Medien:"Probleme sind hausgemacht"

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Die Anschläge haben die Werbeflaute und damit die schwierige Lage der Unternehmen verstärkt. Ursache der Krise sind sie nicht.

Nina Bovensiepen

(SZ vom 04.09.02) Ob Kameramann, Leitartikler, Moderator, Drucker oder Chefredakteur: Für viele Beschäftigte der Medienbranche bedeuteten die Anschläge vom 11. September die größte Herausforderung ihres Berufslebens.

Um 8.46 Uhr Ortszeit flog das erste von den Terroristen entführte Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers. Rasend schnell verbreitete sich die Meldung von den schrecklichen Ereignissen über den ganzen Erdball. Und während Millionen Menschen in ihrer Alltagsroutine paralysiert waren, standen Nachrichtenagenturen, Fernseh-Stationen, Redaktionen von Internetdiensten und Verlagen vor der Aufgabe, die Welt mit Bildern, Kommentaren, Analysen, Hintergründen über die Attacke auf Amerika zu versorgen.

Zeitungen druckten Sonderausgaben, Fernsehsender schmissen ihr Programm. Viva stoppte die Ausstrahlung von Musikvideos. CNN sendete sechs Tage ohne Werbepause rund um die Uhr; der amerikanische Nachrichtenkanal rückte für einen Moment sogar das Konkurrenzdenken in den Hintergrund und stellte anderen Sendern unentgeltlich Bildmaterial zur Verfügung.

Steigende Quoten

Ökonomisch betrachtet hatte die Berichterstattung über den Terror und seine Folgen für die Medienbranche kurzfristig zwei Konsequenzen. Erstens eine positive: Quoten und Auflagen stiegen sprunghaft an. "Der Einzelverkauf von Tageszeitungen schoss in den Tagen nach dem 11. September in die Höhe", sagt eine Sprecherin des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, "es wurden mehrere hunderttausend Exemplare mehr verkauft."

Der Einzelverkauf der Süddeutschen Zeitung etwa verdoppelte sich in den Tagen nach den Anschlägen; am Wochenende vom 15./16. September wurde mit 853000 Exemplaren die höchste Auflage aller Zeiten gedruckt. Die Tagesschau hatte im September 2001 im Vergleich zum Vormonat 2,1 Millionen Zuschauer mehr - durchschnittlich 9,87 Millionen.

Einen ähnlich starken Zuwachs erzielten die Nachrichtensendungen des ZDF. Bei der privaten Konkurrenz RTL - Nachrichtenmann Peter Kloeppel erhielt später für seine Arbeit in dieser Zeit den Grimme-Preis - sahen am Tag der Attacken knapp 5,8 Millionen Zuschauer RTL Aktuell. Die Nachrichtensendungen auf den Kanälen der ProSiebenSat.1 Media AG verfolgten 5,2 Millionen Menschen, fast zwei Millionen mehr als an einem durchschnittlichen Tag.

Vier Tage ohne Werbung

Zweitens führte die Ausnahmesituation in Fernsehprogrammen und Printpublikationen allerdings zu deutlichen finanziellen Einbußen. Anzeigenkunden stornierten Werbeaufträge, die Sender produzierten kostspielige Sonderberichte und verzichteten drei bis vier Tage auf die Ausstrahlung von Werbeblöcken. "Sie können keine Werbebotschaften senden, wenn die Welt den Atem anhält und fassungslos die schockierenden Nachrichten aus den USA aufnimmt", sagt Günter Struve, Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens.

Die Öffentlich-Rechtlichen traf dieser Verzicht freilich nur in Maßen: Laut Rundfunkstaatsvertrag dürfen sie an Werktagen ohnehin nur 20 Minuten Werbung ausstrahlen, nach 20 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen gar nicht.

Anders sieht es bei den Privaten aus, die sich zum größten Teil aus Werbung finanzieren. Die genauen Kosten seien zwar nie errechnet worden, drei Tage Komplettausfall von Werbung hätten jedoch "erhebliche Einbußen" bedeutet, sagt eine RTL-Sprecherin. Die Einbrüche hätten bei den privaten Sendern "kurzfristig massiv gewirkt und das Ergebnis für 2001 deutlich beeinflusst", meint Harald Heider, Medienanalyst bei der DZ Bank.

Ende der Sonderkonjunktur

Schlimmer als der kurzfristige Totalausfall von Werbeeinnahmen traf die Medienindustrie aber der Dämpfer, den die Anschläge der Werbebranche langfristig versetzten. Verwöhnt von einer Sonderkonjunktur im Jahr 2000, als Übernahmeschlachten, die Ankündigung von Börsengängen und der Boom der Internetwirtschaft das Geschäft mit der Werbung beflügelten, rechnete die Branche lange damit, auch 2001 mit einem Plus abzuschließen.

Tatsächlich sind die Werbeinvestitionen im vergangenen Jahr nach Angaben des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) um gut fünf Prozent auf 31,51 Milliarden Euro gesunken - der erste Rückgang in der erfolgsverwöhnten Branche seit 30 Jahren. Die Netto-Werbeeinnahmen der Fernsehsender brachen um 5,1 Prozent ein, die von Tageszeitungen gar um 14 Prozent.

Vorwand für Gewinnkorrekturen

Dafür alleine die Terrorattacken verantwortlich zu machen, wäre freilich unseriös. "Die Werbeflaute gab es schon vor den Anschlägen. Die Ereignisse haben dem vorhandenen Trend aber noch einmal Schubkraft gegeben", sagt ZAW-Sprecher Volker Nickel. In den Folgetagen stornierten viele Kunden ihre Aufträge - vor allem Fluggesellschaften, Reisekonzerne und Unternehmen der Finanzbranche - und noch bis heute spüren die Medienhäuser die Zurückhaltung. Für 2002 erwartet der ZAW ein Umsatzminus von drei bis fünf Prozent, für das kommende Jahr rechnet der Verband mit einem kleinen Plus von einem Prozent.

Wie in anderen Branchen auch führte manches Medienunternehmen die Anschläge in der Folgezeit als Begründung für Gewinnkorrekturen an - in welchen Fällen die Ereignisse in Amerika tatsächlich der Auslöser für die Einbrüche waren und wo sie nur als willkommene Ausrede dienten, ist nicht zu ermitteln.

Zurückhaltende Geldgeber

Einig sind sich die Experten darin, dass die massive Krise, in der die Branche steckt, nur wenig mit den Attacken zu tun hat. "Die Zusammenbrüche von Medienfirmen hätte es sonst auch gegeben", sagt Bernard Tubeileh, Analyst bei Merrill Lynch. "Der zusätzliche Dämpfer hat die strukturelle Bereinigung höchstens beschleunigt." Die Finanziers der einst boomenden Branche wie Banken und Aktienmärkte seien in der Verunsicherung nach dem Schock noch einmal vorsichtiger geworden, meint sein Kollege Heider von der DZ Bank.

Aber auch er glaubt, dass dies eine vorhandene Entwicklung höchstens beschleunigt, nicht aber ausgelöst hat. Und der Sprecher eines großen Verlagshauses sagt: "Der 11. September ist als Begründung für die Krise der Branche nicht geeignet. Die ist vor allem auf hausgemachte Probleme zurückzuführen, wir haben eben jahrelang über unsere Verhältnisse gelebt."

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