Macht der Ratingagenturen:Selbst schuld, liebe Politik!

Ratingagenturen sind unglaublich mächtig - und unglaublich anmaßend. Die Politiker zürnen deshalb, doch diese Kritik ist wohlfeil. Denn nur wegen ihnen haben die Agenturen heute einen solchen Einfluss.

Detlef Esslinger

Der sozialdemokratische Kanzlerkandidatenkandidat Peer Steinbrück hat sich vor ein paar Tagen auf dem Parteitag über die Rating-Agenturen aufgeregt, besonders darüber, wie sie versuchten, gewählte Politiker zu dominieren. Steinbrück fragte: "Bei wem liegt eigentlich der Taktstock des Geschehens?"

Standard & Poor's

Die Politik selbst ließ Standard & Poor's und weitere Ratingagenturen zu dem heranwachsen, was sie heute sind. Sie haben Macht über politische Entscheidungen - die Länder sollen unabhängiger werden.

(Foto: AFP)

Die Frage war schon deshalb angebracht, weil einer der vielen Unterschiede zwischen SPD und Standard & Poor's darin besteht, dass Standard & Poor's in Deutschland Regierungspartei ist; in etwa jedenfalls. Die Frage wird aber so ähnlich überall in der Politik gestellt, und auch nicht nur in Deutschland. In Belgien einigten sich die Politiker diese Woche, 18 Monate nach der Wahl, endlich auf eine Regierung - die Rating-Agenturen hatten mit Herabstufung gedroht. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann sagte, es müsse im Interesse aller Länder sein, unabhängiger von den Agenturen zu werden. Er fügte an: Das könne nur gelingen, wenn mit der Schuldenpolitik Schluss gemacht werde.

Die Politiker haben es mit Gegenspielern neuen Typs zu tun. Wenn ihnen bisher Äußerungen von Managern zu Gehör kamen, die sie als Drohung erachteten, dann waren das Drohungen eher allgemeiner Art: Falls ihr diese oder jene Politik macht, dann gefährdet ihr den Industriestandort XY; so hörte sich das an. Die Herren von Standard & Poor's sind direkter. Ihre Ansage lautet: Entweder die Euro-Länder beschließen an diesem Freitag das Richtige, oder sie werden von uns herabgestuft. Mit allen Folgen.

Natürlich ist das eine Anmaßung. Und das schon deshalb, weil die Agentur so tut, als stünde in irgendeinem Buch der Erkenntnis exakt, was nun zu tun sei; es fehle der Politik nur an der Entschlossenheit dazu. Bei Standard & Poor's, Moody's und Fitch handelt es sich aber nicht um einen informellen Rat der Weisen, sondern um drei Firmen, die in hartem Wettbewerb zueinander stehen. Ihr Geschäft beruht auch darauf, dass sie im Gespräch sind.

Eine Firma wie Apple lebt davon, dass ihr das iPad einfällt, Standard & Poor's hingegen braucht den souveränen Auftritt seines graumelierten Europa-Chefs im Heute Journal. Dass an den Analysen auch Angestellte mitgewirkt haben, die frisch von der Uni sind oder früher bei der Bank nicht so recht vorangekommen waren - sieht ja keiner. Eine Rating-Agentur nutzt die Mediendemokratie, aber der Diskurs, den sie auslöst, hilft zunächst ihrem Geschäft. Wenn er zusätzlich die Politik zum Handeln bringt: auch recht.

Die Ironie des Problems besteht darin, dass die Politik es war, die ihre heutigen Gegenspieler erst groß werden ließ: erstens, indem sie vor einigen Jahren Ratings zur Grundlage für die Eigenkapital-Vorschriften von Banken machte; zweitens durch jahrzehntelanges, entspanntes Schuldenmachen. Der Wiener Kanzler Faymann hat schon recht. Wer will, dass Standard & Poor's nicht länger die Politik usurpiert, darf nur noch das Geld ausgeben, das er einnimmt.

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