Französisches Finanzministerium:Bercy, der Staat im Staat

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Koloss an der Seine: das Finanzministerium in Paris.

(Foto: AFP)

Mehr Macht als Minister: Ausgerechnet die rebellischen Spitzenbeamten aus Frankreichs Finanzministerium sollen das Land aus der Krise führen. Vor dem Betonbau im Pariser Stadtteil Bercy zittert die Polit-Elite.

Von Leo Klimm, Paris

Michel Sapin wird zum zweiten Mal Frankreichs Finanzminister, und das ist eine undankbare Aufgabe. Nicht allein weil er 50 Milliarden Euro im Haushalt einsparen und bei der EU eine Aufweichung von Defizitzielen durchsetzen soll. Oder weil er sich das Haus mit dem streitlustigen und politisch aufgewerteten Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg teilen muss. Sondern auch weil Sapin aus seiner ersten Zeit als Finanzminister vor 21 Jahren weiß, dass er es mit einem fast unregierbaren Ressort zu tun hat. "Bercy" - wie der kolossale Bau an der Seine genannt wird - ist in Frankreichs Polit-Elite gefürchtet als Gegenmacht aus rebellischen Topbeamten. Als Staat im Staat.

Vergangene Woche - da war nicht mal sicher, dass Präsident François Hollande die Regierung umbilden würde - machte die Bürokratie von Bercy klar, wer Herr im Haus ist: Sie verschickte eine E-Mail mit dem Betreff "Ihr Ausscheiden" an jene Mitarbeiter in den Ministerbüros, deren baldigen Rauswurf sie erwartete.

Bercy hat seinen Namen von dem Stadtteil im Pariser Osten, in dem das Ministerium Ende der 1980er-Jahre hochgezogen wurde. Im Land ist das Wort aber längst Synonym für die Macht des Zentralstaats und seiner Steuerverwaltung. Bercy wird wahlweise auch als "Krake", "Zwingburg" oder als schwer manövrierbarer "Supertanker" bezeichnet.

Jetzt steht Bercy mit seinem neuen Führungsduo aus Sapin und Montebourg im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Denn ausgerechnet von dem als unregierbar verschrienen Ministerium muss das Comeback der französischen Wirtschaft gesteuert werden.

Der Minister aus dem dritten Stock

In Hollandes Umfeld wird die Beschränkung auf zwei Minister als "Effizienzgarantie" für Bercy gepriesen. Bisher residierten im "Hôtel des ministres", ganz am Ende des Hunderte Meter langen Baus gelegen, sieben Kabinettsmitglieder, von denen jedes irgendetwas mit Wirtschaft machte. Das unvermeidliche Kompetenzchaos und die widersprüchlichen Antikrisenrezepte der Minister spiegelten die Schwäche der sozialistischen Regierung wieder. In der sechsten Etage, wo der bisherige Finanzminister Pierre Moscovici saß, hieß der Kollege Montebourg nur "der Minister aus dem dritten Stock". Dem Verwaltungsapparat aber konnte der Streit seiner politischen Führung egal sein.

Die neue Doppelspitze will Bercy besser in den Griff bekommen. "Die Fragen um die administrative Organisation der Abteilungen und unserer Büros ist sehr wichtig, damit die Dienststellen gut funktionieren", sagt Sapin. Doch es gibt schon Zweifel: Zum einen droht erneut Verwirrung um den wirtschaftspolitischen Kurs Frankreichs, weil der Sozialdemokrat Sapin für Sparpolitik steht, während der Protektionist Montebourg Ausgabenpolitik bevorzugt. Zum anderen werden mächtige Referate von Bercy, darunter das Schatzamt und die Agentur für Staatsbeteiligungen, ausdrücklich beiden Männern unterstellt. Nur optimistische Bercy-Beobachter erkennen darin ein geschicktes Manöver, die Eigenmächtigkeit der Finanzreferate zu brechen.

Das besondere Selbstbewusstsein der Topbeamten dort speist sich aus der Tatsache, dass sie alle aus denselben Elitehochschulen stammen wie Frankreichs Spitzenpolitiker. So erklärt es der Journalist Thomas Bronnec, der sich seit Jahren mit Bercy befasst. Die Technokraten haben sich gegen eine Parteikarriere entschieden, entwickeln mit starken Netzwerken aber mehr Macht in Bercy als die Minister.

Die einstige Hausherrin und heutige Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde - eigentlich als durchsetzungsstark bekannt - erzählt in einem Film von Bronnec, wie ihre Beamten sich ihren Vorschlägen manchmal schlicht verweigerten. Umgekehrt sagt einer der Staatsdiener über die Ministerin: "Niemand bei uns kritisiert sie, denn sie übernimmt unsere Ideen, sie fordert uns fast nie heraus. Sie stört uns überhaupt nicht."

Darauf, dass ihr Soziotop nicht zu sehr von der Politik gestört wird, kommt es vielen an in Bercy. Es ist eben eine eigene Welt - aus Tausenden Mitarbeitern, 42 Kilometer langen Gängen, einem eigenen Seine-Anleger, Hubschrauberlandeplatz, einem Postamt und einem Reisebüro für Privat-Trips. Die Beschäftigten hier haben auch mehr Geld auszugeben als andere Staatsdiener: Für einen Abteilungsleiter sind 20 000 Euro im Monat drin, für altgediente Chauffeure angeblich 6000 Euro.

Ganz Frankreich schaut nun darauf, wie die neue Doppelspitze mit dem eigenwilligen Ministerium zurechtkommt. Ob Sapin und Montebourg den Supertanker an der Seine steuern können - und damit auch Frankreich aus der Krise.

In einer früheren Version dieses Textes haben wir die Position des Amtsleiters mit der eines Referatsleiters verwechselt. Wir haben diesen Fehler korrigiert.

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