Mangel an Übergrößen:Mollige in der Ecke

Mit Kleidung für Dicke nimmt der Einzelhandel üppig Geld ein, doch viele Kundinnen fühlen sich schlecht behandelt. Modisch ist die Kleidung für große Größen nur selten.

Robert Lücke

Um ihr Brautkleid zu kaufen, musste Erika Schneider nach London fliegen. Sie trägt Größe 54, da hat man es nicht leicht. ,,In Deutschland finde ich nichts, auch bei normaler Kleidung nur selten was Schönes'', sagt Schneider, die gerade in der auf Übergrößen spezialisierten Boutique ,,Ulla Popken'' in Düsseldorf eine schwarze Woll-Strickjacke anprobiert.

Mangel an Übergrößen: Modeschau für Mollige.

Modeschau für Mollige.

(Foto: Foto: dpa)

,,Die ist nett'', sagt sie und dreht sich vor dem Spiegel. Aber es sei eher eine Ausnahme, ,,wenn ich mal was Gutes entdecke. Die Sachen in meiner Größe sehen meist schäbig aus, sind schlecht verarbeitet, einfach billig oder alles auf einmal''.

Kein Einzelfall

Erika Schneider ist mit ihrer Figur vielleicht etwas auffällig, aber kein Einzelfall. Trotzdem ist es für Dicke offenbar noch immer schwer, modische Kleidung zu finden.

Dabei ist es kein Geheimnis, dass die Deutschen dicker werden. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Berlin sind 55 Prozent der Frauen und etwa 67 Prozent der Männer zu schwer, beim Übergewicht von Kindern liegt der Nachwuchs aus Deutschland dicht hinter dem Spitzenreiter USA.

Die Hohensteiner Institute bei Heilbronn vermessen im Auftrag der Textilbranche regelmäßig die Deutschen, woraus später die Konfektionsgrößen ermittelt werden.

Die Taillen schwollen an

Das Ergebnis: Lag der Brustumfang deutscher Frauen 1972 noch bei 97,9 Zentimetern, sind es heute fast 100, die Taillen schwollen von knapp 79 auf heute fast 84 Zentimeter an, die Hüften von 101,7 auf über 104 Zentimeter. Nur noch ein Fünftel der Frauen passen mit ihrer Figur in die Standardgrößen 36, 38, 40 und 42.

Diesen Trend hat auch die Textilbranche erkannt. Früher mussten füllige Menschen Schlabberlook tragen oder für deutlich mehr Geld in entsprechende Fachgeschäfte gehen. Gerade die Zielgruppe der Molligen ,,wurde sehr vernachlässigt'', sagt Siegfried Jacobs, Hauptgeschäftsführer im Bundesverband des Deutschen Textileinzelhandels (BTE).

Heute gibt es für Dicke in fast jedem Kaufhaus eine eigene Ecke, das Angebot ist gewachsen. Doch wer sich nach den neuesten Modetrends kleiden möchte, muss noch immer lange suchen - und wird selten fündig. Oder fühlt sich schlecht behandelt.

Riesig, zeltförmig, hässlich

Die meisten Klischees über Kleidung für Dicke stimmen nach wie vor: riesig, zeltförmig und hässlich. Man kann Hosen, Pullover und Hemden, die Designer in Größe 34 oder 36 entworfen haben, nicht einfach nur vergrößern. Irgendwann stimmen die Proportionen nicht mehr.

,,Doch vielfach geschieht genau das, zumindest berichten das leidgeprüfte Kunden'', sagt Michael Stroppe, Chef der Firma Wille, die sich auf Businesskleidung von 38 bis 48 spezialisiert hat.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Unternehmen ,,Ulla Popken''. Ursula und Friedrich Popken begannen 1968 in Hameln mit dem Verkauf von Baby- und Umstandsmode, nach einiger Zeit konnten sie mehrere Filialen eröffnen.

Angewiesen auf Umstandsmode

In die Geschäfte kamen aber auch junge Kundinnen, die nicht schwanger waren, sich aber trotzdem Umstandsmode kaufen mussten. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert: ,,Woanders findet man nichts Passendes'', sagt Erika Schneider, die sich inzwischen für Strickjacke und Anorak entschieden hat.

Wenn sie wollte, könnte sie bei Ulla Popken noch einen Skioverall in ihrer Größe kaufen, sogar Dessous gibt es dort.

Mit aktueller Mode hat das Angebot allerdings herzlich wenig zu tun. Zumindest sehen dies offenbar viele Kunden so: Sie empfinden es als altbacken und langweilig - und machen ihrem Unmut im Internet Luft: ,,Es wäre schön, wenn man bei den Bademoden nicht nur zwischen hässlich und besonders hässlich wählen könnte.''

Mollige in der Ecke

Auch Erika Schneider ärgert sich, dass die meisten Schnitte ,,möglichst alle Rundungen kaschieren sollen'' und am Ende ein ,,furchtbarer Tonnen-Look'' entstehe. Das Unternehmen selbst wollte sich zu dieser Kritik nicht äußern.

Von der Selbstverständlichkeit, mit der Dicke in anderen Ländern wie Spanien oder England figurbetonte Kleidung tragen, sind die Deutschen also noch weit entfernt.

Dankbare Klientel

,,Dabei ist ein bestimmter Teil der Übergewichtigen für den Handel eine besonders dankbare Klientel'', sagt Jacobs vom Textileinzelhandelsverband. ,,Sie geben viel Geld aus und fahren bis zu 300 Kilometer, um in bestimmten Läden einzukaufen.''

Über entsprechend große Erfolge freuen sich die wenigen Anbieter von Mode für Dicke ,,Unsere Kollektion BiB (,Big is beautiful) mit Größen jenseits der 50 läuft bestens'' sagt Mathias Geduhn von Hennes & Mauritz (H & M).

Von der Präsentation sind allerdings nicht alle Kunden angetan. ,,Warum wird die BiB-Kollektion eigentlich immer in eine dunkle Ecke gequetscht? Schämt man sich?'', fragt Hannelore Peikert, die bei ,,H & M'' in Köln Winterangebote betrachtet. ,,Dicke passen eben nicht gut zum Image'', sagt Jacobs, und das sei in der Mode ja das der ewigen, schlanken Jugend.

Ausnahmefirma

Eine von wenigen Ausnahmen ist die Firma Wille in Zessen am Stadtrand von Berlin. Ursprünglich gab es Wille-Mode nur in den Größen 44 bis 48, erst seit sechs Jahren kann man die Modelle auch in 38 und 40 kaufen.

,,Es fehlt ein natürlicher Umgang mit dem Thema'', sagt Wille-Geschäftsführer Stroppe. Die Einzelhändler würden oft nicht dazu stehen, dass sie mit den Produkten für Dicke Geld verdienen.

C & A ist da offensiver: Es gibt spezielle ,,XL"-Shops in vielen Filialen, in denen Blusen, Pullover, Hosen, Röcke, Jacken und Westen von Größe 44 bis 56 angeboten werden - und das seit zehn Jahren.

Übergewichtige Männer

Ein vergleichsweise neuer Markt sind die übergewichtigen Männer. Vor zweieinhalb Jahren richtete C & A in den Herrenabteilungen von neun Kaufhäusern XL-Shops ein.

Was eigentlich nur als Testlauf geplant war, ,, erwies sich als Kassenschlager'', sagt ein C&A-Sprecher, heute gibt es die Herren-XL-Shops in 200 Filialen. Männer bekommen dort Pullover in XXXXXL, Hemden mit Kragenweiten bis 52, Hosen bis Größe 66.

Die meisten Molligen kaufen aber noch lieber zu Hause ein, übers Internet oder den Katalog. 14,5 Prozent des Gesamtumsatzes von gut 55 Milliarden Euro pro Jahr im deutschen Textileinzelhandel werden über Quelle, Neckermann, Otto und andere erwirtschaftet. ,,Und besonders die Dicken bestellen gerne im Katalog'', sagt Jacobs. Vorteil für den Kunden: Er kann alles zu Hause anprobieren.

So verkaufen Otto und Baur unter dem Label ,,So bin ich'' Damenmode von 40 an aufwärts bis 58, es gibt Parkas, Kleider, Hosen, Blusen, bei Otto aber auch bekannte Marken wie S. Oliver in Übergrößen.

"Figurumspielend"

Besonders praktisch: Die Passform kann man direkt mit auswählen. Das Angebot reicht von ,,sehr figurbetont'' bis hin zu ,,figurumspielend''. Konkurrent Neckermann bietet mit ,,Happy Size'' Mode bis 60, Quelle nennt seine Kollektion ,,Meine Größe''.

Sogar an die Kinder, die dicker werden, ist gedacht. Neckermann hat für sie einen eigenen Katalog aufgelegt, er heißt ,,Passt.de'', mit XXL-Shirts, Kapuzenjacken und Hosen für moppelige Jungen und Mädchen. Besonders praktisch für Eltern und den von Fastfood und Bewegungsmangel aufgedunsenen Nachwuchs: Man muss sich nicht einmal mehr zum Einkaufen bewegen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: