Massive Einschnitte:Das große Sparen bei der Betriebsrente

Nach der Commerzbank kürzt der Versicherer Gerling für 5000 Mitarbeiter die Pensionsversprechen. Experten sprechen schon von einem Systemwechsel.

Von Simone Boehringer und Stefan Weber

(SZ vom 08.01.04) - Mit der Kündigung der Betriebsrente steht die Commerzbank nicht allein. Auch der Gerling-Konzern hat Einschnitte beschlossen. Einige Experten befürchten nun einen generellen Abbau der betrieblichen Altersvorsorge, Bundessozialministerin Ulla Schmidt sieht sie dagegen weiter wachsen.

Massive Einschnitte: Die betriebliche Altersversorgung, wie sie sich in den einzelnen Branchen durchgesetzt hat.

Die betriebliche Altersversorgung, wie sie sich in den einzelnen Branchen durchgesetzt hat.

(Foto: SZ-Grafik)

5000 Mitarbeiter des Versicherungskonzerns Gerling mussten kurz vor der weihnachtlichen Bescherung schlechte Nachrichten mit nach Hause nehmen: Ihr Arbeitgeber wird ihnen die Betriebsrente um 30 bis 50 Prozent kürzen.

Von den Einschnitten betroffen sind alle inländischen Beschäftigten, die vor 1998 in das Unternehmen eingetreten sind und heute noch keine 60 Jahre alt sind.

Nach Angaben eines Unternehmenssprechers verspricht sich der krisengeschüttelte Konzern davon Einsparungen "in zweistelliger Millionenhöhe".

Brief an die Mitarbeiter

In einem Brief an die Mitarbeiter zur Jahreswende heißt es, "die Neuordnung ist notwendig geworden, weil die Belastungen unserer Bilanz für die bisherigen Pensionsversprechen aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Höhe eine Größenordnung angenommen haben, die die Konzerngesellschaften nicht mehr weiterhin leisten können." Andere Unternehmen würden ähnliche Einschnitte prüfen.

Tatsächlich haben angesichts der anhaltend schwierigen konjunkturellen Lage in den vergangenen Jahren bereits einige Großunternehmen ihre Betriebsrentensysteme kostensparend umstrukturiert.

"Wurden früher in Abhängigkeit vom Gehalt und Dienstalter absolute Deckungszusagen gemacht, wird heute zumeist nur noch eine bestimmte prozentuale Sparleistung vom Verdienst versprochen", erklärt Betriebsrenten-Experte Arthur Birk, Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Bamberg.

Aufwand überschaubar

Dieses neue, so genannte beitragsorientierte System halte den Aufwand für die Arbeitgeber überschaubar, die Arbeitnehmer bekämen aber in der Regel weniger heraus.

Als prominente Beispiele für eine solche Umstellung ihres Pensionssystems nennt der Fachmann Volkswagen, Siemens und BASF.

Nach Birks Schätzungen erreichen die betrieblichen Vorsorgeleistungen heute höchstens noch zehn Prozent des letzten Bruttoverdienstes der Arbeitnehmer.

In der Blütezeit der Betriebsrenten in den 70er und 80er Jahren hätten die betrieblichen Renten bis zu zwanzig Prozent des Gehalts erreicht. Entgegen den sinkenden Summen ist allerdings die Zahl der Arbeitnehmer, die eine betriebliche Altersvorsorge abschließen, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen (Grafik).

Zweites Standbein dank staatlicher Förderung

Nach Angaben von Bundessozialministerin Ulla Schmidt verfügten im März 2003 "dank der verbesserten staatlichen Förderung" 15,3 Millionen Beschäftigte in Deutschland über ein solches zweites Standbein neben der gesetzlichen Rente.

Jeder Arbeitnehmer hat seit Anfang 2002 das Recht, einen Teil seines Gehalts für eine spätere Betriebsrente steuerfrei zurückzulegen.

Im Unterschied zu den früheren Vorsorgemodellen beruhen diese neuen Betriebsrenten allerdings in den meisten Fällen auf der alleinigen Sparleistung der Arbeitnehmer.

Bei den Streichungen von Commerzbank und Gerling handelt es sich dagegen um Pensionszusagen, die Arbeitgeber einst zusätzlich zum Gehalt gemacht haben und größtenteils auch heute noch alleine finanzieren.

Mit zunehmender Lebenserwartung stieg in den vergangenen Jahren die Schar der Betriebsrentner in vielen Firmen drastisch an. Nach Hochrechnungen der Analysegesellschaft SES Research belaufen sich die Rentenverpflichtungen bei den 30 Dax-Unternehmen im Schnitt auf 7,6 Prozent der jeweiligen Lohn- und Gehaltssumme eines Jahres.

Hohe Verpflichtungen

Den größten Pensionstopf haben laut SES DaimlerChrysler mit rund 33 Milliarden Euro und Bayer mit 12,4 Milliarden Euro.

Experten wie Birk oder auch Wolfgang Gehrke, Professor für Bank- und Börsenwesen an der Universität Nürnberg, sind deshalb überzeugt, dass nun viele Unternehmen das Vorpreschen von Commerzbank und Gerling nutzen werden, ihre arbeitgeberfinanzierten Betriebsrenten weiter zusammenzuschrumpfen.

Ein Tabu sein nun gebrochen, intern laufen die Kürzungsdiskussionen schon lange, verlautet es aus arbeitgebernahen Expertengremien. Am Mittwoch meldete sich noch einer der größten Arbeitgeberverbände Deutschlands zu Wort: Betriebsrenten, die der Arbeitgeber finanziere und die sich am letzten Gehalt des Arbeitnehmers orienterten, seien nicht mehr kalkulierbar, sagte der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, Hans Werner Busch, im ZDF.

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