Medikamenten-Rückruf:"Noch gravierender als Lipobay-Skandal"

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Der Verkaufsstopp des Arthritis-Medikaments Vioxx ist für den US-Pharmakonzern Merck nach Expertenmeinung noch dramatischer als die Rücknahme des Cholesterin-Senkers Lipobay für Bayer im Jahr 2001. Der deutsche Pharmakonzern war damals in eine schwere Krise geraten.

Nachdem der US-Konzern das Präparat wegen des Risikos von Herz- und Schlaganfällen weltweit vom Markt genommen hatte, brach die Aktie am Donnerstag um mehr als 25 Prozent ein.

Mercks Arthritis-Präparat Vioxx. (Foto: Foto: AP)

Die Anwaltskanzleien Federman & Sherwood und Strong sowie Martin & Associatesi reichten noch am Donnerstag im Namen eines Klienten bei einem US-Bundesgericht in Oklahoma-City Klage gegen den zweitgrößten US-Pharmakonzern ein.

Informationspflichten

Darin wird Merck vorgeworfen, die Öffentlichkeit und Gesundheitsdienstleister nicht über die Risiken von Vioxx informiert zu haben.

Der Konzern, der keine Verbindung zu der deutschen Merck KGaA hat, hatte 2003 mit Vioxx einen Umsatz von 2,5 Milliarden US-Dollar verbucht. Vioxx ist neben dem Cholesterinsenker Zocor das wichtigste Medikament für Merck.

Der Rückschlag für Merck ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten noch dramatischer als der Vermarktungsstopp für den Cholesterinsenker Lipobay der Bayer AG im Jahr 2001, erklärten Analysten.

10.000 Klagen

Lipobay stand bei Bayer damals für einen Jahresumsatz von rund einer Milliarde Euro. Bayer sah sich damals in den USA einer ganzen Flut von mehr als 10.000 Klagen gegenüber. Bayer hat bisher 1,1 Milliarden Dollar für Vergleiche mit Patienten aufgewendet und kam nach Einschätzung von Experten noch glimpflich davon.

Die US-Gesundheitsbehörde FDA will nun vergleichbare Produkte anderer Hersteller unter die Lupe nehmen. "Merck hat das Richtige getan", sagte der FDA-Leiter Lester Crawford. Die FDA werde "genau kontrollieren", ob bei anderen Präparaten dieser Gattung ähnliche Nebenwirkungen auftreten.

Merck hat bei den so genannten COX-2-Inhibitoren zwei Konkurrenten: Pfizer mit Celebrex und Novartis mit Prexige.

Pfizer zuversichtlich

Der weltgrößte Pharmakonzern Pfizer Inc. hält sein Arthrosemedikament Celebrex dagegen für sicher. Wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte, wurde bei einer von der US-Gesundheitsbehörde FDA in Auftrag gegebenen aktuellen Studie kein erhöhtes Risiko von Herzerkrankungen festgestellt.

Merck & Co hatte den Rückzug mit Studien begründet, wonach sich durch das Medikament das relative Risiko von Herzkrankheiten erhöhe.

Der Schweizer Pharmakonzern Novartis hat die Begründung des Merck-Rückzugs bereits fest im Blick. "Wir haben die Merck-Meldung zur Kenntnis genommen", sagte ein Unternehmenssprecher.

Studie in Fachzeitschrift

"Wir überprüfen die Aussagen." Im August hatte die Fachzeitschrift The Lancet die Ergebnisse einer großangelegten Studie veröffentlicht, nach der sich das Risiko von Herzerkrankungen durch Prexige nicht erhöht.

COX-2-Hemmer, wie Vioxx, blockieren ein im Körper gebildetes Enzym, so dass bestimmte entzündungsauslösende Prostaglandine nicht entstehen. Diese Gewebshormone sind die Schmerz-, Entzündungs- und Fieber-Botenstoffe des Körpers.

COX-2-Hemmer sind magenfreundlicher als die herkömmlichen nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen, Acetylsalicylsäure oder Diclofenac. Allerdings kostet die Behandlung mit COX-2-Hemmern nach Angaben der Deutschen Rheuma-Liga das drei- bis siebenfache: Statt weniger als 50 Euro-Cent fallen 1,50 bis 3,50 Euro pro Tag an.

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