Mehdorn und die Deutsche Bahn:Ein Wahnsinns-Unternehmen

Spähaktionen bei der Deutschen Bahn: Mitarbeiter, Gewerkschafter, Wissenschaftler und Journalisten - alle waren den Datendetektiven der Bahn verdächtig.

Michael Bauchmüller und Klaus Ott

Wie werden sie wieder strahlen, die Zahlen der Bahn. An diesem Montag wird Hartmut Mehdorn in Berlin seine Bilanz für das vergangene Jahr vorlegen, es sollte ein Tag des Triumphs sein.

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(Foto: Foto: AFP)

Wieder einmal sind Umsatz und Gewinn gestiegen - wie so oft in den vergangenen Jahren, unter der Regie von Mehdorn. Dass sich am Montag dennoch alle Welt fragen wird, wann er denn endlich zurücktritt, zählt für Mehdorn zu den vielen Ungerechtigkeiten, die sein erfolgreiches Wirken begleiten. Seit Jahren schon.

Seit Jahren schon sieht Mehdorn auch Informationen aus seinem Reich tröpfeln wie Wasser aus einem undichten Eimer. Die Informationen flossen ins große Netzwerk der Mehdorn-Kritiker. Selten verließen gute Nachrichten heimlich den Bahntower, oft dagegen diskreditierende Schriftstücke, Interna und Gerüchte. Mehdorn hat viele Feinde, und er hat viele Mitarbeiter, die viel zu erzählen hatten. Im eigenen Reich fühlte sich Mehdorn umzingelt von Widersachern. Diesem Treiben war Einhalt zu gebieten.

Task Force gegen die Bahn-Informanten

Schon Anfang 2001, nach dem ersten Jahr Mehdorn bei der Bahn, forderte der damalige Pressechef Dieter Hünerkoch "Aktionen und Events, die uns Sympathie vor Ort und die Menschen der Bahn näher bringen". Und er machte sich Gedanken, wie man verhindern könne, dass "wieder jede Menge interne Papiere rausgegeben werden".

In einem Brief an Mehdorn und die anderen Vorstände schrieb Hünerkoch, man werde "sehr schnell eine Task Force bilden, die versucht, die Informanten bei der Bahn zu ermitteln". Wie Journalisten vorgehen, um an Informationen zu gelangen, wusste Hünerkoch genau. Er war vorher Ressortleiter für Politik und Wirtschaft beim Stern gewesen, von dort hatte Mehdorn ihn als seinen Sprecher zur Bahn geholt.

Richtig ernst mit der Jagd nach angeblichen Verrätern in den eigenen Reihen machte die Bahn vom Februar 2005 an, mit dem Projekt "Leakage" (Leck). Der E-Mail-Verkehr der Belegschaft wurde systematisch ausgespäht. Im Frühjahr 2005 war es auch, als Mehdorn den Mitarbeitern schrieb.

Er gab zu bedenken, dass "die Weitergabe von vertraulichen Firmenunterlagen kein Kavaliersdelikt" sei. Und weiter: "Diejenigen, die jetzt ein schlechtes Gewissen haben müssen, sollen wissen, dass wir schrittweise unsere Lecks einkreisen, die Sachverhalte aufklären und in der Konsequenz die dazugehörigen Strafverfahren einleiten werden." Das war nicht untertrieben.

Begonnen haben soll die Schnüffelei in der elektronischen Post mit einem Dutzend Adressen von Verkehrsexperten. E-Mails, die an diese Personen gingen, wurden automatisch herausgefiltert. Später wurde diese Liste erweitert und immer wieder aktualisiert. Die Mail-Adressen von Journalisten und von Konkurrenz-Unternehmen der Bahn kamen hinzu. Zeitweise standen sechs Wissenschaftler auf der Liste, die regelmäßig vom Bundestag zu Rate gezogen werden, wenn es um die Bahn geht.

Bis zu 1000 Mails pro Woche fielen auf. 1000 Mails, die den zuständigen Abteilungen neue Probleme bereiteten: Denn bei der Bahn wurden Mails normalerweise nur eine Woche gespeichert. So schnell konnte die auffällige Post aber nicht bearbeitet werden. Fortan wurden die Mails, die aus der täglichen Flut der elektronischen Post gefiltert worden waren, intern einfach extra gespeichert, für drei bis sechs Monate.

Vertrauen verloren

Erst in diesem Jahr sollen viele dieser Mails, die heimlich erfasst worden waren, gelöscht worden sein. Angeblich soll das aus Datenschutzgründen geschehen sein. War das ein Versuch, diese Spähaktion zu vertuschen? Die Bahn äußerte sich dazu am Sonntag auf Anfrage nicht.

Der Bahnvorstand war offenbar an Aufklärung nicht interessiert. Anfang des Jahres, als der Datenskandal begann und die Konzernspitze unter Druck geriet, hatten Mehdorn und seine Kollegen intern einen Untersuchungsauftrag erteilt. Der galt aber nur für Maßnahmen "im Zusammenhang mit der Korruptionsbekämpfung". Damit hatte die Ausspähung des Mail-Verkehrs nichts zu tun. Erst die vom Aufsichtsrat eingesetzten Sonderermittler deckten das auf.

Wie hat die Bahn den Lokführerstreik manipuliert?

"Wir haben gegen keine Gesetze verstoßen", beteuert Mehdorn. Die Sonderermittler, unter ihnen Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), sehen das anders. Baum berichtete dem Aufsichtsrat von Verstößen gegen das Fernmeldegeheimnis. Und davon, dass womöglich auch Paragraf 303a des Strafgesetzbuches verletzt worden sei. Wer rechtswidrig Daten löscht, unterdrückt oder unbrauchbar macht, so steht da zu lesen, macht sich strafbar.

Deutsche Bahn, dpa
(Foto: Foto: dpa)

Am 4. Oktober 2007 sollte eine Mail der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) Mitglieder über ihre Rechte im Streik aufklären. Doch die Mail an die GDL-Mitglieder bei der Bahn kam nie an. Die Bahn erklärt, ihre Rechner seien überlastet gewesen, deshalb habe die Post nicht weitergeleitet werden können. "Das kam uns schon damals merkwürdig vor", sagt GDL-Chef Claus Weselsky. Jetzt will er den Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix einschalten.

Die Lokführer wollen wissen, ob die Bahn noch in anderen Fällen versucht hat, den Lokführer-Streik 2007 zu manipulieren. Und noch ein weiterer Verdacht ist Weselsky inzwischen gekommen. Womöglich könnte die Bahn indirekt auch hinter dem Hackerangriff stecken, der während der Streikwelle die GDL-Homepage lahmlegte - und das interne Netz der Gewerkschaft gleich mit. "Ein solcher Verdacht regt sich", sagt Weselsky. "Nach allem, was da passiert ist." Das Vertrauen ist verloren.

Das gilt offenbar auch für einen Teil das Managements. Vergangene Woche verfassten Führungskräfte des Konzerns eine Solidaritätsadresse an Mehdorn. "Die Entwicklung des Unternehmens ist eine Erfolgsgeschichte", lobten die Autoren. Der Vorstand genieße "unser volles Vertrauen und die uneingeschränkte Unterstützung" im Kampf gegen Korruption.

Doch der Schuss ging nach hinten los. Viele Vorstände wichtiger Tochterfirmen setzten ihre Unterschrift nicht unter das Schreiben. Bei wichtigen Töchtern wie DB Regio, Fernverkehr und Schenker Rail unterschrieben von 16 Vorständen nicht einmal die Hälfte. Der Brief verschwand in der Schublade.

Doch Mehdorn, 66, sieht es genau so: Der Kampf gegen Korruption und Verrat kann nicht Unrecht sein, so hat er befunden. Aufgrund legitimer Handlungen zurückzutreten, damit letztlich das eigene Handeln für Unrecht zu erklären, "dafür stehe ich nicht zur Verfügung", erklärte er Freitagabend.

Fragen wollte er nicht beantworten - schließlich komme man ja am Montag wieder zusammen, zur Vorstellung der Bilanz. Und da, so regte Mehdorn selber an, "können wir vielleicht dies und jenes noch mal hinterfragen."

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