Manuel Valls:Alarmruf an Europa

Frankreichs Regierungschef warnt auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel, das große Friedensprojekt Europa könnte zerbrechen. Andere finden optimistischere Worte.

Von Leo Klimm

Wenn die Zeiten unsicher sind, ist Manuel Valls in seinem Element. Nicht umsonst hat Frankreichs Premierminister seinen Aufstieg zum Spitzenpolitiker einst als Sicherheitsexperte bestritten, als sozialdemokratischer Sheriff. Es stört Valls also keineswegs, dass er wegen des Berlin-Besuchs des US-Präsidenten zwischen Wasserwerfern und Mannschaftswagen der Polizei hindurchspazieren muss, um zum SZ-Wirtschaftsgipfel zu gelangen.

Im Gegenteil, die Kulisse passt irgendwie zur düsteren Botschaft, die Valls gleich an sein Publikum richten wird: Die Zeiten sind ernst. Schlimmer noch: "Europa kann sterben." Europa - das große Einigungsprojekt, das dem Kontinent Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand beschert hat - könne auseinanderbrechen. "Entscheiden in unsicheren Zeiten" lautet das Motto des SZ-Wirtschaftsgipfels. Valls setzt gleich den Ton.

Die Beben, die Europa und die Welt erschüttern, beherrschen das Treffen der Wirtschaftslenker in Berlin. Erst der Brexit, dann die Trump-Wahl in den USA. Und in Frankreich, so malt Valls das Schreckensszenario weiter, steht der rechtsextreme Front National vor der Präsidentenwahl im Frühjahr "vor den Toren der Macht". Populisten allenthalben, die offene Gesellschaften und offene, vernetzte Volkswirtschaften bekämpfen. Valls' These ist schlicht: Die Globalisierung der Wirtschaft produziere Verlierer, die Digitalisierung produziere "Disruption", und zwar nicht nur positive. Das führe zum Auseinanderdriften nicht nur innerhalb westlicher Gesellschaften, sondern bedrohe auch Europa als Ganzes. "Ich sehe doch, wie sich Deutsche und Franzosen voneinander abwenden", sagt Valls.

Mit seinem Pessimismus steckt Valls die Zuhörer an. Eine Blitzumfrage per App unmittelbar nach dem Auftritt des Premierministers zeigt es. Auch die Unternehmenslenker und Experten, die gleich nach Valls miteinander diskutieren, folgen Valls zunächst: "Die Menschen fühlen sich abgehängt", sagt Tim Clark, der britische Chef der Fluggesellschaft Emirates. "Wir in Europa sind nicht immun", warnt Valls' Landsmann Charles-Edouard Bouée, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger. Für einen Augenblick wirkt die in Berlin versammelte Wirtschaftselite, als zweifle sie - wenn nicht am Kapitalismus, so zumindest an der Zukunft Europas.

Valls benennt drei mögliche Ursachen, die den Zusammenhalt gefährden: Den Terrorismus natürlich, mit dem er in Frankreich heftig zu kämpfen hat und der in seinen Folgen den freien Personen- und Warenverkehr bedroht. Den Egoismus der europäischen Regierungen zum Zweiten, wie er sich in der Flüchtlingskrise gezeigt hat. Kleinlaut räumt Valls ein, dass sich auch Frankreich hier bei der Entlastung Deutschlands zurückgehalten habe. Vor allem aber kritisiert Valls "das Fehlen einer gemeinsamen deutsch-französischen Vision für die Wirtschaft". Er sagt: "Wir müssen die Globalisierung wieder in die Hand nehmen." Paris und Berlin hätten die Verantwortung, Europa neu zu gründen.

Hinter den großen Worten vom neuen Europa verbirgt sich allerdings altbekannte französische Kritik: An der Globalisierung zuerst, die kein Selbstzweck sein dürfe, sondern den Menschen dienen müsse. Das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP hatte Valls' Regierung schon lange gestoppt, bevor sie in den USA in Donald Trump zumindest in diesem Punkt einen Verbündeten fand. Valls' wirtschaftspolitische Hauptforderung aber richtet sich unmissverständlich an die Bundesregierung: "Die Länder Europas, die Spielraum für Investitionen haben, müssen diese Investitionen auch vornehmen." Und dafür, warum nicht, auch neue Schulden machen. Jedenfalls könne sich die Politik in der Euro-Zone nicht allein auf die Verringerung der Staatsdefizite reduzieren. Um Europas Konjunktur zu fördern, um soziale Brüche zu heilen, so Valls' kaum verhohlene Botschaft, müsse Deutschland mehr öffentliches Geld ausgeben. Die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister kennen das Lied. Valls trägt es in Berlin trotzdem noch mal vor. "Deutschland hat Erwartungen an Frankreich. Aber Frankreich erwartet auch etwas von Deutschland", sagt er. Natürlich verweist Valls darauf, dass er in den vergangenen Jahren Reformen zur Stärkung der französischen Wettbewerbsfähigkeit durchgesetzt hat. Er räumt aber zugleich ein, dass noch viel zu tun ist, damit Frankreich wieder ein so starker Wirtschaftsmotor für Europa wird wie Deutschland.

Die Hälfte der Jobs von heute sind durch die digitalen Umwälzungen bedroht

Die Runde, die dann folgt, droht kurzzeitig in die Valls'sche Skepsis einzustimmen. Jedenfalls betonen Airline-Chef Clark, Berger-Boss Bouée, die Münchner Finanzprofessorin Ann-Kristin Achleitner und der Internet-Entrepreneur Oliver Samwer in ihrer Diskussion zunächst die Risiken der neuen, unsicheren Welt. 40 bis 50 Prozent der heute bestehenden Jobs weltweit seien von den digitalen Umwälzungen bedroht, die im Gang sind, sagt Bouée. Schon bald aber hellt sich die Stimmung wieder auf. Die Experten wollen wohl doch an die Chancen von Globalisierung, Vernetzung, Europa glauben. Samwer sagt etwas, was Valls gefallen kann: Es seien mehr öffentliche Investitionen nötig, um Menschen und Unternehmen außerhalb der Metropolen den gleichen Anschluss an die vernetzte Welt zu geben. Wie jeder technische Fortschritt bringe die Digitalisierung erst Verlierer hervor - werde aber letztlich mehr Gewinner, mehr Wohlstand bringen. Meint Samwer. Der Chef von Rocket Internet ist es auch, der Valls klar und deutlich in seinem Europa-Defätismus widerspricht: "Europa wird nicht sterben", sagt er. "Dafür ist Europa viel zu gut für die Menschen." Valls hört das nicht, er hat den Raum schon verlassen.

Manuel Valls: Die Globalisierung der Wirtschaft produziere Verlierer, sagt Manuel Valls in Berlin, und warnt: "Ich sehe doch, wie sich Deutsche und Franzosen voneinander abwenden."

Die Globalisierung der Wirtschaft produziere Verlierer, sagt Manuel Valls in Berlin, und warnt: "Ich sehe doch, wie sich Deutsche und Franzosen voneinander abwenden."

(Foto: Stephan Rumpf)
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: