Martelli:Bärte, die begeistern

Martelli: Gino ist Kult, sein glattes Gesicht nicht mehr: Die Marke Proraso profitiert vom pflegebewussten Mann.

Gino ist Kult, sein glattes Gesicht nicht mehr: Die Marke Proraso profitiert vom pflegebewussten Mann.

(Foto: oh)

Der italienische Familienbetrieb nutzt den zurückgekehrten Kult um den Bart und betreibt mit schräger Werbung globale Expansion.

Von Ulrike Sauer, Florenz

An Gino führt kein Weg vorbei. Schon im Firmenfoyer lächelt der Jüngling mit den weiblichen Zügen von der Wand. Grüne-blaue Augen, Unterhemd, die linke Hand am glatten Kinn, in der rechten ein Töpfchen Proraso. Gino bewirbt die Rasiercreme. Wunder! Überraschend! Außerordentlich! Die sensationsheischende Reklame machte Geschichte im Italien der Fünfzigerjahre, heute dient sie im Wandkalender als Erinnerung an alte Zeiten.

Erfinder der Marke Proraso ist Piero Martelli, Erbe eines 1908 in Florenz gegründeten Parfümerievertriebs. In seinem Labor entwickelte Martelli zunächst eine vor und nach der Rasur aufzutragende Creme. Das war im Jahr 1948. Eine Zeit des Neuanfangs, der Hoffnung - das sollte auch das Produkt ausdrücken, das Menthol und Eukalyptusöl enthielt. Nun, knapp 70 Jahre später, sind Bartpflege-Artikel plötzlich wieder hip. Und so kurbelt Martellis Enkelin den Absatz wieder an, in Italien und im Ausland. 1,5 Millionen Euro steckt Stefania Martelli jährlich in Werbekampagnen.

Der propere Gino spielt dabei keine Rolle mehr. An der Glaswand ihres Büros hängen zwei Markenbotschafter des neuen Zeitgeistes: Robert, exzentrischer Inhaber des New York Barbershop in Rotterdam. Und Petra, blonde Barbierin aus Amsterdam. Sie gehören zu ausgewählten Handwerkern aus aller Welt, die als Profikunden des Florentiner Labels in Szene gesetzt werden. "Wenn Barbiere, die nicht aus der italienischen Rasiertradition kommen, unsere Produkte benutzen, bürgt das besser als alles andere für deren Qualität", sagt Martelli. Doch aus den Spots spricht mehr: Die Typen im Vintage-Ambiente sind Ausdruck eines neuen Männerkults. Die aktuelle Bart-Begeisterung hat das Aufleben eines fast vergessenen Berufs befeuert. Täglich machen neue Herrensalons auf.

Es geht nicht einfach um eine Mode - der Bart wird zum Zeichen sozialen Wandels stilisiert

Was plötzlich in die Männer gefahren ist, beschreibt die promovierte Ökonomin Martelli so: Der Mann entdeckt sich selbst. Er will sich pflegen, sich um sich kümmern. Und er sucht einen Rückzugsort. "Das kam vielleicht, weil Frauen heute überall dabei sind, im Job, in der Politik, im Sport", mutmaßt Martelli, 40. "Die Rasur öffnet Männern den Zugang zur Kosmetik, ohne sie der Gefahr der Verweiblichung auszusetzen." Im Gegenteil: Der Bartwuchs ist ein Ausweis der Männlichkeit.

Die Rede ist hier nicht von einer Mode. Es geht um einen sozialen Wandel - entsprechend umfassend reagiert die Geschäftswelt. Dank der Vollbartwelle, von Trendsettern in Amsterdam und Hollywood angeschoben, waren auf einmal wieder Profis gefragt. Vor allem in Holland und den USA habe man das Potenzial früh erkannt.

In Fiesole, auf dem grünen Hügel oberhalb der Renaissance-Stadt Florenz, erfreuen sich die Rasierbedarf-Hersteller an der Wiedergeburt des alten Gewerbes. Sie belebt ihr Geschäft. Zwar entfällt nur ein Drittel der 46 Millionen Euro Umsatz auf die Marke Proraso, der Nummer eins in Italien. Der Exportanteil ist mit 12,6 Prozent noch bescheiden. Doch der Verkauf im Ausland zog 2015 um 60 Prozent an.

Früher war ein Bart etwas für Faule, für Revoluzzer, für Hippies, für Unangepasste und lang davor für Patriarchen. Heute ist der akkurat gepflegte Haarwuchs im Gesicht etwas für Hipster. Für Niccolò Scala zum Beispiel. Der Unternehmer aus Montevarchi, eine Autostunde südlich der toskanischen Hauptstadt, sitzt im Barbershop in Florenz und betrachtet im Spiegel das Restyling seines rotblonden Vollbarts. Er hat strahlende Augen wie Gino, trägt den klassischen Pompadour-Haarschnitt aus den Fünfzigerjahren, kurzes Seitenhaar, langes über den Kopf nach hinten gekämmtes Deckhaar. Rockabilly-Stil, mit Geheimratsecken und einem Tattoo am linken Puls. "Wir nehmen uns zu wenig Zeit, das ist das Problem von uns Männern, wir denken nur an die Arbeit", sagt er. Vor sieben Monaten ließ er sich den Bart wachsen. Die Familie nörgelt seither. Männer sind seltsam, sagt Scala. Er ist 44 und wollte eine Veränderung ausdrücken.

Stört es ihn nicht, sich dem Konformitätsdruck eines Modetrends zu beugen? "Nein, im Gegenteil, ich fühle mich gut dabei", sagt er. Scala gönnt sich jetzt alle 14 Tage eine halbe Stunde Wellness bei Valerio. Valerio Imperiale, 29, Sizilianer und Friseur in vierter Generation, ist Prorasos Event-Barbier und Tester. Vor zwei Jahren hat er in Florenz den Salon Blues Barber aufgemacht. 100 Quadratmeter, vier Kippstühle, vier Barbiere, klasse Stimmung. Der Laden läuft blendend. 60 Kunden am Tag, ein Vollbartschnitt mit warmen Tüchern kostet 16 Euro, ein Haarschnitt 24 Euro. Blues Barber ist auf zwei Wochen ausgebucht.

Imperiale hat mit 13 Jahren angefangen, nachmittags nach der Schule. 15 Jahre arbeitete er mit den Eltern zusammen. Dann wurde es ihm zu eng. Er wollte zeigen, wer er ist. Niemand verstand, dass er sich nach einem Salon sehnte, wie ihn die sizilianischen Emigranten im Amerika der Prohibition ausstatteten. Nun arbeitet Valerio in einer original Zwanzigjahre-Einrichtung aus New York. Martin Scorsese drehte seine Serie "Boardwalk Empire" darin.

Die Bart-Welle förderte ein neues Bewusstsein. Denn ein behaartes Gesicht verlangt mehr Sorgfalt als glatt rasierte Wangen. "Bart gleich Nachlässigkeit, diese Mauer haben wir durchbrochen", sagt Valerio. Man greift nun zu Pflegeprodukten für die Haut darunter, zu Spezialshampoos, zu Ölen für Geschmeidigkeit und Glanz.

Stefania Martelli freut das: "Wir leben vom Bart, egal ob rasiert oder lang". Ist die Mode vorüber, bleibt die Selbsterfahrung beim Barbier zurück. Wichtig sei allein, dass Männer das Rasieren nicht als tägliche Last, sondern als etwas Angenehmes erlebt hätten. "Den Morgenritus mit Pinsel und Seife zu genießen, entspricht dem italienischen Verständnis von Luxus", sagt Martelli.

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