Luxemburg-Leaks:Wie Junckers Netzwerk funktioniert

Jean-Claude Juncker, Maros Sefcovic

Verbindendes Bussi: Jean-Claude Juncker pflegt seine Beziehungen mit Europas Führungskräften - hier mit EU-Kommissar Maros Sefcovic.

(Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP)

EU-Kommissionschef Juncker pflegt seine Beziehungen mit Europas Führungskräften. Als einstiger Regierungschef von Luxemburg soll er nun gegen sein eigenes Erbe vorgehen. Und die Spitzenpolitiker schweigen.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Jetzt mal halblang, sagt der spanische Finanzminister Luis de Guindos am Freitag in Brüssel. Das eine, sagt sein deutscher Kollege Wolfgang Schäuble (CDU), hat mit dem anderen nichts zu tun. Nein, sagt der Franzose Michel Sapin, ich glaube nicht, dass er beschädigt ist.

Er, das ist Jean-Claude Juncker. Das eine, das ist Junckers Erbe aus den Jahren 1989 bis 2013, in denen er Finanzminister und Regierungschef von Luxemburg war und das Großherzogtum als Steuervermeidungsparadies reich werden ließ. Das andere ist Junckers neues Amt als Präsident der Europäischen Kommission. Als solcher muss er jetzt gegen sein Erbe vorgehen. Die Wettbewerbsabteilung seiner Behörde ermittelt gleich doppelt wegen des Verdachts, dass Luxemburg mit seiner Steuervermeidungspraxis gegen EU-Recht verstoßen hat. Und sie hat ein Strafverfahren wegen des Zurückhaltens von Informationen angestrengt.

Es ermittelt also Juncker gegen Juncker. Kein Problem, findet der Bundesfinanzminister, der eine Juncker hat ja mit dem anderen Juncker nichts zu tun.

Mit Valium gefüllte Wortblasen

Schäubles Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat offensichtlich keine Lust, etwas über "das eine und das andere" zu sagen. Mehr als das spanische "halblang", dürfte sie, die Juncker gewissermaßen zum Kommissionspräsidenten gemacht hat, ohnehin kaum vortragen. Wie sie schweigen die anderen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, jener Gemeinschaft, deren Bürger gehörig Steuern zahlen müssen, und die toleriert, dass Unternehmen verschont werden. Das Maximale, was Regierungen über die detaillierten Enthüllungen zum Finanzplatz Luxemburg sagen, sind mit Valium gefüllte Wortblasen wie die von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel: "Der Spuk muss aufhören."

Wer für den "Spuk" verantwortlich ist, das sagt er nicht.

Das Schweigen der Chefs ist wie eine Mauer, die Juncker, also einen der ihren, umhüllt und stützt.

Das Schweigen schützt auch die Chefs selbst. Denn wer die Verantwortlichen sucht, findet sie in den nationalen Regierungszentralen. Europas Staatspräsidenten, Premierminister und Kanzler sind es, die den ruinösen und unfairen Steuerwettbewerb in der Europäischen Union, der von den Dokumenten belegt wird, am Laufen halten. Und zwar sie allein. Steuergesetzgebung in der EU ist Sache der Mitgliedsländer. Alle Steuergesetze werden von den 28 Regierungen einstimmig beschlossen, ohne Mitsprache des EU-Parlaments.

Staats- und Regierungschefs schätzen den kurzen Draht

Das bedeutet: Jeder einzelne Staats- und Regierungschef ist verantwortlich. Jeder Chef hat Gesetzen zugestimmt, die erlauben, dass über niedrige Steuersätze, komplizierte Firmenkonstrukte und supergünstige Zins- und Steuerverrechnungen zwischen Mutter- und Tochterunternehmen Konzerne ins Land gelockt werden. Das ist gängige Praxis in Luxemburg, Irland, den Niederlanden, Malta, Belgien, Großbritannien und Zypern. Immer geht es zulasten der einfachen Steuerzahler.

Juncker ist also nur einer aus einem Netzwerk auf Chefebene, das außerordentlich belastbar ist. Aber er ist einer der erfahrensten.

Juncker weiß um die Stärke des Netzwerkes. Und er weiß, dass die Staats-und Regierungschefs auch den kurzen Draht zu ihm als Behördenchef schätzen. Selbst einer wie David Cameron, der noch vor ein paar Wochen Juncker als Präsidenten der EU-Kommission verhindern wollte. Nun hat der Brite (mindestens) ein akutes Problem: Er soll 2,1 Milliarden Euro an EU-Beiträgen nachzahlen. Eine Summe, die sauber berechnet ist, die er aber nicht zahlen will, weil er zu Hause in London den Spott der politischen Konkurrenz befürchtet.

Auch François Hollande hat ein Problem: Er kann nicht so viel sparen und reformieren, wie er soll, weil das den heimischen rechten Front National noch stärker macht. Ebenso Bundeskanzlerin Merkel: Sie muss eine Maut für Ausländer einführen, weil der Koalitionspartner CSU dies als Bedingung für die Zusammenarbeit in den Koalitionsvertrag schreiben ließ. Die Liste der nationalen Anliegen ließe sich beliebig fortsetzen, der Adressat bliebe immer derselbe: die EU-Kommission. Genauer gesagt: deren Präsident Juncker.

Juncker muss jetzt herbeiführen, was die Europäische Gemeinschaft überhaupt nur funktionieren lässt: Kompromisse. Er muss eine EU-Verordnung so ändern lassen, dass Cameron in Raten zahlen kann. Er muss Vertragsklauseln so auslegen lassen, dass Hollande noch einmal Aufschub in seinen Haushaltsplanungen bekommt.

Schäuble ist 30 Jahre im Geschäft, Juncker 25 Jahre

Und er muss erreichen, dass Merkel etwas in Berlin verkünden kann, was sich wie Maut für Ausländer anhört. Loyalität gehört zu den Mitteln, mit denen Juncker sein Netzwerk über die Jahre gepflegt hat. Er wird dafür mit selbiger belohnt. Etwa, wenn Schäuble sagt, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Schäuble will diese Botschaft auch so verstanden wissen. Er ist mehr als 30 Jahre weit oben im politischen Geschäft, Juncker seit 25. Sie gehören derselben Parteienfamilie an. Über Schäuble führt der Weg auch zu Junckers Ziehvater Helmut Kohl.

Der neue Behördenchef lässt es sich nicht nehmen, an seinem ersten Arbeitstag nach Frankfurt zu fahren, um Kohls Buch vorzustellen und in Erinnerungen zu schwelgen. Juncker kennt die Parteifreunde von damals: Theo Waigel, Edmund Stoiber. Mit Jacques Delors, einem Freund aus dem sozialistischen Lager, hatte Juncker geplant, seine erste Arbeitswoche zu beenden. Am Donnerstagnachmittag wollten der frühere und der neue Kommissionspräsident in Brüssel über einen Neustart für Europa reden. Was nicht zustande kam. Plötzlich musste Delors "aus persönlichen Gründen" absagen. Dann zog Juncker zurück. Obwohl es gerade an diesem Tag der Enthüllungen viele Fragen gegeben hätte. Doch Juncker war selbst "halblang" zu viel.

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