Manfred Schell:Der uneitle Eitle

Kaum ein Gewerkschaftsmann wird den Deutschen so im Gedächtnis bleiben wie GDL-Chef Manfred Schell. Jetzt geht er in Rente.

Hans von der Hagen

Er ist aufbrausend, hartnäckig, dominant und hoffnungslos überzeugt von sich selbst. Er fährt gerne schnell, ignoriert Parkverbote und baut spektakuläre Unfälle. Doch auf dem Nummernschild seines Mercedes SLK steht F-DL 1867 - DL für "die Lokführer" und 1867 für das Gründungsjahr der Gewerkschaft der Lokführer. Und nicht etwa F-MS 1943 für Manfred Schell.

Manfred Schell

Mann des Gegensatzes: Manfred Schell

(Foto: Foto: Reuters)

So ist er: Er fühlt sich wichtig - und nimmt dann doch die Sache wichtiger. Er ist eitel - und doch uneitel, Gewerkschaftsboss - und CDU-Mitglied. Was immer man von ihm sagt - es trifft auch das Gegenteil zu.

Das dürfte sogar für das Miteinander gelten: Sein ärgster Gegenspieler Bahnchef Hartmut Mehdorn wird ihn nicht schätzen - zumindest aber als liebsten Feind wahrgenommen haben. Zu ähnlich sind sich die beiden.

Coup in Halle

Vielleicht war gerade die Vielschichtigkeit von Schells Persönlichkeit der Grund, dass ihn die Lokführer am 9. Mai 1989 zu ihrem Chef machten und seither eisern an ihm festhielten. Weil er ganz ein Mann der Bahn ist - aber eben auch etwas mehr.

Manfred Schell hat die verschlafene Gewerkschaft aufgeweckt, ihr viele neue Mitglieder beschert und sie von der kleinen dritten Bahngewerkschaft zur Tariflok im Unternehmen gemacht.

Er ist empört, wenn die alte GDL Skatverein genannt wird - doch über Jahrzehnte korrespondierten Alter und Bedeutung der GDL nicht: Obschon sie die älteste deutsche Arbeitnehmervertretung ist, waren in ihr bis in die späten achtziger Jahre fast 98 Prozent der Mitglieder Beamte - und die durften nicht streiken.

Doch ein Coup von Schell sorgte für den großen Umschwung: Kurz nach der Wende, im Januar 1990, fuhr er nach Halle an der Saale - und gründete dort die erste freie Gewerkschaft nach der Wende. Ein Jahr später vereinigten sich GDL West und GDL Ost - und die GDL hatte plötzlich 15.000 streikbereite Mitglieder.

Das war nicht Glück, sondern Bauernschläue und Schell ist bis heute stolzer auf dieses Ereignis als auf irgendetwas sonst.

In der Öffentlichkeit wird Schell vor allem als sturer Kerl wahrgenommen, der den zähesten Streik der deutschen Geschichte anzettelte. Aber auch als Unentschlossener, der zu lange zu zaghaft streikte. Als Wunderling, der mitten im Streik in die Kur fährt. Und als Selbstdarsteller, dem die Pfeife aus dem Mundwinkel wächst.

Aber die Sturheit hat den Streik zum Erfolg gemacht und alles andere ficht ihn nicht an. Gerade dass er öffentliche Schelte und Spott ertragen kann, hat ihn erfolgreich gemacht.

Jetzt wird er - zumindest formell - Rentner, bleibt aber Präsident der Europäischen Lokführervereinigung. Die GDL wird Schell vermissen. Doch die Bahn wird froh sein, dass er weg ist. Und die Fahrgäste nach der nächsten Preiserhöhung auch.

Schell hingegen wird sich freuen, dass er eine kleine Gewerkschaft großgemacht hat - sie aber trotzdem familiär geblieben ist. Das ist ganz nach seinem Geschmack. Er liebt eben die Gegensätze.

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