Mehr alte Erwerbstätige:Deutsche arbeiten immer länger

Der Anteil der 60- bis 64-Jährigen, die einer Beschäftigung nachgehen, hat sich binnen zehn Jahren verdoppelt - damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich auf Rang zwei. Auch die Gesamtanzahl der Erwerbstätigen hat Rekordniveau erreicht, der DGB sieht die Entwicklung trotzdem kritisch.

Detlef Esslinger und Claus Hulverscheidt, Berlin

Immer mehr ältere Menschen in Deutschland gehen arbeiten. Das geht aus einer Übersicht hervor, die das Bundesarbeitsministerium nach einem Treffen von Ressortchefin Ursula von der Leyen (CDU) mit dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Michael Sommer, und Arbeitgeber-Vizepräsident Otto Kentzler vorlegte.

Demnach hatten im September vergangenen Jahres 60,2 Prozent der 55- bis 64-Jährigen einen Job. Bei den 60- bis 64-Jährigen waren es immerhin 44,3 Prozent - doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. Deutschland liegt damit im europäischen Vergleich hinter Schweden auf Rang zwei.

Von der Leyen sprach von einer "Zwischenetappe" auf dem "Weg zur vollen Rente mit 67 im Jahr 2029". Vor allem die SPD und die CSU wollen die beschlossene Erhöhung des Renteneintrittsalters aussetzen, falls nicht gewährleistet ist, dass ältere Menschen auch Stellen vorfinden. Gibt es diese nämlich nicht, so das Argument, wäre die Rente mit 67 nichts anderes als eine Rentenkürzung.

Der DGB-Chef hielt auch nach dem Treffen mit der Ministerin an seinem Nein zum höheren Rentenalter fest. "Die Beschäftigungssituation Älterer hat sich verbessert - aber sie ist nicht gut", sagte er. "Und sie ist schon gar kein Grund für die Einführung der Rente mit 67."

800.000 der 55- bis 64-Jährigen seien nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt, sondern hätten Mini-Jobs, von denen sie nicht leben könnten. Auch gebe es Lebensarbeitszeitkonten bisher fast nur in der Chemieindustrie. Kentzler sagte dazu, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen den Verwaltungsaufwand und die mögliche Bindungswirkung solcher Konten fürchteten.

Darüber hinaus misstraut der DGB der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich. In einer Untersuchung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, kommt der Dachverband zu dem Schluss, dass in Deutschland zwar 41 Millionen Menschen erwerbstätig sind; so viele wie noch nie. Aber dieser Rekord werde allgemein "überinterpretiert, da er insbesondere auf die gestiegene Zahl von Kleinstarbeitsverhältnissen und prekärer Beschäftigung zurückzuführen ist". Verfasser der Untersuchung ist Wilhelm Adamy, der beim DGB die Abteilung Arbeitsmarktpolitik leitet.

Nach den Berechnungen hatten im vergangenen Jahr noch 23,9 Millionen Menschen einen Vollzeitjob; das sind 5,4 Millionen weniger als 1991. Demgegenüber stieg die Zahl der Teilzeitkräfte von 5,7 Millionen auf 12,6 Millionen. Vier von zehn Teilzeitkräften hätten lediglich einen 400-Euro-Job; vor zwanzig Jahren seien es zwei von zehn gewesen.

Der DGB sieht diese Entwicklung aus mehreren Gründen kritisch. Teilzeitkräfte, aber auch Leiharbeiter sowie Beschäftigte mit Zeitverträgen erhalten in der Regel geringere Stundenlöhne als Menschen mit Vollzeitjobs. Jeder Siebte aus dieser Beschäftigtengruppe gilt mittlerweile als armutsgefährdet. Darüber hinaus zahlen Mini-Jobber keine Beiträge zur Sozialversicherung.

Der DGB hält daher wenig davon, dass die Bundesregierung mit einer Plakatkampagne ("Danke, Deutschland. So viele Menschen in Arbeit wie nie zuvor") die Zustände feiert. So würden "die Probleme derjenigen verhöhnt, die trotz Erwerbstätigkeit in prekären Lebenssituationen sind", heißt es in der Untersuchung.

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