Matteo Renzi:Alte Schwäche, neue Schulden

Italy Prime Minister Matteo Renzi makes a face as he talks during a news conference at Chigi Palace in Rome

"Wir müssen wieder Zukunft gestalten": Italiens Premier Renzi würde gerne investieren statt sparen.

(Foto: Tony Gentile/Reuters)

Neuneinhalb Wochen vor dem Referendum setzt der italienische Reformer auf das Wohlwollen der Europäischen Union.

Von Ulrike Sauer, Rom

Diesmal kam Matteo Renzi ohne Slides in den Pressesaal des Palazzo Chigi. Statt der Folien für seine geliebten Powerpoint-Präsentationen hatte Italiens Regierungschef eine Aspirin gegen die Erkältung dabei. Bei einem Treffen im Ferrari-Städtchen Maranello hatte er Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Wochen noch mit einer Slide-Show erheitert. Die beiden verbinde ihr Humor, berichteten Diplomaten über den erfrischenden Teil der Begegnung. Nun ging es in der römischen Nacht weniger vergnüglich zu.

Renzi und Finanzminister Pier Carlo Padoan mussten schweren Stoff vermitteln. Als die beiden ihre Finanzplanung für das kommende Jahr in groben Zügen vorgestellt hatten, war es zehn vor Zwölf. Um Mitternacht lief die Frist ab, vor der Rom das Zahlengerüst an die EU-Kommission in Brüssel abschicken musste. Bis zum Schluss wurde um Spielraum bei der Neuverschuldung gerungen.

Die finanzpolitische Bewegungsfreiheit Roms hat sich nach dem heftigen Abbremsen der italienischen Konjunktur im Frühjahr weiter eingeschränkt. Die Regierung passte sich mit ihrem neuen Plan der Realität an. Sie sieht bedrückend aus. Padoan senkte die Wachstumsprognose für das laufende Jahr von 1,2 Prozent auf 0,8 Prozent ab. 2017 soll die Wirtschaftsleistung nur um 1,0 Prozent zulegen. Im April rechnete der Finanzminister noch mit 1,4 Prozent. Für den Reformer Renzi ist das ein herber Schlag.

Neuneinhalb Wochen vor dem Referendum über die italienische Verfassungsreform, das über Renzis Zukunft entscheidet, geht nun der Kampf um den Haushalt los, unter denkbar ungünstigen Bedingungen. Italiens schwaches Wachstum ist im zweiten Quartal völlig zum Erliegen gekommen. Auch die Arbeitslosenrate sinkt nicht mehr. Die Inflation verharrt auf niedrigem Niveau. Und die großzügigen Flexibilitätsklauseln der europäischen Haushaltsregel kann Renzi nicht noch einmal in Anspruch nehmen. Er durfte in den Jahren 2015 und 2016 mit Brüssels Segen 19 Milliarden Euro mehr ausgeben. Kein Land profitierte so sehr von der Flexibilität.

Nun rechnet die römische Regierung mit einem Defizit im kommenden Jahr von 2,0 Prozent - statt 1,8 Prozent, wie bisher mit Brüssel vereinbart. Zusätzlich erhebt Renzi Anspruch auf eine Sonderausgaben-Erlaubnis für die Kosten des Erdbebens im August in den mittelitalienischen Apenninen und für die Bewältigung der Flüchtlingskrise. "Die Mehrausgaben werden nicht in den Stabilitätspakt eingerechnet", fordert er die EU-Partner heraus. Die Neuverschuldung werde damit 2017 bei 2,4 Prozent liegen. Ziel der expansiven Haushaltspolitik ist es, das Wachstum im kommenden Jahr um 0,4 Prozentpunkte zu steigern. Entscheidend sind für Renzi und Padoan die Investitionen. "Wenn die Reformen abgehakt sind, müssen wir wieder Zukunft gestalten", sagt der Premier. Vor einer Woche stellte Industrieminister Carlo Calenda en Plan "Industrie 4.0" vor. Er soll kräftige Anreize für die Erhöhung der Produktivität schaffen und den Ausbau der Digitalwirtschaft fördern. Calenda will so die in Italien notorisch niedrigen Privatinvestitionen 2017 von 80 auf 90 Milliarden Euro steigern. Die privaten Forschungsausgaben sollen bis 2020 um 11,3 Milliarden Euro wachsen.

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