Medien:Der Mann, der "Hans Eichel" war

Wie sich Journalisten und Medienberater einen Sparminister erfanden.

Lutz Hachmeister

(SZ vom 05.11.2003) — Das Image des Hans Eichel ist dort, wo es nach dem Willen seiner PR- und Kommunikationshelfer nie sein sollte: Ganz unten.

Eichel, der "Mogel-Minister". Eichel, Jahrgang 1941, der Kassenwart mit der höchsten Staatsverschuldung seit 1945. Eichel, ein Vasall des angeschlagenen Bundeskanzlers, der Taschenspielertricks verantwortet. Ein Hanswurst.

Dabei war "Hans Eichel" mal eine richtige Charakterrolle. Der Finanzminister dieser Marke sollte der Bevölkerung klarmachen, dass sie über ihre Verhältnisse lebt. Und so nannten ihn die Journalisten liebevoll den "eisernen Hans", den "Sparminator", den "Etatsanierer".

Das Handelsblatt fand 1999, er sei drauf und dran "Finanzministergeschichte zu schreiben - unideologisch, frei von Polemik, ausgewogen, sachbezogen, detailversessen". Die Financial Times Deutschland (FTD) lobte im August 2000, Eichel sei der Mann, "der den fast gekenterten rot-grünen Tanker im Alleingang fast wieder auf Kurs" gebracht habe.

Für solches Presselob war des Ministers Medienberater Klaus-Peter Schmidt-Deguelle zuständig, der einst unter dem hessischen Ministerpräsidenten Eichel Staatssekretär und Regierungssprecher war. Der Medienberater hatte eine neue Erotik des Finanzministers erfunden, für 510 Euro pro Tag, wie später der Bundesrechnungshof missbilligend feststellte.

Diese Rüge allerdings war kleinlich - denn Schmidt-Deguelle, der zugleich Sabine Christiansens zentrale ARD-Politshow beriet, hatte ja die fast geniale Idee gehabt, mit Hilfe von PR und Presse aus den Schwächen des abgewählten hessischen Landeschefs geradewegs dessen Stärke zu machen.

"Ich bin die Spinne im Netz"

Schmidt-Deguelle, früher Chefredakteur von Vox, hielt schon nach kurzer, erfolgreicher Testphase mit seinen Eichel-Erfolgsrezepten nicht hinterm Berg.

Einem studentischen Interviewer der Henri-Nannen-Journalistenschule verriet er, Eichel habe auf Bundesebene als "blass und unerfahren" gegolten, "als bebrillte Büroklammer, mit dem Image eines Sparkassendirektors".

Das sei aber für die Vermittlungsarbeit ein ziemliches Glück gewesen, denn "die Inhalte von Eichels Sparpolitik und seine eigene Ausstrahlung waren ziemlich deckungsgleich, das war für ihn eine große Chance".

Folgerichtig drillte der PR-Stratege seinen Probanden - und die im Geiste deckungsgleiche Journalistenschar - auf einige zitierfähige Symbole: die Sparschweinchen auf dem Schreibtisch des Finanzministers, die Ikea-Einrichtung in dessen Berliner Domizil, die zwei oder drei Anzüge von der Stange, die privaten Jeans.

Schmidt-Deguelle: "Am Ende wird man über Eichels Ära möglicherweise sagen: Er war derjenige, der den größten Reformschub im deutschen Steuersystem auf einmal ausgelöst hat." Und der FTD verriet er: "Ich bin die Spinne im Netz."

So habe er zur mediengerechten Verwendung der Autofans Eichel vorgeschlagen, "sich am Rande des Nürburgrings einmal mit Michael Schumacher zu treffen und sich mit ihm über alles mögliche zu unterhalten".

Bei Sabine Christiansen war "Hans Eichel" dank der Vermittlung von Schmidt-Deguelle neben Guido Westerwelle der mit Abstand meistgefragte Gast. Trotz habichtartiger Kopfbewegungen und flatternden Blicks erntete der Ex-Studienrat den Beifall des Studiopublikums.

Das Herunterrattern von unverständlichen Zahlenkolonnen galt als irgendwie kompetent. Für das Menschliche hält das Fernsehen noch andere Shows bereit, weshalb sich "Hans Eichel" rasch nach Amtsübernahme gelockert bei Verona Feldbusch (Veronas Welt) einfand.

Unvergessen auch, wie bereitwillig der ministerielle Sparer in der öffentlichen Therapiesitzung von Reinhold Beckmann jugendlichen Marihuana-Genuss gestand.

Dieser "Hans Eichel" war nicht als großer Visionär oder Reformer ins Kabinett geholt worden - sondern als "ehrliche Haut", als mediales Gegenbild zum populistischen Ausgabenpolitiker Oskar Lafontaine, der sich in die Büsche geschlagen hatte.

Während der neue Wirtschaftsminister Werner Müller nicht weiter auffiel, konnte "Hans Eichel" mit seinem Ein-Punkt-Programm (Sparen) zum "stillen Star" der rot-grünen Koalition aufgebaut werden. "Eichel ist gleich Sparen, und Sparen ist gut, also ist Sparen gut für Deutschland", umschrieb die Zeit Mitte 2002 mit milder Ironie diese "neue Form der politischen Kommunikation". Mit moderner Finanzpolitik hatte das wenig zu tun.

Bemerkenswert ist die Sache "Hans Eichel", weil Journalisten, Berater und Politiker hier gemeinsam auf einen beispiellosen Trip der Realitätsverleugnung gingen. Hans Eichel, der eigentlich der gemäßigt linken "Lehrer-SPD" entstammt, war Täter und Opfer zugleich.

Als Stadtverordneter, SPD-Fraktionschef und Oberbürgermeister von Kassel, später als hessischer Ministerpräsident, hatte er sich mit der traditionellen Finanz-Kameralistik zu beschäftigen; die verflochtenen Systeme der globalen Wirtschafts- und Finanzpolitik blieben ihm ebenso fremd wie die Verhältnisse auf dem Leitmarkt USA.

Der Mann war für eine durchgreifende Bürokratie-Reform nie zu haben, im Gegenteil: Unter ihm nahm die Unberechenbarkeit des Steuerwesens immer absurdere Formen an. Journalisten hätten vielleicht genauer hinsehen sollen, ob sich die von ihnen gekürte Leuchte des Kabinetts jemals um eine echte Reform des Steuerrechts gekümmert hat.

Wärme aus der Ikea-Lampe

In einem sehr sehenswerten Fernseh-Feature des Wirtschaftsjournalisten Günter Ederer (Das Märchen von der gerechten Steuer) erklärten Finanzbeamte, Steuerberater und selbst Richter des Bundesfinanzgerichtshofs, das existierende Steuerrecht sei für sie selbst und überhaupt niemanden mehr verständlich.

Eichel dagegen fand das alles normal: "Eine komplexe Gesellschaft braucht nun mal ein komplexes Steuerrecht", sagte er trotzig in dieser Sendung. Bei Sabine Christiansen bekannte er fröhlich, auch er verstehe seine Steuererklärung nicht, aber dafür gebe es ja Fachleute.

Stattdessen empfahl er den Leuten, doch bitteschön mehr zu kaufen und die Konjunktur zu beleben. Im Dezember 2002, als seine Medieninszenierung schon bröckelte, gab er in einem Werbemagazin des Finanzministeriums mit dem dämlichen Titel procent sogar Tipps zur persönlichen Finanzplanung - und empfahl ein "Einzelschuldbuchkonto" bei der Bundeswertpapierverwaltung in Bad Homburg.

Vom "Starminister" war da wenig übrig geblieben. Eichel hatte dummerweise in den Abschwung hineingespart. Seit Mitte 2001 war er in der Wirtschaftspresse vereinzelt gescholten worden; die erste Generalabrechnung vollzog dann der Spiegel im November 2002: "Tricksen, Tarnen, Täuschen. Hans Eichel, einst Star der Regierung, ist entzaubert.

Fast wöchentlich muss er seine Zahlen korrigieren, in der Koalition hat er immer weniger zu sagen." Es kamen der blaue Brief aus Brüssel, die Verschiebung der zweiten Stufe der Steuerreform, der "Wahllügenausschuss". In einem Spiegel-Interview vom Dezember 2001 hatte Eichel noch pathetisch verkündet: "Wir werden den Stabilitätspakt auf Punkt und Komma einhalten. Da müsste schon der Himmel einstürzen."

Der Himmel stürzte nicht ein, dafür wurde nun Eichels Medienimage pulverisiert. Er konnte sich nur aussuchen, ob er lieber der Lüge oder Inkompetenz bezichtigt werden wollte. Im Mai 2003 resümierte die FTD, die ihn einst so angehimmelt hatte, die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik stehe vor einem "rauchenden Trümmerhaufen".

Jeder fahrige Talkshow-Auftritt des nun auch friseurtechnisch umgemodelten Hessen wurde zum Negativsymbol für Schröder. "Hans Eichel", das stand jetzt für: Wir sind inkompetent! Wir können es nicht! Wir lügen uns und Euch in die Tasche!

Es ist eine ironische Volte des Köhlerglaubens an Public Relations und Propaganda, dass hier eine völlig uncharismatische Figur auf vermintem Feld zum Popstar der Regierung aufgebaut worden war. Hans Eichel selbst hatte früh die Gefahren eines solchen Laientheaters gesehen. "Wir sind zu hochgejubelt worden.

Das rächt sich irgendwann", ahnte er Ende 2000 im Gespräch mit dem Manager Magazin, das ihn als "Protestanten aus Kassel, der sich im Schein einer Ikea-Lampe wärmt", porträtiert hatte: "Erlischt das Lachen, wird er spitznasig und grau; kriegt wieder sein Steuerprüfergesicht." Analysiert man Eichels Medienauftritte, dann merkt man, wie unwohl und überfordert er sich häufig fühlte, wie sehr er gegen sein wirkliches Ich anspielen musste. Der Medienberater war ihm immer voraus gewesen.

Doch ein Parteisoldat steht auch eine Farce bis zum Schluss durch. "Ich denke nicht an Rücktritt", bekannte Eichel im Focus-Interview im November 2002, als der Kanzler offenbar schon mal damit spielte, ihn fallen zu lassen.

Die jüngste Volte der Inszenierung rund um die Figur "Hans Eichel" besteht nun darin, ihn an die Speerspitze der Steuerreform-Bewegung zu setzen. Man wird also "Hans Eichel", den einstigen Verfechter eines "komplexen Steuersystems", in einer neuen Rolle sehen können: als jemanden, der sich für eine einfache Steuerpolitik stark macht, die der Bürger versteht.

An diesem Mittwoch will er an der Berliner Humboldt-Universität eine wegweisende Rede als "Anwalt der Zukunft" halten. Sabine Christiansen wird auch die neu gestaltete Marionette "Hans Eichel" huldvoll in ihre Sonntagsrunden aufnehmen.

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