Margrit Kennedy:"Kreditnehmer sind die neuen Sklaven"

Kapitalismus-Kritikerin Margrit Kennedy über die Ungerechtigkeit von Zinsen, die Ursachen der Krise und wieso der Euro Konkurrenz braucht.

M. Ruhland

Die Architektur-Professorin Margrit Kennedy, 69, ist Vordenkerin der Regionalwährungen in Deutschland. Ihr Buch "Geld ohne Zinsen und Inflation" wurde in 22 Sprachen übersetzt. Kennedy hält das Finanzsystem für krank.

Margrit Kennedy: Der Aufwand für Regionalwährungen ist enorm, dennoch gibt es mittlerweile in über 30 deutschen Regionen Alternativgeld.

Der Aufwand für Regionalwährungen ist enorm, dennoch gibt es mittlerweile in über 30 deutschen Regionen Alternativgeld.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Frau Kennedy, haben Sie Mitleid mit den Menschen, die durch den Kollaps des Immobilienmarktes in den USA Haus und Hof verloren haben? Viele schlafen in ihren Autos, weil sie nicht mal mehr eine Mietwohnung bekommen.

Margrit Kennedy: Mir tun die Leute in der Tat leid. Für mich sind das aber nur die Vorboten einer auf uns zukommenden Welle von Pleiten, Pech und Pannen, die zu dem Kardinalfehler in unserem Geldsystem gehören und im Laufe der Geschichte immer wieder aufgetaucht sind. Insofern war das vorauszusehen.

SZ: Sie predigen seit vielen Jahren, dass das Geldsystem zwangsweise zur Katastrophe führen muss. Also ist auch ein wenig Genugtuung dabei?

Kennedy: Nein. Ich wünschte mir eher, dass ich dazu hätte beitragen können, das Dilemma zu vermeiden. Manchmal beschleicht mich das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, weil die Leute Recht behalten haben, die sagen, dass sich der Mensch nicht nach seinem Verstand richten kann. Kurzum: Wir sind einfach zu blöde.

SZ: Das klingt nach Resignation...

Kennedy: ...soll es aber nicht. Mich macht es gleichzeitig froh, dass die Botschaft aus den alternativen Kreisen herauskommt und sich immer mehr Wissenschaftler mit dem Thema auseinandersetzen. Inzwischen gibt es sehr heftige Kritik von hochkarätigen Leuten an dem gesamten ökonomischen System.

SZ: Woran krankt es?

Kennedy: Zum einen am Neoliberalismus mit seinem Privatisierungswahn und dem Dogma, dass sich der Staat möglichst nicht einmischen soll und alles sich auf einem angeblich freien Markt wunderbar regelt. Dieses Paradigma ist zwar völlig überholt, aber es wird immer noch danach gehandelt.

SZ: Wut und Angst - das sind starke Gefühle, die Sie in Ihren Büchern im Zusammenhang mit unserem, wie Sie es nennen, "pathologischen Wirtschaftswachstumszwang" verbinden. Was macht Sie so wütend?

Kennedy: Was mich wütend macht, ist, dass es eigentlich so einfach zu verstehen ist: Das exponentielle Wachstum, das durch unser Geldsystem angeheizt wird, ist auf Dauer nicht durchzuhalten auf einem endlichen Planeten. Das kann man jedem einigermaßen intelligenten Menschen mit Volksschulabschluss in fünf bis zehn Minuten erklären.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso für Margrit Kennedy der Großteil der Menschen bei spekulativen Transaktionen nur verlieren kann.

"Kreditnehmer sind die neuen Sklaven"

SZ: Dann versuchen Sie es doch bitte mal in wenigen Sätzen.

Kennedy: Es ist schlicht und einfach so, dass heute nichts finanziert werden kann, was nicht mindestens den Zins erwirtschaftet, den man bei der Bank zahlt, um einen Kredit aufzunehmen. Es geht immer um Zins und Zinseszins.

SZ: Was ist denn so schlimm daran?

Kennedy: Vermögen verdoppeln sich in regelmäßigen Abständen und wachsen in kurzer Zeit in astronomische Bereiche. Damit kann kein Wachstum in der Natur mithalten - außer dem Krebs. Wir haben ein System, dessen Hauptziel es ist, mehr Geld aus Geld zu machen. Die internationalen Finanzmärkte sind darauf ausgerichtet, das exponentielle Wachstum über spekulative Transaktionen für einige wenige zu nutzen. Die große Menge der Menschen zahlt drauf.

SZ: Wieso? Es kann doch beinahe jeder sein Glück mit Aktien versuchen.

Kennedy: Tatsache ist, dass 80 Prozent der Menschen mehr als doppelt so viele Zinsen zahlen, als sie je selbst erhalten - und zwar über Preise, in denen Zinsanteile enthalten sind.

SZ: Sie meinen Güter des Alltags wie zum Beispiel Lebensmittel?

Kennedy: Wenn wir auf unseren Produkten eine Auflistung hätten, wie viel die Rohstoffe kosten, wie viel die Arbeit und wie viel der Bankkredit - dann würde man sehen, welchen riesigen Anteil der Zins ausmacht. Wenn man dazu noch die Zinsen in den Steuern dazurechnet - der Staat ist ja der am höchsten verschuldete Gläubiger - dann kommt man zu dem Ergebnis, dass 50 Prozent dessen, was wir heute ausgeben, Zinsen sind.

SZ: Das trifft doch alle gleichermaßen.

Kennedy: Nein. Höchstens zehn Prozent profitieren, die aber hervorragend.

SZ: Die bloße Gier nach Geld ?

Kennedy: Geld ist ein Suchtmittel. Neben Sexismus und Rassismus gibt es "Pekunismus", Geldgier. Den Sexismus haben wir illegalisiert, den Rassismus bekämpft. Den Pekunismus erachten wir noch als legal. Eine Geldaristokratie beherrscht die Welt. Alles fließt jenen zu, die ihr Geld verleihen können. Die Masse der Kreditnehmer sind die neuen Sklaven, die leider ihre Ketten nicht sehen.

SZ: Sie sind ja als Architektin nicht gerade berufen, die Zusammenhänge über Geld zu ergründen.

Kennedy: Ich habe mehr als nur Architektur studiert. Meine Doktorarbeit machte ich im Fachbereich Öffentliche und Internationale Angelegenheiten der Universität von Pittsburgh, und zwar an einer Schule, die von den Gründern des Marshallplans ins Leben gerufen wurde. Ich betrachte das Geld tatsächlich als öffentliche und internationale Angelegenheit und nicht als rein ökonomische.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso ein veränderter Zugang zu Geld für Margrit Kennedy dringend notwendig ist.

"Kreditnehmer sind die neuen Sklaven"

SZ: Es gibt seit Jahren einen bunten Strauß an Sonnenenergie-, Windkraft- und Biomassefonds. Sind das alles Scharlatane, weil sie mit Renditen werben?

Kennedy: Ich bezeichne jeden Schritt zu einem bewussteren Umgang mit dem Geld und gerade im Hinblick auf ökologische Anlagen als einen Schritt in die richtige Richtung. Die Leute sind in der Regel auch bereit, für ein gutes Gewissen etwas geringere Renditen hinzunehmen.

SZ: Geldvermehrung ist also in Ihrem Weltbild nicht per se schlecht, wenn es nur der guten Sache dient?

Kennedy: Richtig. Ich bin heute der Meinung, dass wir das Zinsthema nie ganz aus der Welt schaffen werden, weil es irgendwo immer eine Möglichkeit geben wird, Zinsen zu erwirtschaften. Was wir aber brauchen, ist ein anderer Zugang zu Geld. Wir müssen lernen, dass es andere Möglichkeiten gibt, Geld zu benutzen und Geldentwürfe umzusetzen. Zum Beispiel solche, die Bildung fördern, Ökologie, soziale Projekte.

SZ: Nennen Sie ein Beispiel.

Kennedy: Überzeugend ist das Fureai-Kippu-System in Japan. Jüngere Menschen, die bereit sind, für ältere Pflegeleistungen zu erbringen, bekommen vom Staat Stundengutschriften. Diese können sie später für sich selbst oder für ihre Eltern oder Freunde verwenden. Das bestechend Einfache daran: Eine Stunde ist eine Stunde ist eine Stunde - ein völlig inflationssicheres Geld also. Interessant ist, dass die Japaner sich mittlerweile lieber für einen der freiwilligen "Stundenkräfte" als für professionelle Dienstleister entscheiden, weil Erstere eine größere Motivation mitbringen. Das ist wie eine ergänzende Währung zum Yen und stärkt nebenbei die Gemeinschaft.

SZ: Doppelte Kasse, doppelte Bücher: Der Aufwand für Regionalwährungen ist enorm. Kritiker wie der Ex-Bundesbankvolkswirt Gerhard Rösl werfen Ihnen vor, Sozialromantik für Besserverdienende zu betreiben. Kratzt Sie das?

Kennedy: Herr Rösl hat insofern Recht, als sich Komplementärwährungen wie der Regio sich mit der Effizienz des Euro nicht messen können. Was er nicht sieht, ist, dass die einseitige Optimierung in Richtung Effizienz die Stabilität eines komplexen Systems - und als solches kann man unser Währungssystem begreifen - verringert und es eher zu Krisen kommt. Was dem System fehlt, um nachhaltig oder krisensicher zu werden, ist mehr Vielfalt. Herr Rösl hat also noch Einiges dazuzulernen.

SZ: Es gibt mehr als dreißig Regionalwährungen, noch mal so viele befinden sich in Gründung. Dennoch ist das im Umlauf befindliche Geld mit ein paar Hunderttausend Regio verschwindend gering verglichen mit den rund 155 Milliarden Euro in der Bundesrepublik.

Kennedy: Für mich sind die Regios ein Beweis dafür, dass es Menschen gibt, die verstehen, dass es anders laufen muss. Jede Bewegung hat klein angefangen. Und es zeigt Wirkung: So viele Anfragen, über das Geldthema zu reden wie jetzt, bekam ich noch nie.

SZ: Utopien gibt es, seit es Menschen gibt. Das Wesen der Utopie ist es, dass die Wirklichkeit sie stets konterkariert. Gibt es eine reelle Chance, dass die Masse umdenkt?

Kennedy: Wir sind als Menschheit gerade dabei, einen riesigen Entwicklungssprung zu tun. Diese Krise, welche die herkömmliche Ökonomie nicht vorausgesehen hat und für die sie bisher auch keine wirklich systemverändernden stabilisierenden Maßnahmen vorschlagen kann, wird in kurzer Zeit alle theoretischen Grundlagen erschüttern und damit ermöglichen, neue Wege zu gehen. Das Thema Geld ist ein wichtiger Teil dieses Bewusstseinswandels. Entweder wir ändern unsere Strukturen und unser Denken, oder wir werden als Spezies schlicht nicht überleben.

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