Lufthansa: Mayrhuber im Gespräch:Angst vor der schiefen Bahn

Der Lufthansa-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Mayrhuber über die harte Konkurrenz in der Luftfahrt, den Expansionsdrang und den Flughafen München.

C. Busse, J. Flottau u. H. W. Kilz

Wolfgang Mayrhuber, 62, hat seinen Schreibtisch in einem schlichten Zweckgebäude direkt am Flughafen Frankfurt. Der Lufthansa-Vorstandsvorsitzende betreibt derzeit Krisenmanagement. Die Zeiten sind hart: Die Zahl der Fluggäste geht zurück, Lufthansa muss sparen, Mitarbeiter sind in Kurzarbeit.

Mayrhuber, Lufthansa, AP

Lufthansa-Chef Mayrhuber: "Unser Ziel ist es, die Mitarbeiter an Bord zu halten."

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Mayrhuber, die Flugindustrie steckt in ihrer bisher schwersten Krise. British Airways kämpft um das Überleben. Wie schlecht geht es Lufthansa?

Mayrhuber: Die Lufthansa steht besser da als viele Wettbewerber. Das darf uns aber nicht genügen. Wir haben den Ehrgeiz, Kurs zu halten, Dividende zu zahlen, in die Zukunft zu investieren. Das ist im derzeitigen Umfeld natürlich extrem schwierig und wird nicht ohne weitere Einsparungen gehen.

SZ: Sie mussten Ende vergangener Woche selbst eine sogenannte Gewinnwarnung veröffentlichen. Warum?

Mayrhuber: Vor Gewinn sollte man ja nicht warnen, das ist das, was der Aktionär eigentlich erwartet. Aber im Ernst: Seit unserer letzten Prognose auf der Hauptversammlung sind die Treibstoffpreise sehr stark gestiegen. Der Kostendruck ist dadurch einfach zu groß, wir mussten eine neue Orientierung geben.

SZ: Wo müssen Sie jetzt sparen?

Mayrhuber: Wir werden uns alles noch mal genau anschauen. Wir werden den Einkauf überprüfen, wir werden unsere Mitarbeiter flexibler einsetzen. Wir können beispielsweise Bodenpersonal zu Kabinenpersonal umschulen. Unser Ziel ist es, die Mitarbeiter an Bord zu halten.

SZ: Werden auch Auslieferungen von bestellten Flugzeugen verschoben?

Mayrhuber: Wir haben bereits beschlossen: 2009 nicht. Auch in schwierigen Zeiten wollen wir unsere Flotte erneuern. Sonst kommen auch wir auf eine schiefe Rutschbahn wie viele amerikanische Wettbewerber, die nicht investiert haben und heute mit den negativen Auswirkungen kämpfen. Aber wenn die Krise anhalten sollte, sind Verschiebungen von Flugzeugauslieferungen von 2010 an möglich.

SZ: Neu an der Krise ist, dass sie weltweit spürbar ist. Wann rechnen Sie mit einem Ende, oder wird es noch schlimmer?

Mayrhuber: Wir stellen uns auf alles ein. Unsere Ware können wir nicht ins Lager legen und dann irgendwann später über Aktionen vermarkten. Wenn der Sitz bei Abflug leer bleibt, können wir ihn nicht mehr verkaufen. Dazu kommt: Unser Markt ist sehr transparent, und es gibt einen enormen Preisdruck. Zu jeder Minute können Sie im Internet jeden Flug und jeden Preis abrufen und vergleichen. Mein Gefühl ist aber: Wir haben jetzt den Boden langsam erreicht.

SZ: Wird Lufthansa 2009 mit Gewinn abschließen?

Mayrhuber: Sagen Sie mir, wie sich die Treibstoffpreise entwickeln, dann sage ich Ihnen, wo wir stehen werden.

SZ: Kann man eigentlich aus ökologischen Gründen überhaupt noch fliegen?

Mayrhuber: Aus ökologischen Gründen sollten Sie sogar fliegen. Wenn ich Bahn, Autos und Flugzeug vergleiche - obwohl wir kaum im direkten Wettbewerb stehen - und alle Faktoren berücksichtige, dann ist Fliegen extrem umweltfreundlich. Und da beziehe ich ausdrücklich die Geräuschemissionen mit ein, denn Fluglärm ist ja auf wenige Kilometer im Umkreis begrenzt. Das sieht bei anderen Verkehrsträgern weniger gut aus. Leider überlegen sich einige in Brüssel und Berlin zu oft nur, wie man Fliegen nur teurer macht und nicht, wie man es besser machen könnte. Die Fluglinien haben keine starke Lobby.

SZ: Mitten in die Krise kam der Absturz der Air-France-Maschine: Hat das negative Auswirkungen?

Mayrhuber: Das glaube ich nicht. So traurig und erschütternd so ein Ereignis ist: Die Menschen wissen schon sehr genau, dass das Flugzeug das sicherste Transportmittel der Welt ist. Sie werden sich eher fragen: Wem kann ich in Zukunft vertrauen? Was uns mehr schaden kann, sind Seuchen wie SARS oder die Schweinegrippe oder kriegerische Auseinandersetzungen.

SZ: Der Wettbewerb ist hart. Müssen Sie die Preise anheben?

Mayrhuber: Wir haben gar nicht die Marktmacht, höhere Preise durchzusetzen. Lufthansa hat neuere Maschinen, bessere Piloten, hervorragende Technik und ein größeres Netzwerk - da können wir vielleicht ein paar Cent mehr nehmen, mehr aber nicht. Der Druck ist groß: Wir ändern täglich bis zu 1500 Preise.

SZ: Nach oben oder nach unten?

Mayrhuber: In letzter Zeit meistens nach unten - leider.

SZ: Was bedeutet das dann für Lufthansa?

Mayrhuber: Wenn heute auf einer Strecke zehn Prozent weniger Menschen fliegen, dann haben wir 20 Prozent geringere Erlöse. Der Grund: Die Geschäftskunden bleiben weg oder gehen immer weiter nach hinten, also von der Business- in die Economy-Klasse. Die Kunden sind zur Zeit im Reiseverhalten flexibler geworden und haben zum Teil auch mehr Zeit: Sie müssen nicht um sieben Uhr fliegen, das geht jetzt auch um elf Uhr. Außerhalb der Spitzenzeiten sind Tickets günstiger. Unser Geschäft ist sehr zyklisch - wie ein Querschnitt durch die Alpen: Da geht es steil nach oben, aber auch genauso steil wieder nach unten.

Weg vom Einheitsbrei

SZ: Die Kunden wandern ab. Ist das dauerhaft, oder kommen die Business- und First-Kunden bald zurück?

Mayrhuber: Die Luftfahrt wird weiter wachsen, das ist sicher. Aber nicht in erster Linie in den Premiumklassen, sondern verstärkt hinten, bei Kunden, die eher jeden Cent noch mal umdrehen. Auf der anderen Seite erwarten viele Kunden mehr Qualität. Ich bin aber nicht so naiv zu glauben, dass alle, die jetzt Economy fliegen, künftig wieder Business fliegen.

SZ: Müssen Sie Ihre Strategie ändern?

Mayrhuber: Nein, nicht im Grundsätzlichen, auch wenn wir hier und da anpassen müssen. Wir schlagen keine Purzelbäume, nur weil sich die Gewichte im Markt verschieben. Wir wollen auch künftig Mobilität à la carte anbieten und der Kunde kann wählen. Und wir können sehr flexibel reagieren, wenn wir in der Kurzstrecke nur fünf Reihen Business brauchen, können wir schnell umbauen. Und bei der Langstrecke, zum Beispiel auf dem Jumbo, rüsten wir einfach um.

SZ: Wie weit entscheidet da der Vorstandsvorsitzende mit?

Mayrhuber: Mein Naturell ist, dass ich mich in die Schuhe des Kunden stelle, dabei kann ich durchaus auch sehr penetrant sein.

SZ: Sind das Bauchentscheidungen?

Mayrhuber: Nein, mit dem Bauch alleine kann man nicht entscheiden, das gäbe schnell Blähungen. Da muss man den Kopf benutzen. Man muss mit den Kunden sprechen. Einheitsbrei gehört der Vergangenheit an: Wir brauchen differenzierte Produkte.

SZ: Sie wirken gelassen angesichts der Probleme.

Mayrhuber: Nervosität ist kein guter Ratgeber. Wir waren außerdem noch nie so gut aufgestellt wie jetzt. Lufthansa wird aus der Krise sicher mit Schrammen rauskommen, aber dabei gut gerüstet sein für den Aufschwung. Das ist wie surfen auf der Welle. Und wir wollen Balance halten und so lange auf der Welle drauf bleiben wie möglich.

SZ: Mitten in der Krise übernehmen Sie Airlines wie Austrian Airlines, Brussels oder British Midland (BMI). Überfordert das den Konzern nicht?

Mayrhuber: Das Problem ist: Eine gesunde Airline gibt es nicht zu kaufen. Also können wir nur jemanden übernehmen mit guter Grundsubstanz und einem starken Heimatmarkt.

SZ: Gilt das selbst für die schwer angeschlagenen britischen Airline BMI?

Mayrhuber: Warum nicht? BMI hat wertvolle Start- und Landerechte, sogenannte Slots, am Flughafen London-Heathrow. London bleibt attraktiv, Finanzkrise hin oder her. Dort bekommen wir jetzt einen Zugang.

SZ: Sie wollen BMI ausschlachten?

Mayrhuber: Nein, wollen wir nicht. Wenn Sie damit meinen, dass wir in England künftig vielleicht keinen Billigflieger mehr betreiben wollen, dann kann das schon sein. Aber die Marke BMI bleibt sicher erhalten.

SZ: Sie könnten auch mit Sir Richard Branson über eine Fusion von BMI mit Virgin Atlantic verhandeln. Der würde ja gerne.

Mayrhuber: Interessenten gibt es, das stimmt. Ob eine Fusion mit Virgin für uns sinnvoll ist, kann ich heute noch nicht beurteilen. Mal sehen.

SZ: Der zweite große Sanierungsfall ist Austrian Airlines. Rechnen Sie für die Genehmigung der Übernahme mit Auflagen durch die EU-Kommission?

Mayrhuber: Eigentlich nicht. Das wäre auch nicht einzusehen, wenn wir Landerechte abgeben müssten, schlicht deswegen, weil wir ja schon ein Gemeinschaftsunternehmen mit Austrian Airlines betreiben und dafür bereits mit Auflagen bezahlt haben. Außerdem wollen wir eine AUA, aber kein AUA-lein.

SZ: Wie lange wird es dauern, bis Austrian so profitabel wie Swiss ist?

Mayrhuber: Naja, eine Rendite wie die von Swiss wäre für AUA wie die Sahne auf den Erdbeeren. Für mich wäre die Grundsanierung von Austrian geschafft, wenn es wieder einen operativen Gewinn gibt. Zuerst die Pflicht, dann die Kür. In spätestens eineinhalb Jahren, also 2011, sollte Austrian Airlines das schaffen - das wäre unser Wunsch.

SZ: Lässt sich das Modell Swiss beliebig oft wiederholen, oder ist der Appetit irgendwann gestillt?

Mayrhuber: Das Modell ist skalierbar, also jederzeit übertragbar. Die Frage ist: Möchte Europa drei große Airlinegruppen haben, die global im Wettbewerb bestehen können? Dann muss es weitere Übernahmen geben. Die Konkurrenz kommt künftig aus China und Indien, beides riesige Märkte. Shanghai allein beispielsweise hat mehr Einwohner und damit ein größeres Aufkommen als Österreich und die Schweiz zusammen. Es ist absehbar, dass es bald einer der wichtigsten Flughäfen sein wird.

SZ: Für die Lufthansa ist der Flughafen München neben Frankfurt das zweite große Standbein. Bauen Sie weiter aus?

Mayrhuber: Ja, auf jeden Fall. Den Flughafen München als Drehkreuz aufzubauen, war weitsichtig und absolut richtig. Wir sind dort mit 9000 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber, davon alleine über 1000 Piloten. Das ist meines Erachtens das erfolgreichste Ansiedlungsprojekt in ganz Bayern. Jeder unserer Langstreckenjets ist wie ein Mittelständler: 250 Millionen Euro wert, mit 250 direkten Arbeitsplätzen bei Lufthansa und noch einmal so vielen indirekt geschaffenen Arbeitsplätzen beim Flughafen und Zulieferern. Unsere Münchner Flotte allein würde zu den größten fünf Airlines in Europa zählen. Das hat sich so gut entwickelt, weil die Infrastruktur effizient war. Ich sage bewusst war. Heute ist das nicht mehr der Fall. Von 70 Flugzeugen in Spitzenzeiten können wir nur 24 am Gebäude abfertigen. Das wird der Kunde auf Dauer nicht akzeptieren.

SZ: Was muss geschehen?

Mayrhuber: Wir sind dringend darauf angewiesen, ein Satellitengebäude zu bekommen. Auch eine dritte Start- und Landebahn braucht München - aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen. München muss sich überlegen: Reicht das, was wir haben, oder wollen wir in der Champions League bestehen? Wenn es in München nicht mehr geht, wäre Zürich sicher nicht böse, weiter zu wachsen, und Wien erst recht nicht.

SZ: Würden Sie den Satelliten in München wie das Terminal 2 mitfinanzieren?

Mayrhuber: Ja, das würden wir machen. Das Modell München basiert auf der Systempartnerschaft mit dem Flughafen, und die war bisher sehr erfolgreich.

SZ: Sie haben bekanntgegeben, Ende nächsten Jahres aufzuhören. Werden Sie ein bestelltes Haus übergeben?

Mayrhuber: Ich werde mein Bestes geben. Aber es ist nicht Stil des Hauses und auch nicht mein Naturell, auf kurzfristigen Glanz zu setzen, nur um bei der Stabübergabe gut dazustehen und dabei langfristig richtige Entscheidungen zu vernachlässigen. Man kann sich die wirtschaftlichen Zyklen nicht aussuchen.

SZ: Wollen Sie in den Aufsichtsrat?

Mayrhuber: Das wird sich zeigen. Ich habe mich noch nie aufgedrängt.

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