Mediziner aufs Land:Im Notfall kommt der Ärztebus

Gesundheitsminister Bahr will die flächendeckende Versorgung von Kranken sichern und mehr junge Mediziner aufs Land locken. Das Kabinett hat seinen Gesetzesentwurf an diesem Mittwoch gebilligt. Gewerkschafter sprechen schon von "beispielloser Klientelpolitik". Gibt es wirklich zu wenig Ärzte? Was ändert sich an ihrem Honorar? Und wie soll die Versorgung in Stadt und Land künftig funktionieren?

Guido Bohsem und Claus Hulverscheidt

Noch hat der Gesetzentwurf des Gesundheitsministers nicht einmal den Bundestag erreicht, da hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sein Urteil schon gefällt: Das Paket, das Union und FDP zur Bekämpfung des Ärztemangels auf dem Land geschnürt haben, sei "ein Zeugnis beispielloser Klientelpolitik", sagt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.

Der libanesische Arzt in der Uckermark

Landarzt in der Uckermarck: Vor allem in  dünnbesiedelten Regionen Ostdeutschlands, aber auch in Niedersachsen und Bayern gibt es keinen Nachwuchs.

(Foto: dapd)

Statt die Versorgung der Patienten zu verbessern, wolle die Koalition Ärzten und Zahnärzten schlicht und ergreifend höhere Honorare zuschustern. Wenn etwa Mediziner Anreize erhielten, eine Praxis auf dem Land zu eröffnen, müsse es im Gegenzug doch "auch Abschläge für Ärzte in überversorgten Bereichen geben".

Das alles sieht Minister Daniel Bahr (FDP) aber völlig anders. An diesem Mittwoch hat das Bundeskabinett seinen Entwurf gebilligt. Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen.

Gibt es überhaupt zu wenig Ärzte?

Die Mediziner selbst sagen ja, die Krankenkassen nein. Beides trifft zu, je nachdem, welche Ärzte und welche Gegenden in Deutschland man betrachtet. Auf die ganze Bundesrepublik bezogen kann von Ärztemangel keine Rede sein, im Gegenteil: 1990 kamen auf 100.000 Einwohner 30 Mediziner, damals gab es Klagen über eine "Ärzteschwemme". Dennoch stieg die Quote immer weiter an, 2007 lag sie bei 38 Ärzten je 100.000 Einwohner. Noch gravierender verlief die Entwicklung bei Medizinern mit eigener Praxis: Ihre Zahl erhöhte sich in weniger als 20 Jahren um etwa die Hälfte von 92.000 auf 138.000. Ein Mangel an Fachärzten ist deshalb nur in wenigen, regional begrenzten Ausnahmefällen zu erkennen. In fast 90 Prozent der Regionen herrscht vielmehr eine Überversorgung.

Wozu ist dann ein Gesetz nötig?

Sorge bereitet besonders die Entwicklung bei den Haus- und Kinderärzten. Denn in den nächsten zehn Jahren gehen etwa 24 000 von ihnen in den Ruhestand. Weil es vor allem in den dünnbesiedelten Regionen Ostdeutschlands, aber auch in Teilen Niedersachsens und Bayerns keine Nachwuchskräfte gibt, prognostiziert die Kassenärztliche Bundesvereinigung bereits für die nähere Zukunft eine Lücke von 7000 Haus- und Kinderärzten.

Wodurch entsteht die befürchtete Unterversorgung?

Die Ärzteschaft liefert im Wesentlichen drei Erklärungsansätze. Erstens steige die Zahl der Kranken in einer alternden Bevölkerung an - zumal durch den medizinischen Fortschritt viel mehr Menschen geholfen werden könne als vor 20 Jahren. Diesem höheren Behandlungsbedarf stehe zweitens eine abnehmende Einsatzbereitschaft der Ärzte gegenüber. Sie sei vor allem dadurch zu erklären, dass der Anteil der Frauen unter den niedergelassenen Ärzten deutlich zugenommen habe: Weil Frauen mehr Zeit für die Familie aufbrächten, liege die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden bei ihnen deutlich niedriger als bei ihren männlichen Kollegen. Und drittens offenbare sich insbesondere auf dem Land ein Nachwuchsmangel, was daran liege, dass berufstätige Partner von Medizinern dort keine Arbeit fänden und generell das Landleben dem Geschmack vieler Ärzte nicht entspreche.

Wie will die Regierung junge Ärzte aufs Land locken?

Der deutlichste Anreiz ist ein finanzieller: Im Gegensatz zu den Medizinern in den normal- oder überversorgten Gebieten soll es keine Begrenzung bei der Abrechnung der Honorare mehr geben. Normalerweise werden Ärzte nur bis zum sogenannten Regelleistungsvolumen, einem geschätzten Behandlungsbedarf, voll bezahlt. Alles, was darüber hinaus geht, wird nur noch teilweise vergütet.

Sind weitere Anreize geplant?

Sowohl die Kassenärztlichen Vereinigungen als auch die Landkreise sollen Arztpraxen ausstatten dürfen, um Mediziner anzulocken. Die niedergelassenen Ärzte müssen zudem nicht mehr dort wohnen, wo ihre Praxis steht. Krankenhäuser werden besser in die Planung von Notfalldiensten eingebunden, um die Praxen zu entlasten. Der Zeitraum, in dem niedergelassene Ärztinnen mit Vertretung in Babypause gehen dürfen, wird von sechs auf zwölf Monate verlängert.

Was passiert, wenn sich dennoch kein neuer Arzt findet?

In diesem Fall sieht das Gesetz drei Möglichkeiten vor: Zum einen können die Krankenhäuser stärker in die Versorgung einbezogen werden. Dann soll es verstärkt zum Einsatz sogenannter Ärztebusse kommen - das sind rollende Arztpraxen, die täglich an verschiedenen Orten zu finden sind. Schließlich sollen Vorschläge erarbeitet werden, wie und welche ärztliche Tätigkeiten auf Schwestern oder Pfleger übertragen werden können. Geprüft wird auch, ob Telemedizin - also beispielsweise eine ärztliche Untersuchung via Bildschirm - in Zukunft eine größere Rolle spielen kann.

Sinkt die hohe Arztdichte in Städten und wohlhabenden Landkreisen?

Das Gesetz gibt den Kassenärztlichen Vereinigungen die Möglichkeit, in solchen Gebieten Arztpraxen aufzukaufen und zu schließen, wenn ihre Inhaber in den Ruhestand gehen. Weil viele Mediziner den Weiterverkauf der Praxis aber fest in ihre Altersabsicherung eingeplant haben, soll es dabei nicht zu finanziellen Einbußen kommen. Kassen und Opposition kritisieren, dass es sich hierbei um eine reine "Kann"-Bestimmung handelt: So werde kein gezielter Abbau der Überversorgung erreicht. Dabei könnte mit dem eingesparten Geld die Versorgung auf dem Land verbessert werden, ohne dass Mehrkosten entstünden. Das Finanzministerium hatte zudem moniert, dass es zwar einen Honorarbonus für Ärzte auf dem Land, aber keine Abschläge für die Ärzte in den Städten gebe.

Wird geprüft, ob das Gesetz wirkt?

Ja, 2014 soll es eine Bewertung geben. Schon jetzt ist aber klar, dass dabei wenig Brauchbares herauskommen wird. Denn mit dem Gesetz erteilt die Koalition gleichzeitig den Auftrag, die bislang üblichen Grenzen der Versorgungsgebiete völlig neu zuzuschneiden. Alleine dadurch kann aus einem bislang offiziell medizinisch unterversorgten Gebiet ein überversorgtes werden.

Welche Reformen sind bei den Honoraren geplant?

Wegen der Proteste nach der Honorarreform vor eineinhalb Jahren soll das System nun erneut völlig umgestellt werden. Künftig handelt nicht mehr die Kassenärztliche Bundesvereinigung die Honorare aus, sondern das geschieht jetzt durch die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) vor Ort. Der Vorteil soll darin liegen, dass lokale Begebenheiten besser berücksichtigt werden können. Dass diese lange geforderte Regionalisierung mehr Zufriedenheit in die Ärzteschaft bringt, bezweifeln aber sogar KV-Funktionäre.

Wie soll das Honorar künftig ausgehandelt werden?

Die Honorarsteigerungen sollen stärker von der Krankheitsentwicklung der Bevölkerung abhängig gemacht werden. Die Überlegung, die dahintersteckt, lautet stark vereinfacht: Je älter die Bevölkerung wird, desto kränker wird sie, desto höher ist der Behandlungsbedarf. Schon diese Annahme ist umstritten, denn man könnte auch auf die Idee kommen, dass die Menschen zwar länger leben, aber deshalb nicht schwerer krank werden als ihre Mütter und Väter. Die Entwicklung ließe sich überprüfen, wenn jeder Arzt die Krankheiten seiner Patienten genau erfassen und melden müsste. Doch genau diese sogenannten Kodierrichtlinien sollen nun nicht mehr umgesetzt werden - zu groß war der Widerwille der Ärzteschaft. Stattdessen wird künftig einfach unterstellt, dass ältere Menschen öfter und teurer zu behandeln sind.

Warum bekommen auch die Zahnärzte mehr Geld?

Traditionell zahlen die einzelnen Kassen den Zahnärzten unterschiedlich hohe Honorare für die gleiche Behandlung. Das Gesetz gleicht das nun aus. Dafür wird das Gesamthonorar der Zahnärzte um 120 Millionen Euro im Jahr erhöht.

Gibt es künftig eine Kostenkontrolle durch den Finanzminister?

Wolfgang Schäuble misstraut den Zahlen, die sein Kollege Bahr zugrunde legt. Der Finanzminister hat deshalb durchgesetzt, dass das Gesundheitsressort an anderer Stelle sparen muss, sollte das geplante Versorgungsstrukturgesetz den vereinbarten Kostenrahmen sprengen. Schäubles Interesse an der Gesundheitspolitik erklärt sich so: Bei der vergangenen Gesundheitsreform wurde festgelegt, dass Kostensteigerungen im Gesundheitswesen im Zweifel nicht mehr über Beitragserhöhungen, sondern über Zusatzbeiträge der Versicherten ausgeglichen werden. Um die Belastung der Bürger im Rahmen zu halten, ist bei hohen Zusatzbeiträgen ein Sozialausgleich vorgesehen - und der wird aus dem Bundeshaushalt finanziert. Der um einen ausgeglichenen Etat bemühte Schäuble hat also Grund, vorsichtig zu sein.

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