Massenflucht zur Konkurrenz:Liebesentzug für Vattenfall

Der Störfall im Atomkraftwerk Krümmel treibt die Verbraucher auf die Barrikaden. In Scharen verlassen sie den Betreiber Vattenfall - und wechseln zu den Öko-Anbietern.

Der Störfall im Atomkraftwerk Krümmel hat die Kunden auf die Barrikaden getrieben - und in die Arme der Konkurrenz. Denn seit Anfang Juli haben mehrere tausend Verbraucher dem Betreiber Vattenfall den Rücken gekehrt und sind zu unabhängigen Ökostrom-Anbietern gewechselt, berichtet das Hamburger Abendblatt. Die Kunden wollten Vattenfall die rote Karte zeigen, sagte ein Sprecher von Greenpeace Energy.

Vattenfall, Atomkraftwerk Krümmel, getty

Pannen-Atomkraftwerk Krümmel: Dem Betreiber Vattenfall laufen die Kunden davon.

(Foto: Foto: getty)

Beim Ökostromanbieter Lichtblick stieg die Zahl der Neukunden in den ersten Tagen nach dem Störfall um rund 70 Prozent von 300 auf 500 pro Tag, sagte ein Sprecher. Die meisten Kunden hätten ihren Anbieter per Internet gewechselt. Diejenigen, die angerufen hätten, seien "sehr wütend" auf Vattenfall.

Greenpeace Energy verzeichnete in den ersten Tagen sogar eine Verdopplung der Kunden, mittlerweile seien es mit 100 pro Tag sogar dreimal soviele wie vor dem Störfall in Krümmel, sagte ein Sprecher. Am Dienstag könnte die Zahl der Neukunden sogar auf 150 steigen. "Es geht noch steil bergauf."

Enttäuschte Kunden

In einer kleinen Umfrage unter 50 Kunden im Raum Hamburg hätten 40 gesagt, der Störfall sei der Anlass für den schon länger geplanten Wechsel zum Ökostrom-Anbieter gewesen, acht hätten den Störfall als Grund für die Vattenfall-Kündigung angegeben, sagte der Sprecher.

Die Neuzugänge seien "ganz klar die Krümmel-Welle". Greenpeace Energy wirbt seit vergangener Woche mit dem Slogan "Klicken gegen Krümmel" für einen Wechsel. Auch der Anbieter Naturstrom verzeichnet dem Bericht des Hamburger Abendblatts zufolge derzeit täglich 30 Prozent mehr Verträge.

Auch bei der Verbraucherzentrale Hamburg gehen zahlreiche Anrufe von enttäuschten Kunden ein. Viele wollten wissen, wie sie ihren Anbieter wechseln können. Die Verbraucherschützer raten, zu einem konzernunabhängigen Anbieter zu wechseln: Aus der Steckdose komme zwar das Gleiche, da alle Versorger ihren Strom in das Netz einspeisen und dieser Strommix in den Haushalten lande.

Verbraucher, die den Anteil erneuerbarer Energien steigern wollten, können sich aber einen Anbieter aussuchen, der ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien bezieht und somit durch seine Nachfrage die Erweiterung der Produktionskapazitäten in Neuanlagen fördert.

Dass Ökostrom nicht teurer als Atomstrom sein muss, zeigen Berechnungen des Verbraucherportals Check24. Häufig sei Ökostrom sogar günstiger als der Grundversorgungstarif. Das Portal hat die Grundversorgungstarife der vier großen Anbieter Eon, RWE, EnBW und Vattenfall mit dem jeweils günstigsten Ökostromtarif im Versorgungsgebiet verglichen.

Bei einem angenommenen Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden - für eine vierköpfige Familie - können Verbraucher demnach bei einem Wechsel zu Ökostrom im Schnitt 190 Euro sparen. In der Spitze waren es demnach sogar 282 Euro pro Jahr.

Vattenfall: "Noch keine Erkenntnisse"

Vattenfall selbst wollte die Abwanderung der Kunden zunächst nicht bestätigen. "Wir haben leider noch keine Erkenntnisse", sagte eine Sprecherin.

Beim Stromwechsel müsse der Kunde seinen Vertrag nicht kündigen, sondern melde sich bei dem neuen Anbieter an. Dieser übernimmt dann die Ummeldung, die etwa sechs Wochen dauern kann. Vattenfall werde daher erst im August Angaben zu abgewanderten Kunden machen können.

Beim Kundenservice des Unternehmens sei eine "verschwindend geringe Anzahl" von Anrufen zum Störfall in Krümmel eingegangen, sagte die Unternehmenssprecherin. Die Zahl habe im kleinen einstelligen Prozentbereich gelegen.

Krümmel hatte sich am 4. Juli nach einem Transformatorschaden selbst abgeschaltet. Vattenfall betreibt das Atomkraftwerk gemeinsam mit dem Energiekonzern Eon.

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