositze fertigt. Von den 14 Arbeitsplätzen sind in Rockenhausen im Moment nur fünf besetzt.

Wenn der Job wegfällt, bleibt nur der Gang zur Arbeitsagentur. (Foto: Foto: ddp)

Helmut Eckert, der Direktor des evangelischen Diakoniewerks Zoar, zu dem auch die Rockenhauser Werkstatt gehört, redet schon wie ein Manager, wenn er erklären soll, wo das Problem liegt: "Die Aufträge aus der Automobilbranche sind seit der Jahresmitte um 40 Prozent eingebrochen." Zoar ist davon hart betroffen. Die Organisation beschäftigt allein in Rheinland-Pfalz 820 Personen. Die Krise scheint alle zu erwischen, Groß und Klein.

Meldungen vom Mittwoch: Der Stahlkonzern Arcelor Mittal teilt mit, er werde 600 Arbeitsplätze in Deutschland streichen. Das amerikanische Telekommunikationsunternehmen Avaya gibt bekannt, es werde in Deutschland 600 von 3600 Stellen wegfallen lassen. Beim Chiphersteller Qimonda, der von der Pleite bedroht ist, sind 3000 Arbeitsplätze so gefährdet, dass die sächsische Landesregierung über Möglichkeiten zur Rettung des Technologie-Unternehmens nachdenkt, das in Dresden fertigt. Die Unternehmensberatung Bain erwartet, dass bis zum Jahr 2012 in der deutschen Finanzwirtschaft 150.000 bis 180.000 Arbeitsplätze verloren gehen.

Schon länger ist bekannt, dass die Deutsche Telekom in den nächsten beiden Jahren 12.000 Arbeitsplätze streichen möchte. Bei Commerzbank und Dresdner Bank sollen bis 2011 etwa 6000 Beschäftigte gehen. Siemens will sich bis 2010 von gut 5000 Beschäftigten in Deutschland trennen. BMW hat in diesem Jahr bereits 7500 Arbeitsplätze wegfallen lassen, und es ist zu erwarten, dass weitere Horrornachrichten aus der Autoindustrie kommen werden.

Vier Millionen Arbeitslose

Schon bald wird sich die Krise auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen, der sich in Deutschland gerade erst erholt hat. Spätestens im zweiten Quartal des neuen Jahres werde die schlechte Wirtschaftslage am Arbeitsmarkt ankommen, schätzt der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur, Frank-Jürgen Weise. Er hält es für denkbar, dass es Ende 2009 wieder an die vier Millionen Arbeitslose geben wird. Das wäre eine drastische Steigerung. Im November 2008 waren 2,98 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet.

Nach einer Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet mehr als ein Drittel der Firmenchefs damit, dass ihre Produktion zurückgehen wird. Ebenfalls ein gutes Drittel will deshalb auch die Zahl der Mitarbeiter reduzieren. Der Aufruf von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die Unternehmen sollten im Rezessionsjahr 2009 auf Kündigungen verzichten, wird daher vielerorts nur eine gute Absicht bleiben. "Wir werden alles versuchen, um möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern, aber wir werden nicht alle Jobs halten können", sagt Martin Kannegiesser, der Präsident des Wirtschaftsverbands Gesamtmetall, dem viele Metall- und Elektrounternehmen angehören.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Welche Instrumente die Unternehmen nutzen, um Überkapazitäten in der Auto-Produktion zu vermeiden.

In Krisenzeiten reagieren die Unternehmen allerdings nicht mehr allein mit der Keule der Entlassung. Längst sind die Verfahren, mit denen sie ihre Arbeitskosten schnell senken können, feiner geworden. Die Autoindustrie spielt das zur Verfügung stehende Instrumentarium gerade durch.

BMW, VW oder Daimler gaben schon im Herbst erst einmal ihre Leiharbeiter an die Zeitarbeitsfirmen zurück, bei denen sie angestellt sind. Damit können die Autokonzerne die Kosten erheblich senken - und das auch noch schnell. BMW hatte Anfang des Jahres 2008 noch etwa 8000 Zeitkräfte, das waren etwa acht Prozent der Belegschaft. Die zurückgegebenen Leihkräfte müssen sich wohl darauf einstellen, dass sie bald arbeitslos sind, weil es für sie keine Anschlussbeschäftigungen gibt. Genaue Zahlen über das Schicksal der Leiharbeiter, von denen es in Deutschland Mitte des Jahres 794.400 gab, liegen noch nicht vor.

Von Stufe zu Stufe

Die nächste Stufe in der Autoindustrie ist der Abbau von Zeitkonten. So feiern Opel, VW, BMW und Volkswagen in guten Zeiten angehäufte Überstunden der Mitarbeiter in Krisenzeiten durch Fabrikschließungen wieder ab. Alle Autohersteller haben ihre Weihnachtsferien über das früher übliche Maß hinaus verlängert. Die Arbeiter erleiden keinen Einkommensausfall, weil sie in guten Zeiten auf die Bezahlung der Überstunden verzichtet haben.

Doch längst droht die nächste Eskalationsstufe: die Kurzarbeit. Daimler-Chef Dieter Zetsche hat seine Mitarbeiter bereits auf diese Maßnahme eingestimmt. "Wir müssen unsere Produktion der gesunkenen Nachfrage ständig anpassen", sagt Zetsche.

Längst häufen sich bei der Bundesagentur für Arbeit die Anträge auf Kurzarbeit. Dabei wird die Arbeitszeit in den Firmen reduziert, aber die Bundesagentur übernimmt einen Teil der Verdienstausfälle, die durch die verkürzte Arbeitszeit entstehen. Die Zahl der offiziellen Kurzarbeiter lag im November bei 135.000. Sie ist in den zurückliegenden Wochen drastisch gestiegen. Vor einem Jahr waren nur 11.700 Kurzarbeiter gemeldet, im September war für 27.000 Arbeitnehmer Kurzarbeit beantragt.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwartet, dass es im nächsten Jahr etwa 200.000 Kurzarbeiter geben wird, so viele wie zuletzt vor sieben Jahren. Aber die Kurzarbeit ist das letzte Mittel, um die Kündigung zu vermeiden. Vor diesem Schritt schrecken die Unternehmen nicht allein aus sozialen Gründen zurück. Sie fürchten, dass sie durch die Kündigung Fachleute verlieren, die sie beim Anziehen der Konjunktur wieder brauchen.

© SZ vom 18.12.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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