Marktforschung:Durchfragen zum Erfolg

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Christopher Kahler, zweiter von rechts, und sein Team in London. (Foto: C.Kahler (OH))

Wie drei Österreicher mit ihrer Firma von London aus etablierten Marktforschern Konkurrenz machen. Sie haben beim EU-Referendum sogar den Sieg des Brexit-Lagers vorausgesagt und damit auch Geld verdient.

Von Björn Finke, London

Christopher Kahler öffnet seinen Laptop. Auf dem Bildschirm eine Weltkarte. In Großbritannien blinken gelbe Punkte. "Das sind Menschen, die gerade an einer unserer Umfragen teilnehmen", sagt der Gründer und Chef der Londoner Meinungsforschungs-Firma Qriously. Dann tippt der Österreicher eine neue und nicht ganz ernst gemeinte Frage ein: Wer würde in einem Kampf gewinnen - Chuck Norris, der amerikanische Action-Filmstar, oder ein Ninja? Sekunden später gehen bereits die ersten Antworten ein, neben der Weltkarte bauen sich zwei Balken auf und geben an, wie viele Menschen für Norris oder für den Ninja gestimmt haben.

Das 2010 gegründete Unternehmen kann seinen Kunden Umfrage-Ergebnisse in kürzester Zeit liefern. Klassische Marktforschungs-Firmen rufen Bürger zu Hause an, sie schicken Mitarbeiter in Fußgängerzonen, oder sie lassen ein Panel von Verbrauchern ihre Meinung zu Produkten und Parteien kundtun. Das dauert und ist teuer. Qriously hingegen kauft Werbebanner in Apps, den Programmen, die auf Handys und Tablets laufen. Statt Reklame für ein Auto oder eine Bank erscheint eben eine Frage. Klickt der Nutzer darauf, öffnet sich ein Fenster mit weiteren Fragen. Eine Belohnung erhalten die Teilnehmer nicht.

"Ich selbst schaue ganz selten auf Werbeanzeigen in Apps", sagt Kahler. "Es klickt auch nur ein sehr kleiner Prozentsatz von Nutzern auf unsere Fragen." Da Qriously die Banner aber auf sehr vielen Geräten anzeigen lasse, kämen trotzdem genügend Antworten zusammen, sagt der 36-Jährige. Das Unternehmen erwirbt die Werbeplätze in den Apps über Anzeigen-Börsen. Das biete Zugang zu 1,5 Milliarden Geräten weltweit, sagt Kahler. Die meisten Umfragen erreichten 1000 bis 5000 Antworten. Die Ergebnisse werden noch gewichtet, also angepasst, damit sie etwa mit Blick auf Alter und Geschlecht repräsentativ für die Bevölkerung sind.

Das junge Unternehmen, das 17 Millionen Dollar bei Investoren eingesammelt hat, lag bei wichtigen Ereignissen richtig. Qriously sagte den Sieg des Brexit-Lagers im EU-Referendum voraus, und bei den britischen Neuwahlen im vergangenen Juni hatten die Londoner die überraschenden Zugewinne für Labour korrekt prognostiziert. "Dass wir beim Brexit recht hatten, war eine wirklich große Sache für uns", sagt Kahler. "Viele hatten uns vorher für verrückt erklärt." Das Team profitierte auch finanziell. "Zum Spaß hatten wir zusammen bei einem Wettbüro ein paar Hundert Pfund auf den Brexit gesetzt", sagt er.

Der Prognoseerfolg beim Brexit weckte das Interesse von Hedge-Fonds, von Spekulanten. "Viele große Hedge-Fonds sind jetzt unsere Kunden", sagt Kahler. Außerdem ordern Unternehmen - darunter deutsche - und Behörden Umfragen; der Umsatz bewege sich im mittleren einstelligen Millionenbereich, sagt der Ingenieur.

Kahler empfängt in einem leeren Büro in einem Gründerzentrum im hippen Osten der Stadt. "Wir ziehen gerade um, das Team packt im alten Büro zusammen", sagt er. Die Firma hat inzwischen 20 Mitarbeiter. Eigentlich hatten der Österreicher und seine zwei Mitgründer - frühere Kommilitonen von der TU Wien - andere Pläne: Sie ließen sich in Shanghai nieder, um ein soziales Online-Netzwerk für Chinesen aufzubauen. Da der Durchbruch ausblieb, begannen sie, Apps zu programmieren, etwa für die Fotobearbeitung auf dem Handy.

Die Gründer fanden die Werbebanner in ihren Apps hässlich und probierten andere Anzeigenformen aus. Das Trio stellte dabei fest, dass überraschend viele Nutzer Fragen anklicken: Die Idee für Qriously war geboren. Die erste Frage, die sie 2010 mit einer frühen Version des Qriously-Systems auf Werbebanner schickten, war die nach Chuck Norris und dem Ninja.

Die Österreicher wollten das Unternehmen in Wien aufbauen, doch Investoren auf dem europäischen Festland hatten kein Interesse. Darum suchten sie in London Unterstützer. "Wir waren drei Jungs, die sich eine Wohnung teilten und bloß eine Idee hatten. Ob dahinter ein Geschäft steckt, konnten wir nicht belegen", erinnert sich Kahler. Trotzdem waren Investoren in London angetan. Die Firma erhielt ihre Startfinanzierung und zog dorthin.

Kahler sagt, dass seine Umfragen nicht nur schneller und billiger seien als die der etablierten Marktforscher, sondern auch genauer. Denn die Teilnehmer bei Qriously spiegelten den Durchschnitt der Bevölkerung oder der angepeilten Kundengruppe besser wider als Verbraucherpanels oder jene Bürger, die bei Telefonumfragen abheben. Bei Qriously legt ein ausgefeiltes Programm fest, auf welchen Handys die Frage im Werbebanner zu sehen sein soll. Haben bereits viele Männer geantwortet, bucht das Programm mehr Banner in Apps, die erfahrungsgemäß meist von Frauen genutzt werden. Das erhöht die Chance, dass die nächsten Antworten von Frauen stammen. Ähnlich wird bei Eigenschaften wie Alter, der Einkommensklasse oder dem Aufenthaltsort verfahren. Die Banner werden in den Apps sofort nach dem Buchen angezeigt.

© SZ vom 14.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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