Medien:Zeit für einen neuen Chef

Im August wird Giovanni di Lorenzo Chefredakteur der größten deutschen Wochenzeitung.

Von Michael Jürgs

Die Zeit, da Die Zeit mit zwei Spielmachern, Michael Naumann als Günter Netzer und Josef Joffe als Wolfgang Overath, aufs Feld läuft, ist Mitte August vorbei.

In der nächsten Saison wird es mit dem Wechsel von Giovanni di Lorenzo, 45, an die Elbe nur noch einen Spielmacher beim Hamburger Wochenblatt geben.

Der hinkende Vergleich mit der Fußballbundesliga ist nicht so weit hergeholt, denn in den letzten Wochen lasen sich die Dementis der am Spiel beteiligten Manager und Verlage am Ende so lächerlich wie die Beteuerungen von FC-Bayern-Manager Uli Hoeneß, man werde an Ottmar Hitzfeld festhalten und mit Felix Magath vom VfB Stuttgart erst im kommenden Jahr reden.

Erste Anfrage vor zwei Jahren

Zufall ist das nicht: Die Verträge von Chefredakteuren bei Spitzenredaktionen haben oft eine ähnliche Halbwertszeit wie die von Trainern der Bundesliga.

Di Lorenzo, Noch-Chefredakteur des Berliner Tagesspiegel, wird also künftig Naumann und Joffe die Arbeit abnehmen - die waren bisher in Personalunion Chefredakteure und Herausgeber.

Beide ziehen sich im Hamburger Zentralorgan für Intellektuelle und solche, die es mal werden wollen, auf die Position von schreibenden Herausgebern zurück - der eine mehr als Reporter vor, der andere als Leitartikler am Ort.

Bei dem Wochenblatt ist ein Chefredakteur - pardon, aber die Lektüre der Zeit bleibt nicht ohne Folgen - eher primus inter pares. Er muss überzeugen, statt sich per Anweisung durchzusetzen wie sonst üblich in dieser Spielklasse, etwa bei Stern, Spiegel oder Focus. Hier hat di Lorenzo absolute Hoheit nur über die Seite eins.

Naumann und Joffe, die sich privat gut und politisch nicht so gut verstehen, haben in Kärrnerarbeit bei der einstigen Mutter aller Grauwerte Bildunterschriften eingeführt sowie Vorspänne, Überschriften und ein Foto für die erste Seite; hier und da locken sogar Zwischentitel zum Weiterlesen. Das alles brauchte seine Zeit.

In der stieg die Auflage, auch dank vieler Neuerungen wie den beigelegten Tabloids (Literatur, Reisen) auf wöchentlich knapp 460.000 Exemplare. Und es wird wieder verdient: etwa fünf Millionen Euro - nach drei Millionen im vergangenen Jahr - sollen es 2004 sein.

Früher hatten die Feingeister aus der Beletage über Jahrzehnte von den Erfolgen des Schmuddelkindes Stern gelebt. Nebenbei halfen ihnen nahe stehende Hamburger, wo sie konnten: Was Spiegel und Stern recherchierten, kommentierte die Zeit. Inzwischen gehören auch die Zeit-Dossiers zu den Perlen des investigativen Journalismus in Deutschland.

Die erste Anfrage bekam di Lorenzo vor zwei Jahren. Damals aber hätte es Hochverrat bedeutet, den Tagesspiegel, der mehr Projekt war als nur Zeitung, zu verlassen.

Besser dementieren

Hochverrat ist bekanntlich aber nur eine Frage des Datums: Im Februar wurden die Gespräche konkret. Es hätte schnell über die Bühne gehen können, aber dort fand die Schlacht statt rund um die vom Kartellamt untersagten Übernahme der Berliner Zeitung durch den Holtzbrinck-Konzern, dem Zeit und Tagesspiegel gehören.

Ein Desaster, wenn damals der Chefredakteur sein Blatt verlassen hätte. Also musste di Lorenzo die ständigen Wechselgerüchte dementieren und versprechen, er werde in Berlin bleiben. Das ist nicht mal gelogen: Er wird als einer von drei Herausgebern dem Tagesspiegel die Treue halten.

Auch diese Nachricht, die am heutigen Dienstag um 13 Uhr auf der Vollversammlung der Redaktion und am Donnerstag bei der Zeit verkündet wird, setzt ein Zeit-Zeichen: Der Bestand des Tagesspiegel ist garantiert.

Dort haben freilich die beiden alten Herausgeber Hellmuth Karasek und Hermann Rudolph ihre Bedenken zu Protokoll gegeben wegen der neuen Chefredakteure Stephan-Andreas Casdorff, 45, und Lorenz Maroldt, 42, Lorenzos bisherigen Stellvertretern.

Das sei nur eine minimale Lösung - für die Mehrheit der Tagesspiegel-Redaktion aber ist es, unter den gegebenen Umständen, die maximale Lösung.

Di Lorenzo wird zudem Christoph Amendt und Stephan Lebert (bisher verantwortlich für Konzepte) mitnehmen nach Hamburg. Ein herber Verlust für die Mannschaft ist auch der Wechsel von Chefreporter Jürgen Schreiber, der zum Stern geht.

Ein Team wie das der Zeit zu führen, ist mit anderen Trainerjobs in der Branche nicht vergleichbar. Linksaußen wie Rechtsaußen, wobei dies keine politische Aufstellung ist, spielen in Hamburg vor allem ihre eigenen Stärken aus; sie setzen sich selbst in Szene und pfeifen gerne darauf, was als Taktik vorgegeben wurde.

Nur mühsam konnten Naumann und Joffe vielen der dribbelnden Individualisten der Zeit, die hoch gebildet sind, aber vom Blattmachen so viel verstanden wie die einstige Hamburger Kultursenatorin Dana Horáková von Kultur, mit einigen Grundregeln des Handwerks vertraut machen.

Dass ein Foto eine Bildunterschrift brauche zum Beispiel, obwohl doch der geneigte Leser selbst erkennen könne, was er sieht.

Der größte Fehler der Vergangenheit, die Einstellung des Zeit-Magazins, das aus wirtschaftlichen Gründen beerdigt wurde, bevor man es zu journalistischem Leben erweckt hätte, war nicht mehr zu revidieren.

Giovanni die Lorenzo ist einem größeren Publikum als TV-Moderator der 3 nach 9-Talkshow von Radio Bremen bekannt geworden; diesen Vertrag hat er verlängert. Es ist ja nicht weit von Hamburg nach Bremen. Er kommt jetzt bei der Zeit zu einem etablierten Verein.

In den vergangenen fünf Jahren hat er in Berlin aus einem Absteiger, dem verschnarchten Blatt für Zahnarztwitwen aus Berlin-Dahlem, eine bundesweit beachtete Zeitung gemacht; die recht kleine Auflage des Tagesspiegel stieg von 132 709 auf 139.528.

Verleger Dieter von Holtzbrinck und Zeit-Redaktionsausschuss sind sich deshalb einig, die richtige Wahl zur richtigen Zeit getroffen zu haben.

Time waits for no one, weiß jeder Rolling-Stones-Fan. Eben alles nur eine Frage der Zeit.

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