Luftverkehr:"Lasst Tegel offen und Air Berlin sterben"

Europas größte Billig-Airline Ryanair klagt: Ausländische Fluggesellschaften erhielten kaum Landerechte in Deutschland. Die Lufthansa blockiere den Wettbewerb - dabei gebe es Bedarf für mehr Verbindungen.

Von Jens Flottau, Dublin

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Ryanair-Flugzeuge in Marseille: Die Iren verstärken ihre Expansion in Kontinental-Europa.

(Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Wer die Ryanair-Zentrale in Dublin besuchen will, der nimmt am besten den gelb-violetten Shuttlebus vom Flughafen. Ein alter Doppeldecker, den sich drei Billig-Hotelketten teilen. Zwei Euro kostet die Fahrt und wenn man ausgestiegen ist, dann sind es nur noch zehn Minuten zu Fuß bis zur Hauptverwaltung, gegenüber hat sich ein Ford-Händler niedergelassen. Nach der Finanzkrise 2008 hat Ryanair das Haus günstig von einer der irischen Banken gekauft. Irgendwie typisch.

Europas mit Abstand größte und erfolgreichste Billigfluggesellschaft gibt nur dann Geld aus, wenn es unbedingt nötig ist. Am liebsten stecken Konzernchef Michael O'Leary und seine Leute die Gewinne in neue Flugzeuge - fast 300 Boeing 737-Jets sind fest bestellt, rund 400 fliegen derzeit. Und wenn es nach Verkaufschef David O'Brien geht, dann würde Ryanair jetzt noch mehr neue Flugzeuge kaufen und noch schneller wachsen - doch Boeing kann kurzfristig keine zusätzlichen Flugzeuge liefern.

Mittelfristig will Ryanair 20 Maschinen in Frankfurt stationieren

Der 53-jährige O'Brien ist bei Ryanair derjenige, der gemeinsam mit Konzernchef O'Leary entscheidet, wo die neuen Flugzeuge eingesetzt werden. Um rund 45 Boeing 737 wird die Ryanair-Flotte bis zum kommenden Sommer wachsen, und gerne würde er viele davon nach Deutschland schicken. Doch das ist nicht so leicht.

"Lufthansa versucht, mit dem Air-Berlin-Geschäft den Markt und die Infrastruktur zu blockieren", schimpft O'Brien. "Das schränkt unsere Wachstumsmöglichkeiten ein." Seit dem Frühjahr mietet Lufthansa 38 Jets von Air Berlin und setzt sie bei ihren Töchtern Eurowings und Austrian ein. Angesichts der großen Finanznot von Air Berlin erwarten viele in der Branche, dass weitere Teile der einst zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft über kurz oder lang bei Eurowings landen. Auch über eine vollständige Übernahme wird spekuliert, auch wenn Lufthansa-Chef Carsten Spohr einen solchen Schritt zuletzt als unwahrscheinlich bezeichnet hat.

Zum großen Ärger von O'Brien geht die Rechnung von Lufthansa aber wohl in jedem Fall auf. Das Miet-Geschäft, sagt er, sei de facto eine Übernahme, das Bundeskartellamt hätte es aus Wettbewerbsgründen gar nicht genehmigen dürfen. Schließlich werde die Kapazität einfach von einer Fluggesellschaft zur anderen verschoben, ohne dass der Konkurrenz Zugang zu verstopften Flughäfen wie Düsseldorf oder Berlin-Tegel ermöglicht werde. So sei auch ausgeschlossen, dass die Airports miteinander darum konkurrieren, neue Anbieter wie Ryanair anzusiedeln. Wertvolle Infrastruktur werde dadurch künstlich blockiert, klagt O'Brien. Sein Vorschlag: "Lasst einfach Tegel offen und Air Berlin sterben."

Überhaupt, kritisiert der Ryanair-Vorstand, werde innerhalb der Europäischen Union mit zweierlei Maß gemessen. Dies sei "nicht hilfreich für den europäischen Gedanken". Der Hintergrund: Ryanair wollte einst den irischen Konkurrenten Aer Lingus übernehmen und hatte schon knapp 30 Prozent der Anteile gekauft, bevor die britischen Wettbewerbsbehörden sie zwang, die Aktien wieder zu verkaufen. Später wurde Aer Lingus dann von der British Airways-Muttergesellschaft International Airlines Group (IAG) gekauft.

Deutschland ist nach Ansicht von O'Brien in Sachen Luftverkehr unterversorgt, die Konzentration auf die Lufthansa-Drehkreuze in Frankfurt und München sei "vollkommen künstlich". Dass große Städte wie Berlin oder Hamburg nicht genügend Direktverbindungen zu europäischen Zielen hätten, sei eine Folge der "Blockade"der Lufthansa. Ryanair hat in vielen europäischen Ländern wie Italien oder Spanien Marktanteile von deutlich über 20 Prozent, in Deutschland sind es nur sieben Prozent. Allerdings glaubt O'Brien, dass die Blockade "wie alle künstlichen Konstruktionen letztlich versagen" werde.

Für Ryanair steht derzeit die Expansion am Flughafen Frankfurt im Vordergrund - auch gegen diese hatte Lufthansa erbittert gekämpft. Derzeit haben die Iren zwei Flugzeuge in Frankfurt stationiert, im nächsten Winter werden es sieben sein. O'Brien glaubt, dass Ryanair mittelfristig bis zu 20 Maschinen in Frankfurt einsetzen wird. Von 2020 an kann sie das neue Terminal für Billigfluggesellschaften nutzen, das Airport-Betreiber Fraport im Süden der Anlage baut.

Während die irische Fluggesellschaft nun in Frankfurt expandiert, wird am Flughafen Hahn, einst die größte Ryanair-Basis in Deutschland, abgebaut. "Die Gefahr für Hahn ist nicht Frankfurt, sondern Luxemburg", so der Ryanair-Vorstand. Die Flughafengebühren seien dort zwar leicht höher als in Hahn, aber die deutsche Luftverkehrsabgabe sorge dafür, dass Luxemburg insgesamt billiger sei.

Ryanair will weiter stark wachsen. Die Airline rechnet in diesem Jahr mit 130 Millionen Passagieren, 2024 sollen es 200 Millionen sein. Knapp 600 Boeing-Jets sollen dann eingesetzt werden. Derzeit findet 60 Prozent des Wachstums in den vier größten Märkten statt, vor allem in Italien und Spanien. Daneben konzentriert sich das Unternehmen auf Zentral- und Osteuropa. "In Polen fliegen die Leute im Durchschnitt einmal im Jahr", rechnet O'Brien vor. "Wenn daraus zweimal im Jahr wird, dann sind das eine Menge neue Passagiere." Dennoch ist Ryanair angesichts des bevorstehenden Brexit in Großbritannien vorsichtig. Konzernchef O'Leary hatte zuletzt gedroht, ohne ein schnelles neues Luftverkehrsabkommen werde Ryanair seine Flotte zeitweise ganz aus England abziehen. O'Brien präzisiert: Wenn es bis September 2018 keine Klarheit gebe, trete Plan B in Kraft. Dann wird Ryanair viele Flüge für den Sommer 2019 von und nach England streichen. Für den Rest Europas bedeutet das aber noch mehr Ryanair-Jets: Die 85 in England stationierten Maschinen sollen dann auf die 72 Basen in Kontinentaleuropa (und Irland) verteilt werden.

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