Massentierhaltung:Vollgestopft mit Antibiotika

Die Massentierhaltung funktioniert nur mit hoher Medikamentierung. Und Arzneien gibt es reichlich: Finde ein Tierarzt unter 30.000 Küken ein krankes Tier, reiche das, um alle Tiere vorsorglich mit Antibiotikum zu behandeln, sagt Rupert Ebner, der ehemaliger Vizepräsident der bayerischen Landestierärztekammer.

Jennifer Lange und Silvia Liebrich

Der rücksichtlose Umgang mit Hühnern, Schweinen oder Puten bringt Massentierhalter und Fleischkonzerne zunehmend in Verruf. Heftige Kritik kommt nun aus dem Kreis der Tierärzte. Rechtsverstöße und massiver Missbrauch von Medikamenten wie Antiobiotika und Aspirin seien an der Tagesordnung, auch die Pharmaindustrie sei daran beteiligt, sagte Rupert Ebner, ehemaliger Vizepräsident der bayerischen Landestierärztekammer, im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "In neun von zehn Praxen, in denen ein Landwirt den Tierarzt um eine Flasche Penicillin bittet, bekommt ein Tierhalter das Medikament sofort - auch ohne Untersuchung".

Das System der Massentierhaltung lasse sich nur durch die hohe Medikamentierung der Tiere aufrechterhalten, so Ebner. Finde ein Tierarzt unter 30.000 Küken ein krankes Tier, reiche das, um alle Tiere vorsorglich mit Antibiotikum zu behandeln. "Oft schreibt der Tierarzt sogar bewusst eine falsche Diagnose aufs Papier, um eine legale Anwendung mit dem Antibiotikum vorzutäuschen." So stimmen Gesetze und Belege überein. Ebner ist praktizierende Tierarzt mit 30 Jahren Berufserfahrung und kennt die Gepflogenheiten seiner Branche. Vor zweieinhalb Jahren warf er seinen Job bei der Landestierärztekammer hin, weil er dem nicht mehr zusehen wollte.

Risikosystem Massentierhaltung

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) prangert ebenfalls den Missbrauch von Medikamenten an. Knapp 800 Tonnen Antibiotika wurden 2005 in der Nutzviehhaltung verwendet, erheblich mehr als in der Humanmedizin. "Das Erschütternde ist, dass diese Zahlen so alt sind", sagt Reinhild Benning, Agrarexpertin des BUND. Neuere Zahlen gibt es nicht. "Die Bundesregierung stützt das Risikosystem Massentierhaltung, indem sie scheinbar gar nicht wissen will, welche Antibiotika in welcher Menge eingesetzt werden. "

Aspirin und Antibiotikum werden nach Ebners Angaben massenhaft verschrieben. Meistens unnötig und nur mit dem Hintergedanken, das anfällige System der Massentierhaltung am Laufen zu halten. Unter Betäubung könne ein Huhn die Schmerzen an den entzündeten Fußballen eben leichter aushalten. Auch viele Impfungen seien unnötig. In den Schweinebeständen werde etwa gegen eine Krankheit geimpft, die ein normales Schwein ohne Probleme aushalten würde. Aber eben nicht unter den Bedingungen in einem Massenbetrieb.

Den Missbrauch von Arzneien zu kontrollieren, sei fast nicht möglich, meint Ebner. "Der Tierarzt sollte den Landwirt beraten, den Tieren möglichst wenig Medikamente zu geben." Tatsächlich lebe der gesamte Berufsstand aber von den verschriebenen Medikamenten. Für die Beratung gebe es keinen Cent. "Die Beratung des Arztes muss von der Abgabe der Medikamente an den Landwirt getrennt werden", fordert Ebner. Die großen Kongresse der Tierärzte seien nur durch die Mithilfe der Pharmakonzerne möglich, kritisiert er. Die Abhängigkeit der Ärzte von der Pharmaindustrie sei riesig.

Viele Tierärzte wagen es nicht, aus diesem System auszusteigen. Diejenigen, die Fehler anprangern, geben laut Ebner oft schnell auf. "Nehmen Sie eine junge Veterinärin, die gerade ihren ersten Tierschutzfall hat. Sie lässt sich von einem Juristen zum Hof begleiten, stellt ein Vergehen fest und stellt Strafanzeige. Doch nichts wird passieren", sagt Ebner. Die Gegenseite könne sich den besseren Rechtsanwalt leisten. Am Ende stehe sogar noch die junge Veterinärin als Schädigerin des Betriebes da. Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz seien an der Tagesordnung. "Im Prinzip gibt es überhaupt keine Praxis, die legal arbeiten kann, möchte sie wirtschaftlich überleben", sagt Ebner.

In Deutschland formiert sich der Widerstand gegen die industrielle Massentierhaltung. Bürgerinitiativen versuchen den Neubau von Anlagen zu verhindern, auch weil die Umweltverschmutzung durch Großbetriebe der Viehhalter zunimmt. Kaum eine Branche in Deutschland ist so intransparent. Umweltverbände und Tierschützer fordern die Bundesregierung zum Handeln auf.

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