Lufthansa: Der Fall Bsirske:Rechter Zeh in der Südsee

Frank Bsirske mit Freiflug in den Dauerurlaub - einen "Arbeiterführer" stellt sich die Welt anders vor. Der Tarifkampf der Lufthansa fand eine exotische Note.

Hans-Jürgen Jakobs

Das Klischee sieht den Arbeiterführer immer auf den Barrikaden. Dieses Klischee besagt, dass da einer den Seinen Mut macht, sie anpeitscht im Kampf um eine bessere Welt. Arbeiterführer reden laut, haben die Faust geballt und Schweiß im Gesicht. Arbeiterführer baden nicht bei 26 Grad in der Südsee, logieren nicht auf einer Trauminsel im Luxusresort und fliegen nicht erster Klasse gratis.

Lufthansa: Der Fall Bsirske: Um eine schlagkräftige Parole nie verlegen: Verdi-Chef Frank Bsirske.

Um eine schlagkräftige Parole nie verlegen: Verdi-Chef Frank Bsirske.

(Foto: Foto: dpa)

Aktenvernichter und Stratege

So einfach könnte die Welt sein, wenn es noch "Proletarier" gäbe. Heute aber gibt es "Dienstleistungen", und es gibt eine Dienstleistungsgewerkschaft mit dem konzertanten Titel Verdi, deren Chef wiederum Frank Bsirske heißt. Der Mann ist nach allem, was man weiß, ein fleißiger Aktenvernichter und ein großer Stratege, aber er hat einen Sommer lang vergessen, dass die Mediengesellschaft sich auf nichts lieber stürzt als auf Widersprüche.

Weil seine Gewerkschaft Lufthansa bestreikte, der Verdi-Chef Bsirske aber tatsächlich für knapp fünf Wochen mit seiner Frau zum Südsee-Großurlaub ausgeschwärmt und dabei mit Lufthansa geflogen war, fragte das alte Arbeiterblatt Bild: "Wie abgehoben ist der Verdi-Chef?"

Diese Frage kann Bsirske beantworten. Er würde auf die quälend langen Aufsichtsratssitzungen der Lufthansa AG verweisen, wo er als stellvertretender Vorsitzender eine besondere Verantwortung hat. Er könnte anmerken, dass er vor einigen Jahren auf der Hauptversammlung ja nicht entlastet wurde, weil er und seine Verdi zu viel Kampf gezeigt hatten. Ein kleiner Zwischenstopp in der Südsee, fernab vom Getümmel, ist doch da in Wirklichkeit viel eleganter.

Jakobsmuscheln in Kapern-Rosinen-Sauce mit Blattspinat

Ja, überhaupt: Hat sich Aufsichtsrat Bsirske, der als Arbeitnehmervertreter auch RWE und die Kreditanstalt für Wiederaufbau kontrollieren muss, bei so viel checks and balances die Freiflüge nicht verdient? Und wen interessiert eigentlich, was Frank Bsirske privat macht? Dass im Erste-Klasse-Oberdeck auf dem Lufthansa-Flug nach Los Angeles zum Beispiel gegrillte Jakobsmuscheln in Kapern-Rosinen-Sauce mit Blattspinat zur Auswahl standen, wie Bild sicherlich mühevoll recherchiert hat? Wen außer vielleicht die Arbeitgeber bei der Lufthansa, die sich bestimmt auch fragen, wie all die privaten Reisedetails des Ehepaars Bsirske in die Öffentlichkeit kamen - so pünktlich zum Zeitpunkt einer möglichen Einigung?

Frank Bsirske ist, wenn man so will, der Typ des "lesenden Arbeiterführers". Er schmökert in Werken wie "Rot und Schwarz" von Stendhal, einem Buch über das Schicksal eines Karrieristen. Aufstieg und Fall, das interessiert den Arbeitersohn, der bei den Grünen Parteimitglied ist. Den Fragen des lesenden Arbeiters wird er jetzt, nach dem Skandalon Südsee, nach der Landung in Deutschland nicht entgehen können.

Rechter Zeh in der Südsee

Dabei hatte der Medienprofi seiner Gewerkschaft nur Schwung geben wollen. Streikposten, Fahnen und Megaphone am Flughafenterminal, solche Bilder machen sich nicht gut für eine Airline mit internationalen Kunden. Doch genauso, wie es auf jede Lohnforderung ein Gegenangebot gibt, so entstand zwangsläufig das Gegenbild zum Streikaufmarsch. Es ist das Bild Bsirskes vor türkisblauem Südsee-Wasser.

Lufthansa: Der Fall Bsirske: Strand auf den Tonga-Inseln im Südpazifik

Strand auf den Tonga-Inseln im Südpazifik

(Foto: Foto: dpa)

"Lusthansa" statt Lufthansa

Tarifverhandlungen werden heute mit "Tagesschau"-Berichten und Urlaubsfotos geführt. Und Arbeiterführer müssen aufpassen, wohin sie reisen, wenn sie schon nicht auf Barrikaden steigen.

Im Vergleich der Bilder ist die Symbolkraft der Erste-Klasse-Freiflugnummer unschlagbar, versteht jeder "Lusthansa" statt Lufthansa. Wie sehr eine solche Freizeitgeschichte im Tarifkampf zusetzen kann, erfuhr auch Gewerkschaftschef Manfred Schell. Während seine Lokführer streikten, erholte er sich in einer Klinik am Bodensee. Auch hier fand der Boulevard, für einen richtigen Arbeiterführer gehöre sich das irgendwie nicht.

Der lesende Arbeiter wiederum erinnert sich, dass der Betriebsratschef von Volkswagen einst auf Firmenkosten Bordelle besuchen durfte. Er weiß auch, dass ein früherer IG-Metall-Chef sein im Daimler-Aufsichtsrat erworbenes Insiderwissen mit einer geglückten Aktienspekulation vergoldet haben soll. Der Mann trat zurück.

Was aber macht ein moderner Arbeiterführer, der in der modernen Bilderschlacht vorgeführt wurde? Bleibt er an Bord? Hält er noch einmal den rechten Zeh in die Südsee und sagt dann: Ab nach Hause? Oder taucht er lieber noch einmal ab, auf der Suche nach der verlorenen Unschuld?

Frank Bsirske wird es an der Antwort nicht fehlen lassen.

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