MAN im Dritten Reich:Profit und Protest

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Zum 250. Geburtstag des MAN-Konzerns beleuchtet ein Buch auch die Rolle des Vorgängerkonzerns Gutehoffnungshütte im Dritten Reich. Bis zum Jahr 1944 soll der Konzern 31.500 Zwangsarbeiter beschäftigt haben.

Michael Kuntz

Zweifellos profitierten die Gutehoffnungshütte und ihre damalige Tochter MAN wirtschaftlich vom nationalsozialistischen Regime - den großen Projekten wie dem Bau von Autobahnen bis hin zur Herstellung von Waffen für den Zweiten Weltkrieg. Doch blieb der bedeutende Rüstungsproduzent auf Distanz zur NSDAP, was zu heftigen Konflikten führte. So lautet das Fazit des Historikers Professor Johannes Bähr über die Rolle der Vorgängergesellschaften der heutigen MAN AG im Dritten Reich.

Der erste Diesel-Truck aus dem MAN-Werk München. (Foto: Foto: oh)

Das 250. Jubiläumsjahr des Konzerns nahm MAN-Vorstandsvorsitzender Håkan Samuelsson zum Anlass, den Berliner Wissenschaftler mit einer Chronik zu beauftragen, in der erstmals auch die Rolle des Unternehmens in der Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet wird. Dies ist ein Kapitel mit 60 Seiten in dem Buch von Bähr, das 624 Seiten umfasst. Samuelsson wird am nächsten Mittwoch die Chronik des Historikers vorstellen. Sie liegt der Süddeutschen Zeitung vor. In den Handel kommt das im Verlag Beck erscheinende Buch am 29. Juli.

Großer Rüstungshersteller

Der Mischkonzern holt jetzt etwas nach, was Konzerne wie Volkswagen, Krupp, Daimler, Allianz und die großen Banken bereits vor Jahren gemacht haben. Noch später kommt die Familie Quandt, die sich erst kürzlich nach einem kritischen Buch und einer darauf basierenden Fernseh-Dokumentation dazu durchgerungen hatte, einen Wissenschaftler mit der historischen Aufarbeitung der Rolle ihrer Vorfahren im Dritten Reich zu beauftragen. Diese Darstellung soll in etwa drei Jahren fertiggestellt sein.

MAN hatte sich im Jahr 2000 in der von Wirtschaft und Regierung gegründeten "Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter engagiert und elf Millionen Euro gespendet.

Eine besondere Rolle in den dunklen Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft spielte der Schwabe Paul Reusch. Er war Chef der Gutehoffnungshütte (GHH) von 1909 bis 1942. Die GHH übernahm in den Jahren 1920/21 schrittweise die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (M.A.N.), die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges auch wegen des Wegfalls der Rüstungsaufträge hoch verschuldet war.

Reusch fügte den rheinischen und den bayerischen Strang der heutigen MAN zu einem Konzern zusammen, der alle Fertigungsstufen abdeckte - vom Bergbau bis zur Fahrzeugherstellung. Bereits 1915 war der erste M.A.N.-Lkw bei dem deutsch-schweizerischen Gemeinschaftsunternehmen M.A.N.-Saurer vom Band gelaufen. Die M.A.N. war das größte Unternehmen in Süddeutschland.

Nicht allen Vorgaben gefolgt

Die Ursprünge der Gutehoffnungshütte reichen bis zur 1758 gegründeten St.-Anthony-Hütte in Oberhausen zurück. Reusch stellte die Weichen für den Wandel des Rohstofflieferanten in ein Unternehmen der verarbeitenden Industrie.

Im Dritten Reich konnten GHH und M.A.N. sowohl ihre Produktion als auch die Gewinne deutlich steigern, stellt der Historiker fest. "Der Konzern wurde zu einem bedeutenden Rüstungsproduzenten, doch blieben die Vorstände von GHH und M.A.N. auf Distanz zur NSDAP", schreibt Bähr. Dies habe vor allem am prägenden Einfluss des Konzernchefs Paul Reusch gelegen. Reusch habe zwar zu den antidemokratischen Gegnern der Weimarer Republik gehört und 1932 eine Verständigung mit Hitler gesucht. "Nach 1933 lehnte er aber die Einmischungen der Partei in die Betriebe der GHH-Gruppe wie in die gesamte private Wirtschaft entschieden ab."

GHH und M.A.N. seien im Unterschied zu anderen Unternehmen nicht allen Vorgaben des Regimes gefolgt. Vor allem bei der M.A.N. sei es zu heftigen Konflikten mit der NSDAP gekommen, "zumal ihr Leiter Otto Meyer mit einer Jüdin verheiratet war" - nämlich der Pianistin Stella Reichenberger. GHH-Chef Paul Reusch, damals 74 Jahre alt, habe schließlich 1942 auf politischen Druck hin zurücktreten müssen. Dennoch haben M.A.N. und GHH in der Rüstungswirtschaft des Dritten Reichs eine wichtige Rolle als Hersteller von Panzern, Motoren für Untersee-Boote und Geschossen gespielt, stellt der Chronist fest.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie die GHH im Dritten Reich Zwangsarbeiter beschäftigte und wie der Konzern nach Kriegsende zerschlagen wurde.

MAN-Jubiläum in Bildern
:Ein Vierteljahrtausend in Eisen und Stahl

In diesem Jahr feiert der MAN-Konzern sein 250. Firmenjubiläum. Im Jahr 1758 wurde in Oberhausen die Eisenhütte St. Antony gegründet, die zugleich die Geburtsstunde der Eisen- und Stahlerzeugung im Ruhrgebiet markierte. Die Hütte ging in der Folge in der Gutehoffnungshütte (GHH) auf, und die wiederum übernahm M.A.N. im Jahr 1921. Die Geschichte des MAN-Konzerns in Bildern.

Bei der sogenannten Arisierung, also der Enteignung jüdischer Unternehmen, und bei der Expansion der deutschen Industrie in die annektierten und besetzten Länder habe der GHH-Konzern nicht in der ersten Reihe gestanden, bescheinigt Bähr. "In begrenztem Umfang profitierte allerdings auch die GHH von der Arisierung jüdischen Firmenvermögens."

Axialrad von 1936. (Foto: Foto: oh)

Entflechtung von Vorteil

So habe M.A.N. den Anschluss Österreichs zur Übernahme des Wiener Unternehmens Österreichische Automobil-Fabrik AG (ÖAF) genutzt. Die vormalige Austro-Fiat war der bedeutendste Lkw-Hersteller des Landes. Schließlich übernahm die GHH die Beteiligung des jüdischen Unternehmers Ludwig Löwy an der Schloemann AG in Düsseldorf, einem Konstruktionsbüro von Weltruf, an dem sie bereits die Kapitalmehrheit gehalten hatte. Diese Aktien mussten GHH und M.A.N. später zurückgeben.

Aus wirtschaftlichen Interessen seien Kriegsgefangene und ausländische Zivilarbeiter eingesetzt worden. Der Historiker wörtlich: "Keine Skrupel hatten die Vorstände und die Werksleitungen beim Einsatz von Zwangsarbeitern während des Krieges." Bis 1944 sei die Zahl der Zwangsarbeiter im GHH-Konzern auf 31.500 gestiegen - bei 97.000 Beschäftigten insgesamt. Häftlinge aus Konzentrationslagern seien bei zwei Unternehmen im Konzern eingesetzt worden: der Deutschen Werft sowie den Kabel- und Metallwerken Neumeyer.

Entflechtung durch die Siegermächte

Nach dem Krieg verlor die GHH durch die von den Siegermächten angeordnete Entflechtung den größten Teil ihrer Werke in Oberhausen. Nur noch das Werk im Stadtteil Sterkrade blieb im Konzern, dessen süddeutsche M.A.N. jetzt bedeutend größer war als die GHH im Norden.

Aus dem Ruhrkonzern mit Zechen, Hochöfen und Walzwerken wurde der Hersteller von Maschinen und Fahrzeugen. "Die von der GHH heftig bekämpfte Entflechtung erwies sich auf lange Sicht als vorteilhaft, weil der Konzern von den Krisen des Kohlenbergbaus und der Stahlindustrie verschont blieb", lautet das Fazit des Historikers. Das Unternehmen gehörte damals der Industriellenfamilie Haniel aus Duisburg, die heute unter anderem am Handelskonzern Metro beteiligt ist und ihre letzten Anteile an GHH/MAN im Jahr 1985 veräußerte.

Gleichgeschaltete Presse

Ein Jahr vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kam es am 19. März 1932 zu einem Treffen des Konzernchefs Paul Reusch mit Adolf Hitler in München. Dabei schlossen der Ruhrindustrielle aus Oberhausen und der Vorsitzende der NSDAP eine Art Burgfrieden, wie Reusch es wohl zunächst empfunden hatte.

Ein Jahr später wurde jedoch nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten auch die Presse in Bayern gleichgeschaltet. Der GHH gehörten damals mehrere Zeitungen. Bei den Münchener Neuesten Nachrichten, einer Vorgängerin der Süddeutschen Zeitung, wurden der Chefredakteur Fritz Büchner und weitere Mitarbeiter verhaftet.

Der Historiker Peter Langer war früher zu dem Schluss gelangt, dass sich Reusch vorbehaltlos den Münchner Nationalsozialisten gebeugt und seine Einflussmöglichkeiten nicht genutzt habe, um die Rüstungsgeschäfte des GHH-Konzerns nicht zu gefährden. Dies sieht der Verfasser der MAN-Chronik anders. Bähr: "Es ist durchaus möglich, dass sich Reusch zurückgehalten hat, weil er einen Konflikt mit dem neuen Regime vermeiden wollte. Aber er musste damals auch erkennen, dass seine Einflussmöglichkeiten jetzt beschränkter waren als in der Zeit der Weimarer Republik."

© SZ vom 12.07.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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